Treffpunkt Wien: Gesangspause im Granatapfel
Von Anna-Maria Bauer
Ob Lohengrin oder Parsifal, die sogenannten „großen Tenorpartien“ hat Staatsopernsänger Herbert Lippert im Laufe seiner Karriere alle gesungen. Aber jene Rollen, die ihn fast noch mehr gefordert haben, etwa Gabriel von Eisenstein in der Operette „Die Fledermaus“ – für die hat er gar nicht so viel Anerkennung erhalten.
Warum? „Weil Operetten ein Imageproblem haben“, sagt der Sänger, als ihn der KURIER zum Mittagessen im „Il Melograno“ (dt. Granatapfel) trifft, und seufzt. „Weil viele Menschen offenbar glauben, nur weil et etwas mit Leichtigkeit präsentiert wird, steckt keine Arbeit dahinter.“
Nachdem in den vergangenen Jahren wenig getan worden sei, das zu ändern, nahm der 60-Jährige die Sache mit der Imageaufbesserung selbst in die Hand. Während „Il Melograno“-Chef Robert d’Atri Granatapfelsaft serviert, fährt er fort: Mit einem „Multimediaspektakel“ bringt er Stücke in die Gegenwart und verbindet sie gleichzeitig mit der Historie. „O-MIA – Operette Made in Austria“ heißt das Projekt, das er 2017 mit Sopranistin Ildikó Raimondi ins Leben rief. In einem Monat findet in der Wiener Stadthalle die zweite Auflage statt.
Apulische Tradition
Doch nun gibt es erst einmal das Mittagessen. In die Karte muss er schon lange nicht mehr schauen. Herbert Lippert ist an Werktagen eigentlich nur in zwei Lokalen anzutreffen: In der Staatsopernkantine oder hier, in dem edel-gemütlichen Italiener in der Blumenstockgasse 5. Und er wählt auch heute wieder seine Leibspeise: Orecchiette con Punte di Manzo, hausgemachte apulische Ohrnudeln mit Rinderfiletspitzen. „Eine apulische Tradition“, erläutert der Lokalchef. „Vielleicht kennen manche das aus alten Schwarz-Weiß-Filmen, wenn am Sonntag in einem großen Topf gekocht wird. Das Sugo muss nämlich zehn Stunden lang köcheln.“
Roberto d’Atri ist Gastronom in siebter Generation. Sein Vater, Nicola d’Atri, war in den 60er-Jahren mit der Familie von Apulien nach München gezogenund hatte mehrere Restaurants eröffnet. 2001 wurde Österreich die neue Heimat. Zunächst kam die „Osteria d’Atri“. 2008 folgte „Il Melograno“, eine Anspielung auf Nicola d’Atris erste Arbeit. Er hatte als 7-Jähriger in einem Gutshof mit diesem Namen gearbeitet.
Auch bei Lippert hat sich die Karriere bereits als Kind abgezeichnet. Lippert wuchs bei seinen Großeltern auf und saß schon als 4-Jähriger neben seinem Großvater auf der Orgelbank. Er ging zu den Wiener Sängerknaben und nahm Platten mit Größen wie Herbert von Karajan auf.
Nach der Schule wollte Lippert die Sängerkarriere eigentlich nicht weiter verfolgen. „Sie hat mich genervt“, gesteht er, während die Orecchiette serviert werden. „Aber mittlerweile bin ich der Meinung, dass man im Leben das Zepter gar nicht so sehr in der Hand hat. Am Ende passiert doch, was passieren muss.“ Er lacht.
Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete er nämlich bei den Sängerknaben als Erzieher. Und dort hat er eines Tages auf einem gewissen Örtchen gesungen. Just in einem Zeitpunkt, als sich auch der musikalische Leiter, ein Herr Gillesberger, dort befand und ihn hörte. Was er denn neben seiner Tätigkeit als Erzieher tue, fragte Gillesberger. „Ich studier Malerei und Musikpädagogik.“ – „Ja, bist du wahnsinnig!“, rief der Leiter und zwang ihn, am nächsten Tag Professoren vorzusingen. „Ich wollt das nicht, hab mich zunächst gewehrt und mich nicht vorbereitet“, sagt Lippert und schmunzelt bei der Erinnerung. Aber die Musik hatte nun einmal anderes mit ihm vor, die Professoren waren von ihm begeistert.
Heute ist Lippert froh, dass es so gekommen ist. Und der Operette hätte er sonst ja auch nicht unter die Arme greifen können.