"Pro-Erdogan- Demos haben uns geschadet"
Von Bernhard Ichner
Der unabhängige Türkische Kulturverein Österreich distanzierte sich von den Wiener Demos für die türkische Regierungspartei AKP unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Vereinsobmann Birol Kilic erläutert im KURIER-Interview, warum.
KURIER: Herr Kilic, haben die Pro-Erdogan-Demonstranten den in Österreich leben Türken einen guten Dienst erwiesen?
Birol Kilic: Nein, für uns ist ein großer Schaden entstanden. Hier haben pro Erdogan eingestellte Menschen mit türkischen Wurzeln einem Regierungschef, der demokratiepolitische Grundwerte mit Füßen tritt, völlig unreflektiert und undistanziert applaudiert. Und auf das kann man nicht stolz sein. Demokratie bedeutet, auch andere Meinungen zuzulassen und anzuhören. Andersdenkende müssen respektiert und toleriert werden, weil Grund- und Menschenrechte unabhängig von einer Überzeugung oder Meinung gelten sollten. Nicht nur in Österreich, auch in der Türkei. Außerdem löst das in Österreich, aufgrund der historischen Ereignisse, keine positiven Assoziationen aus, wenn man Tausende Fahnen auf der Straße sieht – auch wenn es nicht schlecht gemeint ist. Jede Fahne auf dieser Welt ist zu respektieren. Fahnen allgemein gehören aber nicht auf Demos. Das war eine schlechte Message an die Aufnahmegesellschaft.
Was haben die Demonstranten ihrer Meinung nach falsch gemacht?
Normalerweise wird wegen eines Einzelschicksals oder für Menschenrechte demonstriert, aber so ein Anlass ist in der Weltgeschichte unüblich. Wenn wenigstens kein AKP-Funktionär in der ersten Reihe mitmarschiert wäre oder man auf die AKP-Fahnen verzichtet hätte; wenn es wirklich nur eine private Initiative aus Österreich gewesen wäre, dann könnte man das jetzt nicht so infrage stellen. Wenn man aber mit türkischen Fahnen und mit eindeutigen Bildern pro Erdogan in Wien demonstriert, können wir nicht das Verständnis der Österreicher erwarten. Das wird man uns noch lange nachtragen. Die Erdogan-Anhänger sollten es unterlassen, die Kritik an der Erdogan-Regierung in Österreich zum „Anti-Türkei- bzw. Anti-Islam- bzw. Anti-Türken-Propagandakrieg“ umzumünzen. Wir erwarten natürlich auch objektive Berichterstattung.
Die Veranstalter der Pro-Erdogan-Demo behaupten, es habe sich um eine private Initiative ohne Unterstützung aus der Türkei gehandelt. Glauben Sie das?
Nein, 100-prozentig nicht. Das war eine Veranstaltung der AKP. Die (Erdogan-treue; Anm.) „Union of European Turkish Democrats“ hat am 13. Juni bereits eine Pressekonferenz dazu gegeben. Dafür sollten sie sich nicht schämen. (Die UETD bestritt, an der Organisation der Demo beteiligt gewesen zu sein; Anm.) Wir erwarten, dass unsere Landsleute in Österreich den Unterschied zwischen der Forderung nach Menschenrechten und der Unterdrückung jeglicher Art erkennen und entschieden gemeinsam dagegen auftreten. Egal welche politische Richtung oder welchen Glauben wir haben.
Als Beobachter hatte man den Eindruck, viele Demonstranten waren weniger wegen der politischen Botschaft da, sondern eher auf einer Art türkischem Volksfest.
Gerade deshalb war es eine politische Veranstaltung. Zum einen war es ein Signal nach innen: So stark sind wir. Das respektieren wir. Zum anderen ein Signal in die Türkei: Wir können Wahlen und Medien beeinflussen. Die AKP hat hier gezeigt: Wir können unsere Leute und Sympathisanten in Österreich mobilisieren. Eben das löst Unverständnis bei der Aufnahmegesellschaft aus. Das müssen wir ernst nehmen. Unsere Mitglieder und Bekannte meinen, dass diese Demonstrationen eine Bankrotterklärung für die jahrelange, scheinheilige, auf „Freunderlwirtschaft“ basierende Integrationspolitik der Regierungsparteien ist. Hier bräuchte man eine ehrliche und kritische Auseinandersetzung.
Was meinen Sie mit Bankrotterklärung?
Man muss sich die türkische Gesellschaft in Österreich und ihre Vereinsstrukturen anschauen: Anhänger des politischen Islam haben in Österreich diverse Vereine gegründet und meistens über die Moscheen politisiert. Diese Vereine bringen den politisierten Glauben nach Österreich. Die Regierungsparteien haben ihn salonfähig gemacht: Sie versuchen in diesem Pool Kandidaten für Kammer- oder Bezirkswahlen zu rekrutieren. Österreich ist ein Hinterland eines politischen Islams geworden. Rechtlich ist das gedeckt, aber gesellschaftspolitisch ist das fragwürdig.
Was verstehen Sie unter dem „politischen Islam“?
Im Islam ist kein Platz zwischen Gott und dem Menschen. Wir müssen zwischen dem traditionellen Islam, der auf den Sitten und Gebräuchen des Nahen Ostens beruht, und dem wahren Islam, der im Koran festgehalten ist und durch den Propheten Mohammed verkündet wurde, unterscheiden. Islam bedeutet Friede, Glück, Wohlbefinden, Vertrauen und gegen jegliche Unterdrückung aufzutreten. Wo diese Grundwerte vorhanden sind, existiert der Islam von vornherein man braucht Sie nicht zu transportieren. Auch in Österreich. Deshalb müsste ein Gläubiger, der den Koran verstanden hat, die wahren Gezi-Park-Demonstranten eigentlich unterstützen, weil sie von Unterdrückung sprechen. Im politischen Islam kommen kirchliche Funktionäre zwischen Gott und den Menschen und sie handeln ohne Kontrolle nach ihren Interessen.
Gibt es eigentlich DIE türkische Gemeinschaft in Österreich?
Nein, es gibt derzeit tiefe Gräben und Unterschiede in der türkischen Gemeinschaft. Das ist auch normal. Es gibt verschiedene politische Strömungen: viele säkular eingestellte Türken, die nicht religiös sind; viele, die gläubig sind und sehr viele, die über die Moscheen von türkischen Parteien politisiert wurden. Aber ich denke, 70 Prozent sind säkular. Und die konservativen Muslime sind auch keine schlechten Menschen – das sind auch unsere Brüder und Schwestern. Immerhin haben nach polizeilichen Angaben nur 8000 Menschen für Erdogan demonstriert. Viele hat das nicht interessiert und sie wollen die Probleme aus der Türkei auch nicht in Österreich diskutieren. Das sollte man auch sehen.
Wo sollte die österreichische Politik ansetzen, um diese zu erreichen?
Zuerst einmal bitte nicht über den Glauben Politik machen. Glaube ist eine private Sache. Wenn man versucht, darüber Politik zu machen, sollte man sich schämen, das ist unethisch und undemokratisch. Niemand geht sonntags in die Kirche, um dort Werbung für eine Partei zu machen oder politische Basisarbeit zu leisten. Warum versuchen das österreichische Politiker in den Moscheen oder den Moschee-nahen Vereinen, die ein verlängerter Arm politischer Parteien aus der Türkei sind? Es gäbe genug Möglichkeiten, die Austrotürken auf demokratischen Wegen zu erreichen: über Zeitungen, Vereine etc.
Was wollen Sie den Türken in Österreich sagen?
Wir müssen unseren Freunden vor allem sagen, dass uns der Status-quo schadet. Wir wollen uns in Österreich politisieren, wir wollen hier unsere politischen Vertreter wählen. Wir wollen kein verlängerter Arm aus der Türkei sein, egal welcher Partei. Und wir sollten unsere Empathie sensibilisieren. Die „Modernen“ sollten für die „Konservativen“ und die „Konservativen“ für die „Modernen“ gegenseitige Empathie empfinden und Respekt haben. Unser Glaube sollte von jeglichem Missbrauch getrennt behandelt und als private Sache gesehen werden.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier in Österreich leben und hier viele Rechte, aber auch sehr viele Pflichten haben. Eine davon ist, nicht zu vergessen, dass wir die Probleme aus unseren Ursprungsländern nicht auf die österreichischen Straßen bringen sollten. Dafür haben viele Österreicher kein Verständnis. Aber ich bin davon überzeugt, wenn wir gegen ein in Österreich existentes Problem demonstrieren würden, hätten die Österreicher ein offenes Ohr für uns. Denn das ist in Österreich ein waschechtes demokratisches Recht und zeigt unsere Partizipation in die Gesellschaft und Politik. Ziel ist, eine wirtschaftlich starke, unabhängige und demokratische „Neue Heimat“ zu schaffen, wo jeder Migrant seinen Teil geben kann und soll. Es geht um das Zusammenleben in Österreich, es geht um gemeinschaftliche Wohlfahrt und nicht um bloße Einhaltung von Gesetzen. Darum appelliere ich an die Vernunft und an den Verstand meiner Landsleute aus der Türkei.
Zur Person
Birol Kilic, Alevite und Muslim, ist Obmann der Türkischen Kulturgemeinde. Deren Ziel ist die kulturelle Vermittlung zwischen Migranten und Österreichern.
Herausgeber
Kilic leitet den „Neue Welt Verlag“ und gibt die türkischsprachige Zeitung „Yeni Vatan Gazetesi“ sowie das deutschsprachige Magazin „Einspruch“ heraus. Zudem ist er Vorstandsmitglied im Verband der Auslandspresse.