Chronik/Welt

Säure, Intrigen und Sexpartys

Die berühmteste Balletttruppe der Welt ist tief zerstritten. Nach dem Säureattentat auf den Ballettchef des Moskauer Bolschoi-Theaters werden immer mehr Intrigen um Rollen, Schwarzhandel mit Tickets und Sexpartys bei Oligarchen bekannt.

Wladimir Malachow, ein enger Freund des Moskauer Ballettchefs Sergej Filin und Intendant des Berliner Staatsballetts, sagt, dass es in Russland keine Zufriedenheit mehr gibt. Das Geld habe alles kaputtgemacht. Und er fragt im Spiegel: „Sind wir zurück im Zeitalter der Medici, als die Leute sich gegenseitig vergifteten?“

Sieht ganz so aus, wenn man den Berichten trauen kann, die jetzt bekannt werden.

Die Skandal-Ballerina

So bekam die ehemalige Solotänzerin Anastassija Wolotschkowa von unbekannten Männern ein Blumenbouquet in ihrer Garderobe überreicht, aus dem einer der Männer ein Messer zog. Das Bolschoi hält sie „für ein ganz großes Bordell“. Jeder Tänzer und jede Tänzerin wisse, dass die Einladung zu Abendessen bei Mäzenen und Oligarchen oft Sex einschließe. „Wer da nicht mitmacht, kann seine Karriere vergessen“, sagt die 37-jährige Skandal-Ballerina, die 2003 vom Generaldirektor Anatolij Ixanow aus dem Theater geworfen wurde und ihm seither in Feindschaft verbunden ist. Der Grund: Sie sei mit 50 Kilogramm „zu fett“ gewesen und eine Gefährdung für die Gesundheit ihrer Tanzpartner. Sie kassiert zwar nach mehreren aufsehenerregenden Prozessen nach wie vor ihre Gage am Bolschoi, durfte aber seit 2004 dort nicht mehr auftreten. Anastassija Wolotschkowa hat viele Auszeichnungen gewonnen und tanzt als Gaststar, auch nackt, auf anderen Bühnen.

Anschlag am 17. Jänner

Der Ballettchef des Moskauer Bolschoi-Theaters wurde am späten Abend des 17. Jänners wie berichtet Opfer eines Säureanschlags. Der unbekannte Täter lauerte ihm vor seinem Wohnhaus auf. Dem 42-jährigen Sergej Filin, der beinahe sein Augenlicht verlor, steht ein Martyrium an Hauttransplantationen erst bevor. Nächste Woche wird der zum zweiten Mal verheiratete Vater dreier Buben in eine Spezialklinik in Aachen verlegt. Doch der Angriff auf seine Schönheit, um die er bewundert und beneidet wurde, scheint zu 100 Prozent gelungen. Der charismatische Filin war seit Monaten anonym bedroht worden. Im Dezember bat er um Personenschutz, doch der wurde ihm verwehrt.

Der Konkurrent

Alle Inhalte anzeigen
Die Ermittler gehen davon aus, dass er ein Opfer des internen Konkurrenzkampfes geworden ist. Filins größter Konkurrent ist der Startänzer Nikolai Ziskaridse. Er hat ein wasserdichtes Alibi, macht aber kein Hehl daraus, dass er Filins Posten haben will. Ohne ein Wort des Mitgefühls sieht der 39-Jährige das Attentat als logische Folge von Filins Arbeit. Die gilt manchen als zu westlich, so nahm er den Amerikaner David Hallberg als ersten ausländischen Solisten unter Vertrag. Für heuer verpflichtete er den britischen Choreografen Wayne Mc Gregor und den Franzosen Jean-Christophe Maillot.

Es gehen bei „solchen Zwischenfällen“ (gemeint ist das Schwefelsäureattentat, das Augen, Gesicht und Kopfhaut verätzte) in der Ballettwelt um viel Geld und enttäuschte Liebe“, sagte Ziskardise in einem Interview. Zum interimistischen Nachfolger wurde er jedoch nicht bestellt. Diese Aufgabe übernimmt die 46-jährige Galina Stepanenko, eine frühere Solotänzerin. Filin will nach seiner Genesung zurück in seinen Job, den er 2011 übernommen hat, nachdem sein Vorgänger wegen eines Sexskandals hatte gehen müssen. Von ihm wurden pornografische, homoerotische Bilder an 3847 Empfänger gemailt. Homosexualität wird in Russland geächtet.

Dem Bolschoi fehle es an „Theater-Ethik“, sagt der angesehene Ballettchef bis 2008 Alexej Ratmanski. Er trat freiwillig zurück, weil er sich von der Truppe alleingelassen fühlte. Die internen Machtkämpfe widerten ihn an. „Es gibt nicht zuletzt halbverrückte Fanatiker, die den Konkurrenten ihrer Idole an die Gurgel gehen. Das Bolschoi ist krank“, sagt er.

Ticket-Spekulanten

Filin wollte das Schwarzmarkt-Unwesen mit Tickets beenden, denn die Ballett-Eintrittskarten sind oft nur für einige Hundert Euro erhältlich. Nicht an der Theaterkassa, sondern auf dem Schwarzmarkt. Dabei sollen auch Tänzer mitkassieren. Im Kreml wird der Anschlag auf den Ballettchef auch als Anschlag „auf das ganze Bolschoi-Theater und die russische Kultur“ gesehen. Vom Täter fehlt jede Spur.