NSU-Prozess: Lebenslange Haft für zehn neonazistische Morde
Nach einem mehr als fünf Jahren dauernden Mammutprozess hat das Oberlandesgericht München die Rechtsterroristin Beate Zschäpe als Mittäterin an den Morden und Gewalttaten des NSU zur Höchststrafe verurteilt. Das Gericht verhängte am Mittwoch gegen die 43-Jährige unter anderem wegen zehnfachen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest.
Zwischen 1998 und 2011 hatte der rechtsextreme "Nationalsozialistische Untergrund" neun Morde an Migranten und einen Mord an einer Polizistin, drei Sprengstoff-Anschläge und 15 Raubüberfälle verübt.
Vier als NSU-Helfer mitangeklagte Männer erhielten Haftstrafen zwischen zweieinhalb und zehn Jahren. Das Oberlandesgericht verurteilte Zschäpe auch wegen versuchten Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung. Es folgte mit der verhängten Strafe der Forderung der Bundesanwaltschaft in dem Prozess um die Mordserie der rechtsextremen Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Verteidiger Wolfgang Heer kündigte umgehend Revision beim Bundesgerichtshof an. Die Verurteilung sei nämlich "nicht tragfähig begründbar".
Mittäterin?
Bis zuletzt war in dem Prozess umstritten, ob Zschäpe als Mittäterin an den zehn dem NSU zugerechneten Morden, zwei Bombenanschlägen und fünfzehn Raubüberfällen zu verurteilen war, obwohl sie an keinem der Tatorte der Morde und Anschläge anwesend gewesen sein soll. Die Taten sollen die 2011 mutmaßlich durch Suizid ums Leben gekommenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangen haben.
Die ursprünglichen drei Verteidiger Zschäpes und auch die erst im späteren Verlauf ins Verfahren eingestiegenen zwei weiteren Verteidiger hatten im Wesentlichen nur eine Verurteilung wegen Brandstiftung als erwiesen angesehen. Zschäpe hatte gestanden, 2011 das letzte Versteck des Trios in Zwickau in Brand gesetzt zu haben. Beide Verteidigergruppen wollten wegen der Gewalttaten einen Freispruch und wegen der Brandstiftung maximal zehn Jahre Haft.
Gegen die mitangeklagten vier NSU-Helfer Ralf Wohlleben, André E., Holger G. und Carsten S. verhängte das Gericht mehrjährige Haftstrafen. Der frühere NPD-Funktionär Wohlleben wurde wegen Beihhilfe zum Mord zu einer Strafe von zehn Jahren verurteilt. Er soll die für neun Morde benutzte Ceska-Pistole beschafft haben.
Carsten S. wurde ebenfalls wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Er erhielt eine Jugendstrafe von drei Jahren, weil er zur Tatzeit noch Heranwachsender war. Er soll ebenfalls eine zentrale Rolle beim Beschaffen der Ceska-Pistole gehabt haben. Die Angeklagten E. und G. wurden wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu Freiheitsstrafen von zweieinhalb Jahren beziehungsweise drei Jahren verurteilt. Dennoch kommt Andre E. nun frei. Der Haftbefehl gegen ihn wurde aufgehoben, wie der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am Mittwoch bei der Urteilsverkündung vor dem Oberlandesgericht München sagte.
Die Untersuchungshaft sei nicht mehr verhältnismäßig. E. könne wie die Mitangeklagten Holger G. und Carsten S. auf freiem Fuß bleiben, bis das Urteil rechtskräftig ist, sagte ein Gerichtssprecher. S. und G. waren schon seit längerem nicht mehr in Untersuchungshaft.
13 Jahre im Untergrund
Die nach der Wiedervereinigung in der rechtsradikalen Szene in Thüringen aktiven Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren nach dem Auffliegen einer Bombenwerkstatt in Jena Anfang 1998 untergetaucht. In den folgenden 13 Jahren im Untergrund verübten sie unentdeckt von der Polizei ihre Straf- und Gewalttaten. Erst nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos wurden die rechtsextremen Motive dieser Morde und des Mordes an der Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn bekannt.
Opfer äußerten sich erfreut über die Höchststrafe für Zschäpe. "Das Urteil hilft mir. Ich habe psychisch sehr gelitten. Das ist ein guter Tag", sagte Özlan Yildirim am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Sein Friseursalon war bei einem Nagelbombenanschlag des NSU im Juni 2004 in der Keupstraße völlig zerstört worden. Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland begrüßte das Urteil, forderte aber ebenso wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) sowie der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland weitere Ermittlungen zu Hintermännern und der Rolle der Sicherheitsbehörden.
Weitere Aufklärung gefordert
Rund 200 Menschen demonstrierten nach dem Urteil vor dem Gerichtsgebäude für eine weitere Aufarbeitung. Nötig sei zudem "eine Auseinandersetzung mit Rassismus in unserer Mitte, in unserem Alltag, auch in unseren Institutionen", sagte eine Sprecherin der Kampagne "Kein Schlussstrich".
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf den Behörden vor, die rassistischen Tatmotive über Jahre verkannt zu haben: "Amnesty International fordert eine lange überfällige Untersuchung, inwieweit institutioneller Rassismus in den Behörden eine bessere Aufklärung des NSU-Komplexes verhindert hat."
Politiker aller Parteien forderten nach dem Urteil eine weitere Aufklärung der Hintergründe der Mordserie. Das Urteil dürfe "kein Schlusspunkt" sein, sagte Innenminister Horst Seehofer. "Das Engagement und der Aufklärungswille der Behörden dürfen nicht nachlassen", forderte die SPD-Vizefraktionschefin Eva Högl. Bundestagsvizepräsidentin Petra Paul (Linke) kritisierte, dass das Gericht in seinem Urteil das Umfeld des NSU-Trios "ausgeblendet" habe. Die Sicherheitsbehörden hätten die parlamentarische Aufklärung der Mordserie "be- und verhindert". "Die Aufklärung des NSU-Terrors muss auch nach Abschluss des Gerichtsverfahrens unbedingt fortgesetzt werden", verlangten die Grünen-Politikerinnen Irene Mihalic und Monika Lazar.
Die türkische Regierung bezeichnete das Urteil als "nicht zufriedenstellend". Man habe die Strafen "zur Kenntnis genommen", doch habe das Urteil "bedauerlicherweise" nicht den gesamten Hintergrund der NSU-Mordserie aufgeklärt, teilte das Außenministerium in Ankara mit. Mögliche Verbindungen der NSU-Täter zu einem "Staat im Staate" und zum Geheimdienst seien nicht aufgeklärt, die "wahren Schuldigen" seien nicht gefunden worden.
Die Tatserie sorgte in ganz Deutschland für Entsetzen. Mehr als ein Dutzend parlamentarischer Untersuchungsausschüsse im Bund und Ländern stellte ein eklatantes Versagen von Polizei und Verfassungsschutz fest. Insbesondere die Rolle des Verfassungsschutzes sorgt für bis heute andauernde scharfe Kritik.