Chronik/Österreich

„Wir haben vom Schicksal zwei rechte Gerade bekommen“

Vor dem Hotel Hubertushof in Hüttau im Salzburger Pongau türmt sich ein Berg, auf den die Helfer kaputten Hausrat werfen. Den Herd, die Tische, die Matratzen, sogar Zimmerpflanzen. „Das war einmal unser Hotel“, sagt Chefin Birgit Mann. „Alles hin.“ Eineinhalb Meter hoch stand die braune Suppe im Erdgeschoß des Hauses und zerstörte Speisezimmer, Stüberl, Rezeption, Küche, Bar und Gästezimmer.

Die Mure kam am Sonntag um 7.50 Uhr. Im Trieggraben hatte sich der Bach durch Holz und Treibgut verklaust; binnen Minuten wälzte sich eine gewaltige Schlammlawine bis in den Ort, drang in Wohnungen ein und schluckte Autos und Teile von Gebäuden. „Die Mure schoss vorne bei den Fenstern rein und hinten wieder raus“, erzählt Birgit Mann, die sich mit Familie und Personal gerade noch rechtzeitig in den zweiten Stock retten konnte. Fünf Minuten zuvor waren 51 Gäste in den Bus gestiegen und abgereist – „ein Riesenglück, sonst hätten wir hier 51 Tote gehabt.“

Noch nie erlebt

100 Meter oberhalb des Hotels riss die Mure die Hälfte des Personalhauses weg. „Was da am Sonntag los war, habe ich noch nie erlebt“, sagt Hotelchef Hubert Mann. „Wir haben vom Schicksal zwei rechte Gerade bekommen.“

In ganz Hüttau mussten knapp 40 Personen evakuiert werden, berichtet Rupert Bergmüller, der Bürgermeister des 1500-Einwohner-Ortes. „Das war ein Extremereignis und nicht vorhersehbar.“
Wo Sonntagfrüh noch die Wohnzimmercouch der Familie Wimmer stand, fährt nun der Bagger.

Wo sich vorher das Büro von Vater Herbert Wimmer befand, liegen nun einen Meter hoch Baumstämme. Ein Teil des Gebäudes fehlt. „Wir hatten viel Geld und Liebe in das Haus gesteckt“, sagt Manuela Wimmer. Sie wirkt dennoch nicht verbittert – zu groß ist die Erleichterung, dass ihre 68-jährige Mutter noch lebt. Die herunterstürzenden Erdmassen hatten sie bis zur Brust verschüttet; sie konnte aber rechtzeitig ausgegraben und mit dem Helikopter ins Spital geflogen werden.
Auch in Taxenbach im Pinzgau gingen am Montag die Aufräumarbeiten weiter. „Ich war gerade im Bad, da ist es los gegangen“, berichtet Sebastian Brunner. „In letzter Sekunde kam ich noch aus dem Haus. Bis zum ersten Stock ist alles vermurt.“

Mit Booten evakuiert

Mit dem Schrecken davongekommen sind auch Anneliese Gründle und ihre Familie in Kössen, das in Tirol am schlimmsten vom Hochwasser erwischt wurde. „Zum Glück ist niemand verletzt. Sonst müsste man sich eigentlich einen Strick nehmen und sich aufhängen“, sagt die Kellnerin, während Helfer in ihrem Garten Schlamm schöpfen. „Erst letzte Woche haben wir die Renovierung an unserem Haus abgeschlossen. Jetzt ist alles zerstört.“ In der Nacht auf Sonntag war das Wasser der nahen Großache in Gründles Haus im Ortsteil Erlau auf fast zwei Meter gestiegen. „In der Früh sind wir dann mit Booten evakuiert worden.“

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Im Großteil Kössens ist das Wasser, in dem der Ort am Sonntag versunken war, am gestrigen Vormittag wieder abgeflossen. Zurück bleibt vielfach Verzweiflung, aber auch Wut: Etwa bei Oliver Schmidt, vor dessen Handyladen im Ortskern sich zerstörte Elektronik-Geräte stapeln. Nachdem der Ortsteil Erlau unter Wasser stand schwappte die Flutwelle am Sonntagvormittag ins Dorfzentrum zurück. „Aber niemand hat uns gewarnt“, ärgert sich Schmidt.