Die Benettons verstehen nicht, wieso sie am Pranger stehen
Einen Tag nach dem Brückeneinsturz von Genua mit 43 Toten bewirteten die Benettons, so als wäre nichts gewesen, ihre 190 Gäste am kühlen Sommerfamiliensitz in Cortina d’Ampezzo in den Dolomiten. Nach Genua schickten die Hauptaktionäre des Brückenbetreibers Autostrade per l'Italia ein dürres Kondolenzschreiben.
Was soll man machen?, hieß es aus Cortina. Am 14. August, als sich das Unglück ereignete, war bereits alles vorbereitet für das große Fest zu Ferragosto, dem wichtigsten Familienfeiertag Italiens, dem Höhepunkt des Sommers. Hätte man die 190 Gäste heimschicken sollen? Die italienischen Zeitungen druckten die Menükarten ab und stellten die Benettons als empathielose Geldsäcke an den Pranger. Während freiwillige Helfer noch nach Überlebenden suchten, taten die Milliardäre, als ginge sie das alles gar nichts an. Als Aktionäre waren sie nie aktiv im operativen Geschäft tätig – und doch kontrollierten und bestellten sie ihre angestellten Manager. Und kassierten Maut.
„Tage des Leids“
Erst diese Woche ließ sich der Finanzchef der Industriellenfamilie, der 78-jährige Gilberto Benetton, im Interview mit dem Corriere della Sera zu wenigen persönlichen Worten herab: „Seit dem Unglück erlebe ich Tage des Leids und der Trauer“. Und: „Wenn im Fall Autostrade Fehler begangen worden sind, werden wir die notwendigen Beschlüsse fassen.“
Über die Holding Edizione Srl mit zehn Milliarden Euro Umsatz kontrollieren die Benettons aus Treviso die Flughäfen von Rom, Florenz, Bologna und Turin, Banken, Raststätten wie Autogrill und Autobahnbetreiber. Dazu gehört das Unternehmen Atlantia, dem wiederum Autostrade per l'Italia untergeordnet ist – der Betreiber der maroden Katastrophenbrücke von Genua.
Das Geschäft mit den bunten Pullovern läuft schon lange nicht mehr gut. Erst im Jänner stellte sich der 83-jährige Luciano Benetton wieder an die Spitze des Strickunternehmens und wurde mit dem schönen Satz zitiert: „Die Geschäfte, die einst ein Brunnen voller Licht waren, sind dunkel und traurig geworden, wie das kommunistische Polen.“
Das Familienoberhaupt
Der 78-jährige Gilberto Benetton ist das „Finanzgenie“ der vier Benetton-Geschwister Luciano, Giuliana und Carlo, die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen sind und 1965 ihren Weltkonzern gründeten. Der wortkarge Gilberto zieht die Strippen und investierte Ende der 1990er-Jahre in Infrastruktur, als der Staat Italien dringend Geld brauchte und sogar seine Autobahnen verscherbelte. Gilberto sitzt im Verwaltungsrat der Mailänder Investmentbank Mediobanca, des Reifenkonzerns Pirelli und der Allianz-Gruppe. Er hat in der norditalienischen Hochfinanz ein wichtiges Wort mitzureden. Von der Regierung Renzi erwirkte er noch die Verlängerung der Autobahnkonzession, was die jetzige Regierung von Lega und Fünf Sterne ändern will.