Chronik/Österreich

20 Jahre danach: Was vom Wunder von Lassing blieb

Vor 20 Jahren schaute die Welt so gebannt nach Österreich wie sie es gerade mit Thailand tat. Natürlich, es gab kein Twitter, kein Facebook , das Internet steckte in den Kinderschuhen und damit auch die Online-Medien. Aber wie um die in einer Höhle eingeschlossenen thailändischen Buben und ihren Trainer bangte damals ein Zeitungs-, Radio- und TV-Publikum wochenlang um elf Männer in einer kleinen obersteirischen Gemeinde.

Lassing.

„Das waren Wochen voller Horror“, erinnert sich Fritz Stangl. 1998 war er Vizebürgermeister, seit 2000 ist Stangl Bürgermeister jener Gemeinde, die bei Google 358.000 Treffer erzielt. Unter den ersten zehn Meldungen sind acht, die diese „Wochen voller Horror“ zum Inhalt haben. Das größte Grubenunglück der Nachkriegszeit, bei dem elf Männer verschüttet wurden und nur einer lebend geborgen werden konnte Georg Hainzl.

Er, das personifizierte „Wunder von Lassing“, hat 45.000 Treffer bei Google, obwohl der mittlerweile 44-Jährige seit 20 Jahren nie den Weg an die mediale Öffentlichkeit gesucht hat. Georg Hainzl blieb mit seiner Familie in Lassing, baute ein Haus. „Er lebt in einem engen Freundes- und Kollegenkreis“, beschreibt Bürgermeister Stangl. „Dafür habe ich vollstes Verständnis.“

Hainzl gab nur ein Interview direkt nach seiner Rettung nach neun Tagen in Dunkelheit. Im Jänner 2000 war er das letzte Mal öffentlich zu hören, er war Zeuge beim Prozess von Lassing gegen den Ex-Werksleiter und den Ex-Berghauptmann in Leoben. Da erfuhr man, dass sich Hainzl mit drei Sauerstoffflaschen in der Jausenkammer verschanzt hatte, weil „schwarzer Dreck kommen is’. Zuerst Wasser, dann Schlamm.“ Dass Stunden später erneut Stollen in sich zusammenbrachen, bekam er ebenfalls mit. „Da war eine Wasserfontäne, ich hab’ geglaubt, so, jetzt werd’ ich ersaufen.“

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Opfer nie geborgen

Bei diesem Einbruch starben zehn Männer. Neun Kumpel aus dem Lassinger Talkwerk sowie ein Bauleiter vom Semmering-Sondierstollen, der vom Unglück erfahren hatte und helfen wollte. Die Opfer konnten nie geborgen werden. Es ist nicht einmal wirklichsicher, wo sie waren, als Tonnen von Material auf sie stürzten. „Waren sie alle an einem Ort? Waren sie im Aufzug?“, grübelt Ortschef Stangl. „Waren sie sofort tot?“ Daran reiht sich eine andere Frage, mit der viele Bewohner Lassings noch haderen: „Hat man wirklich alles zur Rettung unternommen?“

Dort, wo sich am 17. Juli 1998 die Erde aufgetan und Menschen und Häuser verschluckt hatte, ist heute eine schlichte Gedenkstätte in einer Wiese. Sie wurde 2002 eingeweiht.

Einer spricht erstmals

Auch das macht die Katastrophe von einst immer noch präsent. Lassing will sich erinnern, aber nicht zwangsläufig reden: Kaum eine der betroffenen Familien, Freunde oder Kollegen der Opfer lässt Interviews zu. Einer der wenigen, der dies wagt, ist jedoch Roland Steiner. Gegenüber Filmemacher Alfred Ninaus, der eine TV-Dokumentation über Lassing drehte, öffnete sich der 43-Jährige (siehe Infobox). Er war einer jener Kumpel, die zu Hainzl in die Grube fuhren. Doch er kam noch hinaus, nur Minuten, ehe die Stollen zum zweiten Mal einbrachen weil er seinem Vater sagen wollte, es gehe ihm gut.

„Mich hat niemand in die Grube geschickt“ erinnert sich der Steirer. Aber Hainzl sei noch eingeschlossen gewesen. „Einen Bergmann überlässt man nicht dem Schicksal.“

Wenn sich am Dienstag die Katastrophe zum 20. Mal jährt, will Lassing wieder für sich sein. An der Gedenkstätte und in der Pfarrkirche wird der Opfer gedacht, ohne mediale Begleitung. Bürgermeister Stangl hofft, dass sich das Interesse an der Katastrophe legen wird. „Mein Wunsch wäre eine Art Schlussstrich.“

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Was damals geschah:

Es begann so gewöhnlich. In Lassing sei die Landesstraße gesperrt worden, meldeten die Radiosender am 17. Juli 1998: Beim Talkwerk sei eine Grube eingebrochen, die Straße beschädigt.


Die Grube eingebrochen: Das meinte das Drama um Georg Hainzl. Um 11.45 Uhr  wurde der 24-Jährige in 60 Meter Tiefe von Schlamm eingeschlossen. Kumpel fuhren ein, um ihn zu lokalisieren, aber auch, um die Grube zu sichern. An der Oberfläche bilden sich  Risse, ein Krater entstand, der sich mit Wasser füllte  dies wurde später auch Nichtbergleuten als Binge bekannt. Am späten  Nachmittag sanken Häuser ein. Um 22 Uhr stand fest: Zehn weitere Männer waren in  140 Meter Tiefe verschüttet.


Ab 18. Juli erfolgten Sondierungsbohrungen, teilweise auch mit Kameras. Horchtests wurden gemacht. Doch alles zusammen ergab keine Hinweise auf Überlebende. Am 25. Juli rüsteten sich die Bohrtrupps zum Abmarsch, am 26. Juli wurde noch eine letzte Bohrung vorgenommen. Die stieß tatsächlich durch  zu Georg Hainzl .


Das machte Angehörigen der zehn Verschütteten  sowie den Helfern Mut. Es wurde weitergebohrt. Doch am 14. August war Schluss: Die letzten Kamerabilder zeigten in der Tiefe nur Schlamm. Am 17. August wurden die Rettungsmaßnahmen eingestellt. Am 10.  April 2000 wurde auch der Versuch, die Opfer zu bergen, aufgegeben. Am 20. März 2003 wurden die Urteile des Lassing-Prozesses rechtskräftig:  Zwei Jahre Haft, davon acht Monate unbedingt, für den Ex-Werkleiter, sechs Monate bedingt für den Ex-Berghauptmann.

Zweiteilige TV-Dokumentation:

Ursachen und Folgen: Der 20. Jahrestag der Bergwerkskatastrophe bekommt auch viel Platz im Fernsehen. Der ORF versucht in einer zweiteiligen TV-Dokumentation, Ursachen  und Folgen des Unglücks zu ergründen.


Vorlauf und Katastrophe: Der erste Teil von „Lassing  Die ganze Geschichte“ beleuchtet die Arbeit im Talkwerk. Der zweite Teil handelt von Maßnahmen nach dem Einsturz.  (Montag, 16. Juli, ab 20.15 Uhr, ORF III)