Der Imam und der Pfarrer
Von Martin Gantner
Das Abendland“, sagt Johannes Neubauer, „geht nicht unter. Weder heute noch morgen. Und auch nicht in Favoriten.“ Der Pfarrer steht an diesem Mittwochnachmittag im Altarraum der heiligen Apostelkirche am Favoritner Salvatorianerplatz. Die Bänke sind leer und sie werden es bis zum sonntäglichen Gottesdienst wohl auch bleiben.
Seit Jahren sinkt die Zahl der Schäfchen, die in Wiens Kirchen pilgern. Vor allem im zehnten Bezirk ist die Entwicklung spürbar. Während die Bevölkerung gewachsen ist, ging die Zahl der Katholiken zurück. Muslime, Orthodoxe und Konfessionslose zogen zu. Lebten vor 20 Jahren noch 88.000 Katholiken im Arbeiterbezirk, sind es heute nur noch knapp 60.000. „Wenn ich mit den Sternsingern an die Wohnungstüren klopfe, sehe ich, wie sich die Bevölkerung verändert hat“, sagt Neubauer. „Es wird wohl Zeit, dass sich auch die Kirche verändert.“ Kardinal Christoph Schönborn sieht das ähnlich. In Favoriten verkündete er den Auftakt der größten Kirchenreform seit Jahrzehnten: Gotteshäuser kleiner Gemeinden sollen zusammengelegt werden – Kirchen könnten an andere Konfessionen übergeben oder gar verkauft werden. „Aus versorgten Gemeinden müssen sorgende Gemeinden werden“, sagt Neubauer. „Die Laien werden wichtiger.“
Kampf der Kulturen?
Wer sich die Frage stellt, wie ein Zusammenleben der Kulturen in Wien möglich ist, muss die Antwort auch im zehnten Bezirk suchen. Auf der Favoritenstraße reihen sich türkische Restaurants an klassische Marken-Geschäfte. Frauen mit Kopftuch sind häufiger zu sehen als andernorts. Aber auch die fremdenfeindlichen Töne der FPÖ fallen am Viktor-Adler-Markt auf besonders fruchtbaren Boden. Den Blick auf den Arbeiterbezirk gerichtet, wähnt die FPÖ das Abendland gerne in Gefahr.
„Vom Kampf der Kulturen kann keine Rede sein“, hält Mehmet Davutoglu dagegen. Der Imam der Anadolu-Moschee in der Gudrunstraße sagt: „Hier wird mit Ängsten der Menschen gespielt. In religiöser Hinsicht stammen alle von Adam und Eva ab. Wir sind Brüder und Schwestern.“ Davutoglu hat soeben das vierte von fünf Tagesgebeten mit seinen Glaubensbrüdern beendet, als er durch die Räume der sechs Jahre alten Moschee führt. Das Haus ist während des Freitagsgebets gut besucht. Bis zu 700 Muslime hören der Predigt des Imams zu. Neubauers Messe besuchen gerade einmal halb so viele Menschen – ein Trend, der bei vielen Unbehagen auslöst.
Radikale Tendenzen
Zu Recht? Immerhin warnen selbst muslimische Religionskritiker wie die deutsche Integrationsexpertin Seyran Ates, dass fünf Prozent der Muslime in Österreich und Deutschland fundamentalistisch sind. „Gibt es schlechte Katholiken? Ja“, kontert Davutoglu dann. „Genauso wie es schlechte Muslime und schlechte Juden gibt. Hören wir auf, Religionen als Ganzes zu stigmatisieren.“ Er selbst will ein gutes Vorbild sein. „Ich predige, dass sich die Leute integrieren sollen und dass sie Deutsch lernen sollten, auch wenn ich selbst schlecht Deutsch spreche. Es ist zu ihrem eigenen Vorteil.“
Neubauer und Davutoglu mögen nicht an denselben Gott glauben, doch beide glauben an eine gemeinsame Zukunft in dieser Stadt. „Wir können voneinander lernen“, sagt der Pfarrer, „Aber wir müssen den Dialog fördern.“ Doch was ist es, was der Pfarrer vom Imam lernen will? „Unsere Kirche steht heute in Konkurrenz mit anderen Religionen.Wir sollten unseren Glauben selbstbewusster leben. Hier sind die Muslime ein Vorbild.“
Und was hält Davutoglu vom Vorschlag von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz, der Imame künftig in Österreich ausbilden will? Immerhin ist auch er vor Jahren aus der Türkei angereist, um hier zu predigen. „Es ist zu begrüßen, sofern die Ausbildung von Muslimen organisiert wird“, sagt er. Der häufigen Forderung, Imame sollten auf Deutsch predigen, kann er nichts abgewinnen. „Die Gastarbeitergeneration würde mich anders als junge Muslime nicht verstehen.“ Denn eine Sorge teilt der Imam mit dem Priester: Die Jugend lässt sich in beiden Gotteshäusern eher selten blicken.