Chronik/Wien

Islamische Glaubensgemeinschaft will mehr Frauen im Obersten Rat

Bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) stehen tiefgreifende Reformen auf dem Plan. In den kommenden Wochen soll der männerdominierte Oberste Rat - also das oberste Entscheidungsgremium - umstrukturiert werden. Gleich mehrere Delegierte müssen ihre Plätze zu Gunsten von Frauen räumen.

Auslöser für die Neuerung ist der Rücktritt der bisherigen Frauenbeauftragten Fatma Akay-Türker in der vorvorigen Woche. Dass die Delegierte der streng konservativen Türkischen Föderation als einzige Frau im Obersten Rat nach nur eineinhalb Jahren im Amt das Handtuch schmiss, blieb auch von der Öffentlichkeit nicht unbemerkt.

"Sillstand ist Programm"

Gegenüber Medien begründete sie die Entscheidung mit fehlender Anerkennung in der IGGÖ. Frauen würden dort auf ihre traditionelle Rolle reduziert. Intern werde es so dargestellt als wäre das Kopftuchverbot das einzige Problem muslimischer Frauen, sagte Akay-Türker. Reformen, die sie habe anstoßen wollen, hätten nicht die notwendige Unterstützung gefunden. "Stillstand bewahren" sei das Programm der IGGÖ.

Es dauerte ein paar Tage bis man seitens der IGGÖ zu den Vorwürfen Stellung nahm. „Die Gleichbehandlung von Frauen in unseren Reihen ist bei Weitem noch nicht verwirklicht“, räumte IGGÖ-Präsident Ümit Vural schließlich aber ein. Sein Anspruch an die IGGÖ sei es jedoch, "eine gleichwertige Beteiligung und Sichtbarkeit von Frauen und Männern in allen Bereichen unserer Gemeinschaft einzufordern und zu fördern“.

Neue Frauensprecherin

Offenbar kein Lippenbekenntnis. Denn bis zur nächsten Sitzung des Schurarats, der die Mitglieder des Oberstes Rats wählt, sollen eine neue Frauensprecherin bestellt und weitere Posten für Frauen freigeräumt werden. Wer die Frauen-Agenden künftig übernehmen wird, stehe noch nicht fest, heißt es. Die Dame müsse aber nicht zwingend aus einer der Kultusgemeinden stammen. Mitte Juli soll ein Name feststehen.

Man sei sich darüber im Klaren, dass allein durch eine Frauenquote in den Gremien keine tatsächliche Gleichstellung geschaffen werde, betonte Vural. Darum installiere man zusätzlich eine "unabhängige Kommission", die sich der Themen Gleichstellung, Frauenförderung und Diversität innerhalb der Glaubensgemeinschaft annehme. Deren Arbeit "soll uns dabei helfen, unser Bewusstsein zu schärfen und unsere Wahrnehmung zu sensibilisieren, um so eine langfristige För­de­rung der Chan­cen­gleich­heit und der part­ner­schaft­li­chen ge­rech­ten Ge­mein­schaft von Frau­en und Män­nern innerhalb unserer Glaubensgemeinschaft zu verwirklichen", so der IGGÖ-Präsident.

"Der Wille ist da", kommentieren Insider den Vorstoß in der IGGÖ. Die Umsetzung dürfte ob der konservativen Haltung einiger Kultusgemeinden allerdings etwas länger dauern.

"Fehlbesetzung"

Den Rücktritt der bisherigen Frauensprecherin bedauern in der IGGÖ jedenfalls nicht alle. Zum einen, weil sich dadurch "die Chance, strukturelle Fragen anzugehen" eröffnet habe. Stichwort: Umstrukturierung des Obersten Rates.

Zum anderen, weil die Zusammenarbeit mit Akay-Türker schwierig gewesen sei. In den Gremiumssitzungen habe sie nicht viel geredet. Statt sich gesellschaftspolitisch relevanten Themen zu widmen, habe sich die Turkologin hauptsächlich auf theologische Diskussionen konzentriert. Und sie habe Frauen auch vor den Kopf gestoßen - etwa als sie IGGÖ-intern zwar einen Frauenrat gründete, die Partizipation von Nicht-Akademikerinnen aber strikt ablehnte. IGGÖ-Kenner sprechen von einer Fehlbesetzung.

Akay-Türker war für den KURIER trotz mehrerer Anfragen für keine Stellungnahme zu erreichen.

Unerledigte Baustellen

Die IGGÖ, die laut Islamgesetz die rund 700.000 Menschen vertritt, die im zentralen Melderegister als Muslime eingetragen sind, hat aktuell aber noch weitere Baustellen zu erledigen. Wie berichtet, hat der Corona-Lockdown - sprich: der Entfall der Spenden beim Freitagsgebet - viele Moscheen in arge finanzielle Nöte gebracht. Laut Vural sind etwa ein Drittel der rund 350 heimischen Moscheegemeinden vom Ruin bedroht. 

Aber auch auf juristischer Ebene kämpft man - und das an mehreren Fronten. Zum einen brachte die IGGÖ eine Verfassungsklage gegen das Kopftuchverbot in der Volksschule ein.

Und zum anderen regte man erst am Mittwoch bei der Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen FPÖ-Chef Norbert Hofer an. Es geht um den Verdacht der Verhetzung und der Herabwürdigung religiöser Lehren. Wie berichtet, hatte der ehemalige Bundespräsidentschaftskandidat und nunmehrige Dritte Nationalratspräsident bei einer FPÖ-Wahlkampfveranstaltung erklärt, der Koran wäre gefährlicher als Corona.