Chronik/Welt

Noch keine Entscheidung über Sea-Watch-Kapitänin Rackete

Die deutsche Kapitänin des Rettungsschiffes "Sea-Watch 3", Carola Rackete, bleibt vorerst weiter unter Hausarrest. Ein Gericht in der sizilianischen Stadt Agrigent vertagte am Montagabend die Entscheidung über einen möglichen Haftbefehl auf Dienstag. Zuvor war Rackete von einer Untersuchungsrichterin in Agrigent befragt worden.

Der ermittelnde Staatsanwalt Luigi Patronaggio erklärte am Abend, er wolle prüfen, ob es Kontakte zwischen der Crew des Rettungsschiffes und libyschen Schleppern gab. Eine Durchsuchung des Schiffes sei durchgeführt worden, um Beweismaterial zu sammeln, sagte der Staatsanwalt bei einer Pressekonferenz in Agrigent.

Der Staatsanwaltschaft weist die Argumentation Racketes zurück, dass bestritt, dass eine Notlage an Bord bestand, weshalb die Kapitänin trotz des Verbots der italienischen Behörden den Hafen der Mittelmeerinsel Lampedusa ansteuern musste. Die schwächsten Migranten an Bord seien zu diesem Zeitpunkt bereits vom Schiff evakuiert worden, sagte der Staatsanwalt.

Unerlaubt nach Lampedusa

Rackete war am Samstag mit dem Schiff "Sea-Watch 3" mit 40 Migranten unerlaubt nach Lampedusa gefahren. Bei der Einfahrt in den Jahren konnte nur knapp ein Zusammenstoß des Rettungsschiffs mit einem Patrouillenboot im Hafen von Lampedusa vermieden. Sie wurde festgenommen und auf der sizilianischen Insel unter Hausarrest gestellt. Ein neues italienisches Sicherheitsdekret stellt das unerlaubte Einfahren nach Italien unter eine Geldstrafe. Die "Sea-Watch 3" wurde beschlagnahmt.

Die Staatsanwaltschaft wirft der 31-Jährigen Widerstand gegen ein Militärschiff und Vollstreckungsbeamte vor. Zudem wird wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung gegen Rackete ermittelt. Im schlimmsten Fall droht ihr eine Haftstrafe.

Der Fall sorgt für Spannungen zwischen Italien und Deutschland. Dort hat sich ein breites Bündnis an Unterstützern von Rackete formiert. Der italienische Regierungschef Giuseppe Conte sagte am Montag in Brüssel, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ihn auf die 31-Jährige angesprochen. "Ich habe ihr gesagt, dass sich in Italien wie (...) auch bei ihr in Deutschland die exekutive Macht von der gerichtlichen Macht unterscheidet." Er könne als Regierungschef nicht eingreifen und den Richtern ein Verhalten nahelegen. Der Fall "liegt in den Händen des Gerichts", sagte Conte.

Deutscher Außenminister fordert Freilassung

"Aus unserer Sicht kann am Ende eines rechtsstaatlichen Verfahrens nur die Freilassung von Carola Rackete stehen. Das werde ich Italien nochmal deutlich machen", hatte der deutsche Außenminister Heiko Maas am Montag auf Facebook erklärt. Aus dem Außenministerium in Rom hieß es, Maas habe seinen italienischen Kollegen Enzo Moavero Milanesi angerufen. Der habe darauf hingewiesen, dass die Richterschaft "gänzlich unabhängig von der Regierung" sei, weshalb alle "mit Vertrauen und Respekt" warten müssten. Innenminister Salvini erklärte, er erwarte insbesondere von Deutschland und Frankreich "Stille und Respekt".

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte Italien am Sonntag wegen der Festnahme der Kapitänin kritisiert und Maßnahmen der Regierung in Rom gegen Seenotretter in Frage gestellt.

Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella versuchte bei einem Besuch in Wien die Wogen wieder zu glätte. Er rief die handelnden Personen in dem Konflikt dazu auf, "sich etwas im Ton zu mäßigen", um das tatsächliche Problem besser lösen zu können. Die Beziehungen zwischen Rom und Berlin seien derart solide, "dass sie von niemandem infrage gestellt werden können", sagte Mattarella bei einem Treffen mit Bundespräsident Van der Bellen in der Hofburg.

Hohe Spenden für Rackete

Van der Bellen erklärte zu der Causa: "Die genauen Umstände des Falles sind mir nicht persönlich bekannt. Nur grundsätzlich scheint mir schon: Wenn ich in Österreich an einem Binnensee ein Boot in Not sehe und nicht zu Hilfe eile, dann werde ich bestraft wegen unterlassener Hilfeleistung - aber ich werde nicht dafür bestraft, wenn ich diese Hilfe leiste."

Nach der Festnahme Racketes sind die Spenden für die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch in die Höhe geschossen. Über den Aufruf der Fernsehmoderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf kamen am Montag mehr als 800.000 Euro zusammen, auf einer italienischen Facebook-Seite wurden mehr als 425.000 Euro gesammelt.

Das Spendengeld sei einerseits für die Gerichtskosten von Rackete, erklärte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. Er fügte hinzu: "Wenn das Schiff beschlagnahmt bleibt, brauchen wir ein neues."

Italien ließ das Boot lange warten

Rackete hatte nach der Rettung von Migranten vor der libyschen Küste zwei Wochen auf dem Meer vergeblich auf eine Erlaubnis zum Anlegen in Italien gewartet. Sie rechtfertigte ihr unerlaubtes Anlegen mit der verzweifelten Lage an Bord und der Sorge um die Migranten. Italien will keine NGO-Schiffe anlegen lassen, wenn es keine Sicherheit gibt, dass die Migranten auf andere EU-Staaten verteilt werden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte wenige Tage vor dem unerlaubten Einlaufen in Lampedusa einen Eilantrag unter anderem von Rackete abgelehnt, mit dem Schiff in Italien anlegen zu dürfen.

"Seenotrettung ist ein seit langem bestehender humanitärer Imperativ, der auch völkerrechtlich vorgeschrieben ist", sagte der Sprecher von UN-Generalsekretär Antonio Guterres, Stephane Dujarric, in New York. Den Einzelfall Rackete wollte er nicht kommentieren, sagte aber: "Kein Schiff oder Schiffsführer sollte von Geldstrafen bedroht sein, wenn er Booten in Seenot zu Hilfe kommt, bei denen Menschen sonst ihr Leben verlieren würden."

Rackete-Vater ist optimistisch

"Ich denke, der internationale Druck auf die italienische Regierung wird einiges bewirken", sagte der Vater der in Kiel geborenen und in Niedersachsen aufgewachsenen Kapitänin, Ekkehart Rackete der dpa. Er halte Italien "nach wie vor" für einen souveränen Rechtsstaat und mache sich keine großen Sorgen um seine Tochter. Am Sonntag habe er mit ihr telefoniert: "Sie ist lustig und guter Dinge und sieht der ganzen Sache eigentlich gelassen ins Auge."

Die deutschen Kapitäne stellten sich hinter die junge Frau. Schauspieler Til Schweiger bezeichnete die Festnahme der Kapitänin als skandalös. Die Organisation Seebrücke rief aus Solidarität mit der Sea-Watch-Kapitänin zu Demos auf. Deutsche Politiker forderten eine Lösung der Flüchtlingsfrage auf europäischer Ebene.

Der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rief die Seenotretter zu Selbstkritik auf. Die Organisationen sollten vermeiden, mit ihrer Arbeit falsche Signale zu senden und so das Geschäft der Schlepper zu befördern, sagte er der "Bild"-Zeitung (Montag).