Polizei lernt aus dem Fall Bakary J.
Von Nihad Amara
Es ist ein sehr uniformes Publikum, das am 15. April im Wiener Künstlerhaus-Kino den Saal füllen wird: Geladen sind Polizeischüler, ihre Ausbildner und hohe Beamte.
Am Programm steht eine Premiere für das Innenministerium: Über die Leinwand wird der Spielfilm „Void“ flimmern, der die Misshandlung des Schubhäftlings Bakary J. nachzeichnet. 30 Minuten dauert der Streifen, der auf Akten und Interviews beruht, und bis ins Unerträgliche zeigt, wie drei WEGA-Beamte den Gambier im April 2006 quälen, mit einem Pkw niederfahren, eine Scheinhinrichtung abhalten.
Als Folterskandal ging der Fall in die Polizeigeschichte ein. Jetzt soll er auch in die Ausbildung einfließen: Denn das Innenministerium kündigte an, „Void“ in den Lehrplan zu implementieren.
Vor wenigen Wochen trafen einander Bakary J., der Filmemacher Stefan Lukacs, der Leiter der Polizei-Grundausbildung Thomas Schlesinger und Ministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck im Café Palmenhaus im Wiener Burggarten.
Für Bakary J. war es wie ein Déjà-vu: Genau hier hatte sich Grundböck im Vorjahr offiziell für das Ministerium entschuldigt. „Das ist ein beispielloser Gewaltexzess in der Polizei-Geschichte“, leitete er damals ein. So begann er auch diesmal, schob dann aber ein: „Für uns als Organisation geht es um eine Frage: Was können wir daraus lernen?“
Werte vermitteln
Eine Antwort hatte sich Schlesinger, der oberste Polizeiausbildner, schon zurechtgelegt: „Wir wollen unserem Nachwuchs vermitteln, für welche Werte die Polizei steht – und für welche nicht.“ Und zwar möglichst früh: „Die Ausbildung“, sagt Schlesinger, „ist wie ein Nadelöhr, durch das alle Polizisten durch müssen.“
Laienhaft umrissen, geht es um die Festigung einer Werthaltung, die selbst dem oft eisernen Korpsgeist einer uniformierten Truppe standhält. Schlesinger: „Polizisten müssen das Selbstbewusstsein haben, ,Nein‘ zu sagen, und dann richtig handeln.“
Ausbildner in den zehn Schulungsstandorten sollen noch heuer den Fall „pädagogisch“ aufbereiten. Bakary J. und der Filmemacher Stefan Lukacs willigten dazu ein.
Für Lukacs hat sein Werk exemplarischen Charakter: „Er basiert auf einer wahren Begebenheit, kann aber auch für andere Fälle stehen.“
Die gab es in der Vergangenheit ebenso wie seit 2008 die intensivierten Bemühungen in der Exekutive, ihre Organisationskultur in Sachen Menschenrechte zu ändern. Viele Anstrengungen firmieren unter dem Projekttitel „Polizei.Macht.Menschen. Rechte“, das zuletzt der neue Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler (siehe Interview), leitete. Selbst kritische Polizei-Beobachter wie Heinz Patzelt von Amnesty International attestieren: „Es hat sich sehr viel verändert: Menschenrechte sind keine lästige Norm mehr“, sondern seien längst über die Führungsetage hinaus angekommen. Nachsatz: Jedoch längst nicht in allen Wachstuben. Kritisch sieht er etwa jüngst die Camp-Räumung vor der Votivkirche: Mit Baggern das Aktivisten-Lager zu räumen, sei „widerwärtig und unverhältnismäßig“ gewesen.
Die Film-Initiative ist für Patzelt aber der beste Beweis dafür, dass die Bemühungen fruchten: „Wenn das nicht von außen, sondern von Polizisten selbst kommt, dann ist ein Schalter erfolgreich umgelegt worden.“
General Konrad Kogler ist seit wenigen Wochen Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium. Als Polizeigeneral managte er bereits im Jahr 2008 das Projekt „Polizei.Macht. Menschen.Rechte.“
KURIER: Sie bezeichnen die Polizei als Menschenrechtsorganisation. Für viele klingt das nach einem Widerspruch. Wie meinen Sie das?
Konrad Kogler: Menschenrechte haben ja grundsätzlich zwei Dimensionen. Eine Grundfunktion ist die Schutzfunktion gegenüber staatlichen Übergriffen. Das heißt, die Polizei hat die Menschenrechte zu achten und innerhalb dieses Handlungsrahmens zu agieren. Die zweite Dimension ist, dass wir auch Menschenrechte gewährleisten. Der Staat hat seinen Bürgern das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert. Das gilt auch für das Recht auf den Schutz des Eigentums sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung. Und diese Rechte gewährleistet die Polizei.
Wenn es zwei Demonstrationszüge gibt, die das Recht auf freie Meinungsäußerung nützen – allerdings zufälligerweise unterschiedlicher Meinung sind – dann verhindert die Polizei, dass die eine Gruppe der anderen Gruppe etwas antut oder sie im Recht auf freie Meinungsäußerung irgendwie stört – indem sie quasi für beide Seiten den Schutz auch gewährleistet.
Sie haben auch eine Fachhochschule mit wirtschaftlichem Schwerpunkt absolviert. Bietet dieser zivile Hintergrund Ideen, wie man die Beamten zusätzlich sensibilisieren könnte?
Das glaube ich absolut. Denn in einem betriebswirtschaftlichen Umfeld stellt man sich immer die Frage nach der Personalentwicklung – dem Idealbild, wo Mitarbeiter hinentwickelt werden sollen. Der Anspruch an einen modernen Polizisten oder eine moderne Polizistin ist, dass sie hoch professionell agieren. Und vor allem ist es auch wichtig, dass die Beamten das Ohr am Bürger haben – betriebswirtschaftlich gesehen heißt das: am Kunden. Konkret heißt das, dass jeder Bürger wissen muss, dass er jederzeit die Polizei anrufen kann. Und dass niemand gemaßregelt wird, wenn er einmal irrtümlich einen Einbrecher meldet.
Sehen Sie nach der Serie von Reformen mit Postenzusammenlegungen und strukturellen Änderungen noch einen weiteren Reformbedarf?
Nachdem wir in einem sehr dynamischen Umfeld leben, wird es natürlich auch in Zukunft immer wieder Herausforderungen geben. Ganz konkret: Die virtuelle Welt, die ja immer weiterwächst, ist eine zentrale Herausforderung. Wir sind momentan dabei, dass wir im Bereich des Bundeskriminalamtes eine entsprechende Einheit schaffen. Wir haben auch damit begonnen, bei den Landespolizeidirektionen entsprechende Einrichtungen zu schaffen. Es ist aber nicht daran gedacht, dass wir jetzt Reformen in sehr großem Umfang weiterführen.