Kurioser Prozess: Muslima lüftet doch noch Schleier
Von Evelyn Peternel
Was zählt mehr: Religionsfreiheit oder die Rechtsordnung? Diese Frage wurde am Donnerstag bei einem simplen Beleidigungs-Prozess in München verhandelt – und zwar nicht am Beispiel des Angeklagten, sondern anhand der Kleidung der Belastungszeugin.
Deren Gesichtsschleier, genannt Niqab, war nämlich sowohl Auslöser des Verfahrens als auch Anlass für juristischen Streit. Die 43-jährige, in Deutschland geborene Frau hatte den Angeklagten beschuldigt, sie eben wegen ihres Schleiers beleidigt zu haben – "Du gehörst hier nicht her!", soll der Mann ihr neben anderem Unflätigen in der Münchner S-Bahn zugerufen haben. Der Richter der ersten Verhandlung im November wollte daraufhin ihr Gesicht sehen, um die Aussage bewerten zu können– doch die Frau weigerte sich: Den Schleier abzulegen, verbiete ihr die Religion, sagte sie. Der Mann wurde daraufhin freigesprochen.
Kopftuch-Debatte
Jetzt, bei der Berufungsverhandlung, war das Interesse am Verhalten der 43-Jährigen demnach groß – denn der Fall hat im Herbst bundesweites Echo ausgelöst: Er fiel genau in eine Zeit, in der durch die Flüchtlingskrise die politische Debatte über Kopftuch und Schleier wieder aufzuleben begann; und auch vor deutschen Familiengerichten tauchte das Problem, dass Verhandlungsteilnehmer vollverschleiert aussagen wollten, vermehrt auf. Auch die CSU griff das Thema damals auf: Sie verabschiedete bei ihrem Parteitag im Dezember einen Leitantrag, um die Vollverschleierung komplett zu untersagen.
Dass auch dem Berufungsgericht die Dimension des Falles klar war, zeigte dessen Vorbereitung. Man hatte schon vor dem Verhandlungstermin ein Gutachten eines saudischen Rechtsgelehrten eingeholt, der das Ablegen des Schleiers vor Justizbehörden befürwortete. Das – und die Aussicht, durch ihre Kooperation eine Verurteilung zu erwirken – bewegte die Frau nun auch dazu, ihren Schleier abzulegen: Sie lüftete den Niqab – zumindest für die Richterin; der Angeklagte hatte sich zuvor abwenden müssen.
Gebracht hat der 43-Jährigen die Kooperationsbereitschaft jedoch nichts. Das Urteil blieb dasselbe wie in erster Instanz: Die Beleidigung wurde, weil kein weiterer Zeuge sie bestätigen konnte, als nicht erwiesen angesehen. Ähnlich erfolglos dürfte die CSU übrigens mit dem allgemeinen Verschleierungsverbot sein. Denn was hier vor Gericht zulässig war, lässt sich laut Experten nicht so einfach auf die Allgemeinheit umlegen – das Verbot stünde vermutlich im Widerspruch zu Religionsfreiheit und Persönlichkeitsrechten.