Chronik/Welt

Drama am K2: Dutzende Bergsteiger steigen über sterbenden Höhenträger

Auf Urdu, der pakistanischen Amtssprache, heißt er Lambha Pahar, was übersetzt so viel wie "hoher Berg" bedeutet. Hoch ist er allemal: 8.611 Meter misst der K2 und ist damit der höchste Berg im Karakorum und nach dem Mount Everest der zweithöchste Berg der Welt. 

Unter Bergsteigern gilt er anspruchsvoller als der Everest, viele sehen ihn als den am schwierigsten zu besteigenden aller vierzehn Achttausender. Die Route ist durchgehend steil, die Lawinengefahr hoch, schlägt das Wetter um, gibt es kaum Möglichkeiten für Rückzug.

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Entsprechend hoch ist die Anziehungskraft des Berges auf Alpinisten. Rund 200 Bergsteiger waren allein am 27. Juli am Weg zum Gipfel. Und der K2 machte es ihnen nicht einfach: Gleich mehrere Lawinen sind an einer Schlüsselstelle, genannt Bottleneck, Flaschenhals, abgegangen.

Der Engpass auf 8.200 Metern Höhe gilt als eine der schwierigsten und tödlichsten Stellen auf dem Weg zum Gipfel. 

Einige Bergsteiger wurden von der Lawine getroffen, mitgerissen wurde niemand. Das ohnehin schon enge Zeitfenster für einen Gipfelsturm wurde weiter verengt. Ohnehin war es ein umtriebiger Tag.

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45 Minuten kopfüber im Seil

An genau dieser Stelle stürzte um 2:30 Uhr in der Nacht Mohammad Hassan mehrere Meter in die Tiefe. Der pakistanische Hochträger hatte ein Seil für die zahlende, zum Gipfel drängende Kundschaft montiert. Nach seinem Sturz blieb er mit den Beinen in ebendiesem Fixseil hängen.

Flugs wurde ein neues Seil montiert. Mit der Rettung hatte man es weniger eilig: 45 Minuten musste der 27-Jährige am Flaschenhals kopfüber hängen, ehe er überhaupt hinaufgezogen wurde. Ihn ins Tal zu bringen? Daran dachte wohl niemand. Weitere Hilfsmaßnahmen? Fehlanzeige. Man hielt den 27-Jährigen wohl schon für tot, obwohl er noch am Leben war.

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Keine Rettungsaktion

Philip Flämig versichert gegenüber dem Standard, dass "dieser Mann noch gelebt hat, während etwa 50 Leute an ihm vorbei gestiegen sind." Flämig ist Kameramann aus Deutschland und hat den Aufstieg einer Gruppe Alpinisten mit einer Drohne gefilmt.

Seine Aufnahmen zeigen einen im Sterben liegenden Mann, dessen Oberkörper zu Sonnenaufgang von einer Person massiert wurde. Vermutlich hatte die Person so versucht, Hassan bei Bewusstsein zu halten.

"Fakt ist, dass keine organisierte Rettungsaktion stattfand, obwohl Sherpas, aber auch Bergführer vor Ort waren, die hätten aktiv werden können", so Flämig weiter. 

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"Er ist dort elendig verreckt"

"Es hätte nur drei, vier Leute gebraucht, ihn runterzubringen", erzählt Wilhelm Steindl. "Er ist dort elendig verreckt." Der Tiroler Hotelier ist begeisterter Bergsteiger und war an diesem Tag am K2, ging aber nicht bis zum Gipfel, sondern drehte aufgrund widriger Verhältnisse schon vor dem Flaschenhals um. "Ich war nicht bei der Unfallstelle. Wenn ich es gesehen hätte, wäre ich raufgestiegen und hätte dem armen Menschen geholfen", sagt er im Standard.

Dass Hassan nicht geholfen und kein Versuch unternommen wurde, ihn ins Tal zu bringen, führt Flämig auf den harten Konkurrenzkampf um Kunden zwischen pakistanischen Hochträgern und nepalesischen Sherpas zurück. Immer wieder komme es zu Diskriminierungen der nepalesischen Sherpa gegenüber den Hochträgern aus Pakistan. 

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Rekordhatz

Hassan dürfte laut Steindl nicht besonders erfahren gewesen sein, hatte nicht einmal die richtige Ausrüstung. Es war seine erste Saison auf dem K2, erzählt die Witwe später. Auch eine gewisse Geschäftigkeit am Berg dürfte Hassan das Leben gekostet haben. Kristin Harila, eine norwegische Alpinistin, konnte an diesem Tag ihre Rekordjagd auf alle 14 Achttausender vollenden.  

Neben Harila haben zwei weitere Bergsteiger an diesem Tag versucht, einen neuen Rekord aufzustellen. "Es war ein sehr aufgeheizter, konkurrenzbeladener Gipfelrush", erinnert sich Fläming.

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"Was da passiert ist, ist eine Schande. Da wird ein lebender Mensch liegengelassen, damit Rekorde erzielt werden können", so Steindl. 

Besuch bei der Familie

Fläming und Steindl machten sich nach dem Unglück auf dem Weg ins Tal und besuchten später die Familie des verstorbenen Hochträgers in einem Bergdorf im Shigar Valley.

Sie überbrachten der hinterbliebenen Ehefrau und den drei kleinen Kinder 2.500 Dollar. Steindl versprach, die Ausbildungskosten der Kinder zu übernehmen. 

Der Tiroler hat auch eine Spendenaktion für die Familie von Mohammad Hassan gestartet. Mehr dazu finden Sie HIER.

Pakistan: Komitee will Zeugen anhören

In Pakistan sollen nach dem Tod eines Bergträgers am K2 Zeugen gehört werden. „Die wichtigste Aussage wäre die des anderen Höhenträgers, der mit dem toten Träger das Seil befestigte und ihn fallen sah“, sagte Rahat Karim Baig, Mitglied einer Untersuchungskommission, am Donnerstag.

Es ist bedauerlich, dass niemand anhielt, um dem sterbenden Mann zu helfen“, sagte Abu Zafar Sadiq, Präsident des pakistanischen Alpinclubs. „Wie auch immer die Umstände waren, jemand hätte dem armen Kerl helfen müssen.“

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Messner: "Solidarität ist einem Egoismus gewichen"

Für Bergsteigerlegende Reinhold Messner sind die noch nicht erwiesenen Vorgänge keine Überraschung. Es handle sich um die Folgen des "Tourismus am Berg", der den traditionellen Alpinismus, für den er sich ein Leben lang eingesetzt habe, zunehmend verdrängte. Man könne ja mittlerweile den K2 und andere höchste Berge "wie im Reisebüro buchen" und werde anschließend "von den Sherpas auf Pisten hinaufgebracht".

Diese "Expeditionen" hätten hunderte Teilnehmer - entsprechend herrsche auf den Bergen auch eine "Anonymität wie in der Großstadt". "Man kennt sich nicht mehr. Es schaut jeder nur auf sich. Es gibt keine Hilfsbereitschaft und Empathie, wie es früher noch selbstverständlich war. Damals sind sogar Weltklassebergsteiger abgestiegen, wenn jemand anderer Probleme hatte, um ihm zu helfen."

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 Dadurch, dass man solche Himalaya-Besteigungen mittlerweile "buchen" könne, gehe auch das Verantwortungsgefühl komplett verloren, so der Südtiroler, der auch den K2 erklommen hatte.

Wenn einem die Verantwortung von vornherein komplett abgenommen werde, wie soll er dann in solchen Situationen ein Verantwortungsgefühl für andere entwickeln, fragte Messner.

Empathielosigkeit

Die Folge sei Empathielosigkeit. Messner betonte gleichzeitig, dass man bei solchen Berichten vorsichtig sein müsse, weil es sich oft auch um Kolportagen von Leuten handle, die solche Geschichten erfinden würden, weil sie den Gipfel nicht erreicht hätten.

Aber in dem Fall scheine es aufgrund mehrfacher Schilderungen wohl zu stimmen.