Chronik/Wien

"Gutmachen kann man es nicht"

Tritte, Schläge, Schlagstock-Hiebe. In der Lagerhalle liegt ein blutender Afrikaner am Boden. Ein Polizist stülpt ihm einen Plastiksack über den Kopf, reißt ihn wieder herunter. Der Mann ringt laut nach Luft. Plötzlich zieht ein WEGA-Beamter seine Pistole. „Es ist Zeit zu sterben“, sagt er. Er hält ihm den Lauf in den Nacken. Lautes Flehen hallt durch den Raum. Der Polizist drückt ab. „Klick“ – die Waffe war nicht geladen. Kurz darauf rast ein Polizei-Auto auf den knienden Mann zu. Sein Körper wird wegkatapultiert.

Die Szenen aus dem Spielfilm „Void“ basieren auf der wahren Geschichte des vor sechs Jahren von Polizisten nach einer gescheiterten Abschiebung gefolterten Gambiers Bakary J. Am Samstag stellte Stefan Lukacs seinen beklemmenden Streifen vor. Als Vorlage dienten ihm Polizeiprotokolle und Gespräche mit dem Opfer. J. saß nicht im Saal. Er erträgt die Szenen nicht, erzählt seine Frau, Michaela, 35: „In Wirklichkeit war es noch unerträglicher.“
„Void“ zeichnet die Abschiebung und die Tat nach. Ein ganz neues Kapitel in der Causa schlägt J.s Anwalt Nikolaus Rast auf. Er führt für den heute 39-Jährigen ein Amtshaftungsverfahren.

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Rast wird für J. 750.000 Euro Schadenersatz für seelische und körperliche Schmerzen von der Republik fordern. „Aus heutiger Sicht werden wir keine Klage brauchen. Wir werden uns auf eine amikale Weise einigen“, betont der Jurist. Er rechnet mit einem Vergleich. Weshalb? Es gebe mit dem Innenministerium das beste Einvernehmen.

Regress

Dort kennt man die Forderungssumme nicht. Das Verfahren führt der Anwalt der Republik, die Finanzprokuratur, für die Polizei-Behörde. Aus ihrem Budget wird eine allfällige Wiedergutmachung fließen. Sprecher Karl-Heinz Grundböck entschuldigte sich heuer offiziell bei J. „Wir werden unsere rechtliche und moralische Verantwortung wahrnehmen“, sagt er. Steuergeld werde nicht verwendet. „Wir werden uns von den Polizisten und Ex-Polizisten jeden Euro zurückholen.“ Drei Beamte sind erst heuer (!) entlassen worden.

Rast stützt seine Forderung auf ein psychologisches und ein medizinisches Gutachten. Die Psychologin Eva Schrank untersuchte J. Sie diagnostizierte: „Heute noch sind die Symptome so stark “ wie 2006. J. sei bis dato schwer traumatisiert. Die medizinische Expertise wird Rechtsmediziner Christian Reiter demnächst liefern. „Die Frakturen sind unumstritten“, betont Rast.

Tagsätze

Seine Kalkulation beruht auf den Tagsätzen für „schwere Schmerzen“, hochgerechnet vom Tatzeitpunkt bis zum avisierten Ende des Verfahrens im Frühjahr 2013. Nicht inkludiert sind Kosten, die für zukünftige Behandlungen anfallen. Auch dies fordert Rast per Feststellungsbegehren. Ein zweites Verfahren strebt er für die Familie an.

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Bakary J. kriegt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. „Sie wollten mich umbringen.“ Dem KURIER sagt er: „Die Entschuldigung war mir wichtiger als Geld. Sie ist von Herrn Grundböck von Herzen gekommen. Er hat das ernst gemeint.“ Erst heuer hob die Behörde das Aufenthaltsverbot gegen J. auf. Sechs Jahre lang durfte er nicht arbeiten. Seine Frau Michaela hielt ihn und die zwei Kinder über Wasser. Dennoch: „Egal, was gezahlt wird“, erklärt sie, „gutmachen kann man es nicht.“

Für Opfer wie Bakary J. sind „drei Dinge gleichsam wichtig“, schildert Heinz Patzelt von Amnesty International Österreich: Eine Entschuldigung, die sehr spät erfolgt sei. Gerechtigkeit, die der Gambier nur formell bekommen habe. Die milden Urteile von acht Monaten bedingter Haft für drei Beamte und sechs Monaten für den vierten seien „in keiner Weise angebracht gewesen“. Punkt Nummer drei, Geld, löst „keine Probleme“, ermöglicht es aber, „ein Leben neu zu beginnen“.

Rechtsanwalt Rast glaubt, dass es „so eine Forderung noch nie gab. Ein solches Verbrechen gab es allerdings auch noch nicht.“