Chronik/Welt

Afghanistan: Staat nach Beben gelähmt

Erst der Fall der nordafghanischen Stadt Kunduz, dann Berichte über vermehrte Taliban-Aktivitäten rund um die Hauptstadt Kabul, jetzt das Erdbeben im Nordosten des Landes – die afghanischen Behörden geben derzeit ein denkbar schwaches Bild ab. Viel mehr noch: In den vergangenen Wochen offenbarte sich in Afghanistan das ganze Ausmaß an staatlicher Dysfunktion. Dabei haben Kunduz, die Taliban und jetzt eben das Erdbeben dem nur des i-Tüpfelchen aufgesetzt. Davor gab es zweifelhafte Wahlen 2014 gefolgt von einer einjährigen Regierungsbildung mit ebenso zweifelhaftem Resultat und das inmitten einer schweren Wirtschaftskrise infolge des NATO-Abzuges. Die Folge: Abwanderung. Und so bilden Afghanen in Europa derzeit die zweitgrößte Flüchtlings-Gruppe nach Syrern.

Junge wollen weg

Am Montag bebte im Nordosten Afghanistans die Erde in einer Stärke von 7,5. Noch auf der anderen Seite der Grenze, in Pakistan, richtete das Beben Schaden an. 228 Tote wurden dort bestätigt. Um das Epizentrum in Afghanistan 82. Eine Zahl, die kaum jemand glaubt.

Denn das Beben offenbarte, was angesichts von Hiobs-Botschaften aus anderen Landesteilen unter der Wahrnehmungsschwelle lag: Die Behörden haben zu vielen betroffenen Regionen (darunter einige Städte) keinen Zugang. Sie sind unter Kontrolle der Taliban. Und das in einer Region (Badakhshan), die an sich eine klassische Hochburg der Mudschaheddin ist, die jahrelang gegen die Taliban gekämpft hatten. Angesichts staatlichen Versagens bietet das Beben den Taliban jetzt aber die Chance, sich weiter zu etablieren. Prompt gaben sie auch Befehl an ihre Kämpfer, bei der Versorgung von Obdachlosen und der Bergung von Toten zu helfen.

Das, während sich die Regierung in Kabul zunehmend einbunkert. Zuletzt hatte es Berichte über eine geplante Taliban-Offensive auf die Hauptstadt gegeben. Und nach dem, was in Kunduz passiert war (Taliban hatten die Stadt einfach überrannt) reichten schon Gerüchte, um für Panik zu sorgen. Das schafft nicht das Klima, in dem sich junge und gebildete Afghanen eine Zukunft ausmalen. Es sind gerade sie, die jetzt vor allem eines wollen: weggehen.