Chronik/Wien

"Muss noch viel abarbeiten"

Ute Bocks Rückkehr in die Zohmanngasse verzögert sich. Eigentlich hätte die Flüchtlingshelferin, die sich zurzeit im Reha-Zentrum auf dem Rosenhügel von ihrem Schlaganfall erholt, das Spital bereits am 8. April verlassen sollen. Ihr Gesundheitszustand lässt dies aber nicht zu – sie sitzt noch immer im Rollstuhl. Nun wurde ihr Aufenthalt um weitere vier Wochen verlängert.

Dabei würde Bock dringend gebraucht: Seit sie nicht mehr in der Öffentlichkeit steht, kämpft ihr Verein mit massiven finanziellen Problemen. Monatlich würden rund 100.000 Euro benötigt, um den Betrieb uneingeschränkt aufrecht erhalten zu können. Doch seit Jahresbeginn gingen die Spenden um rund 15 Prozent zurück.

Da sämtliche Reserven aufgebraucht sind, hat das radikale Kürzungen zur Folge: Soforthilfen können nicht mehr ausbezahlt werden, Essensgutscheine wurden massiv reduziert. Und von den 160 Wohnungen, die der "Verein Ute Bock" im vergangenen Jahr noch für die Asylwerber angemietet hatte, ist nur mehr die Hälfte geblieben. Zudem musste Personal eingespart werden.

Das Flüchtlingsheim in der Favoritner Zohmanngasse sei aber nicht gefährdet, sagt Melanie Carmann vom Hilfsverein. Die Beratungsstelle sowie die Deutschkurse werden auch weiterhin angeboten. Bei der Unterbringung der Flüchtlinge helfen die Caritas und der Fonds Soziales Wien aus.

Gehen lernen

So dringend Bocks Anwesenheit für die Spendenbilanz auch wäre – an ein Comeback ist zurzeit nicht zu denken. "Meine linke Seite ist gelähmt, meine linke Hand ist nicht zu gebrauchen", schildert Bock dem KURIER. "Wenn ich einen Finger bewege, spüre ich die Schmerzen bis in beide Füße." Ihre Therapiestunden verbringt Bock damit, das Gehen und das Greifen erneut zu erlernen. Denn mit dem Rollstuhl stellt sie sich die Rückkehr nicht vor.

Sie will in der Zohmanngasse genau so weiterarbeiten, wie vor ihrem Schlaganfall. "Mein Schreibtisch ist von oben bis unten angeräumt – das muss ich alles abarbeiten", sagt sie. "Schließlich will ich nicht, dass es heißt ,Schaut euch an, wie viel Dreck die uns hinterlassen hat‘, wenn ich einmal sterbe." Im Verein ist man bemüht, Frau Bock so gut wie möglich zu entlasten.

Mit ihrer Rückkehr will die 71-Jährige außerdem "klarstellen, dass ich geistig noch voll da bin. Es gab ja das Gerücht, mein Gehirn wäre nicht in Ordnung."

Spendenkonto: Hypo Bank Tirol, BLZ: 57000, Kto.Nr.: 52011017499, IBAN: AT625700052011017499,BIC: HYPTAT22

www.fraubock.at

Rehab Kandil füllt ihren Teller mit Käse, Oliven und Paprikastreifen und setzt sich zu den anderen ägyptischen Frauen an den Tisch. Lachen, Stimmengewirr und Geschirrgeklapper erfüllt den Raum in der „Bassena“ am Schöpfwerk (12. Bezirk). Rund 50 Frauen – großteils türkischer oder ägyptischer Herkunft – haben sich auch diesmal wieder zum Bildungsfrühstück eingefunden.

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Alle zwei Wochen organisiert der Verein „Nachbarinnen in Wien“ kleine Expertengespräche rund um die Themen Gesundheit, Bildung und Erziehung. Die Frühstück-Events soll dabei jene Migrantinnen unterstützen, die sich in der neuen Heimat noch nicht so gut zurechtfinden. Rehab Kandil kam vor neun Jahren von Ägypten nach Wien. Sie weiß, wie schwierig ein Neuanfang in einer fremden Stadt sein kann.

Verhütung

Diesmal geht es um den Themenbereich Verhütung und Krebsvorsorge. Der Vortrag von Hebamme Fidan Cinar über Pille, Verhütungsring oder Spirale wird von den „Nachbarinnen“, wie Kandil eine ist, in die jeweilige Muttersprache (derzeit werden türkisch, ägyptisch, tschetschenisch und somali angeboten, Anm.) übersetzt. Die Frauen hören zu, stellen Fragen, diskutieren angeregt mit.

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Das Projekt „Nachbarinnen in Wien“ wurde von Ärztin Christine Scholten und Sozialarbeiterin Renate Schnee ins Leben gerufen. Scholten: „Uns ging die Unfreiheit bei den Frauen und Kindern, die wir betreuten, auf die Nerven.“ Die beiden starteten 2009 mit wöchentliche Gesundheitsberatungen. Unterstützung für weitere Treffen bekamen sie von der türkischstämmigen Gül Ekici, die nun ebenfalls „Nachbarin“ ist. Ekici organisiert seit rund acht Jahren, Frauentreffs für Migranten in nicht-religiösem Kontext.

Mittlerweile gibt es 13 Nachbarinnen, die neben den Bildungsfrühstücken auch Lernhilfen für die Kinder sowie Sport- und Nähkurse anbieten. Und bei jenen Frauen, die besondere Unterstützung brauchen, machen die Nachbarinnen eine Zeit lang auch Hausbesuche

Frustrierende Erlebnisse reduzieren

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Gül Ekici betreut derzeit zehn Familien. Die heute 38-Jährige kam im Alter von 15 Jahren nach Wien. „Die ersten sechs Monate habe ich nur geweint“, erzählt sie dem KURIER. Mittlerweile fühlt sie sich in Wien sehr wohl und sieht sich auch als Österreicherin. Umso frustrierender fand sie die Reaktion der Umwelt, als die gelernte Friseurin irgendwann beschloss, doch ihr Kopftuch zu tragen. Eine Stelle als Friseurin gab es für sie plötzlich nicht mehr; als Reinigungskraft könne sie arbeiten. Frustration durch Vorurteile und Verallgemeinerungen möchte Ekici abbauen helfen. Als „Nachbarin“ will sie Frauen, die ähnliche Erfahrungen machten weiterhelfen.
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Ägypterin Rehab Kandil sieht das genauso: „Viele Frauen leben deshalb isoliert, weil sie Angst haben.“ Renate Schnee ergänzt: „Aber mit Untertützung entwickeln viele ein überraschendes Potenzial. Es ist ein bisschen wie Gold schürfen.“ Der nächste Schritt für die beiden Organistorinnen Scholten und Schnee: Arbeitsmöglichkeiten für die Frauen schaffen.

Weitere Bildungsfrühstücke (jeweils um 9-12 Uhr):
– „Schulpsychologie“ am 04. April im Jugendtreff Base 20 (20., Engerthstraße 78-80)
– „Gesundheit und Zahnhygiene“ am 25. April im Stadtteilzentrum Bassena (12., Am Schöpfwerk 29/14)

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VEREIN NACHBARINNEN
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