Die Tricks, um Lügner zu entlarven
Von Ricardo Peyerl
Lügner können einem nicht in die Augen schauen, rutschen nervös auf dem Sitz hin und her und fahren sich ständig durch die Haare? Eine weit verbreitete Theorie. Doch sie ist falsch.
Wer sich bei seiner Befragung häufig selbst angreift und den Blick schweifen lässt, ist eher darauf aus, dass man ihm glaubt und sagt wahrscheinlich die Wahrheit. Er korrigiert sich selbst und gibt zu, sich an manche Details nicht erinnern zu können – etwas, das der Lügner beim Aufsagen seiner eingelernten Aussage nicht tun würde.
Fehlurteile als Folge
Christian Grafl, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien, und seine Assistentin Monika Stempkowski haben analysiert, wie man bei Vernehmungen Lüge und Wahrheit auseinanderhalten kann (ihr Aufsatz ist in der Österreichischen Juristenzeitung bei Manz erschienen). Die Beurteilung, was von den Angaben eines Beschuldigten oder Zeugen zu halten ist, entscheidet oft den Ausgang eines Gerichtsverfahrens. Bei Fehleinschätzungen können Fehlurteile die Folge sein.
Wie Vernehmungen in Prozessen ablaufen, erlebt Grafl bei seiner Tätigkeit als Sachverständiger. Dabei fallen ihm der (mitunter raue) Umgangston und das Zeitproblem auf. Der Richter ruft den Zeugen auf: "Haben Sie den Angeklagten gesehen, ja oder nein?", und das war’s auch schon. Grafl im Gespräch mit dem KURIER: "Was macht das mit dem Zeugen, wenn der vorher vier Stunden draußen darauf gewartet hat?" Würde man sich – auch bei der Einvernahme von Beschuldigten – mehr Zeit nehmen und die Befragung einleiten ("Wie sind Sie hergekommen? Wie geht es Ihnen?"), bekäme man laut Grafl tragfähigere Aussagen.
Aus der empirischen Forschung weiß man: Es gibt kein eindeutiges Merkmal, an dem man eine Lüge erkennen kann. Aber es gibt Warnsignale: Lügner sind weniger mitteilsam und kooperativ, verwenden weniger Gesten, bringen mehr Beschwerden vor, pressen gern die Lippen aufeinander, blicken grimmiger und machen mehr Fehler, wenn sie den Ort eines Geschehens (an dem sie vielleicht gar nicht waren) beschreiben oder skizzieren müssen. Darauf verlassen sollte man sich nicht. Es gibt Methoden, mit denen man Schwindler aufs Glatteis führen und Lügen aufdecken kann. Zum Beispiel stellt man dem Gesprächspartner unerwartete Fragen oder lässt ihn ein Ereignis in umgekehrter Reihenfolge erzählen.
Eine Lüge vorzubereiten erfordert nämlich einen gewaltigen Einsatz kognitiver Ressourcen. Der Schwindler muss etwas erfinden, sein eigenes Verhalten und das des Fragenstellers kontrollieren, ob ihm geglaubt wird, und er muss die Wahrheit unterdrücken. Hat er sich eine Story ausgedacht, sie aber nicht wirklich erlebt, werden ihn unerwartete Fragen oder von hinten aufgezäumte Erzählungen völlig aus dem Konzept bringen.
Etwa: Standen viele Leute herum? Oder: Wie war das Wetter? Der Befragte muss sich die Antwort schnell aus den Fingern saugen (er war ja nicht dabei). Fragt man ihn später noch einmal danach, muss er sich nun auch noch daran erinnern, was er beim ersten Mal geantwortet hat und kommt möglicherweise ins Schleudern.
Eine weitere Möglichkeit zur Entlarvung ist das Sichtbarmachen von überspielten Emotionen. Ekel, Freude, Angst erzeugen kulturübergreifend bei jedem Menschen den gleichen Gesichtsausdruck. Doch ein vorgetäuschtes Lachen schaut anders aus. Die sogenannten Mikroausdrücke – welche die wahren Gefühle preisgeben – blitzen für den Bruchteil einer Sekunde auf. Man kann trainieren, sie zu erkennen. Hier kommt die studierte Psychologin Monika Stempkowski ins Spiel und erzählt: Selbst Schimpansen können erkennen, ob ihnen ihre Artgenossen nur vortäuschen, dass sie keine Nahrung mehr haben oder ob sie wirklich "auf dem Trockenen" sitzen.
Ausbildung
Kriminologe Grafl meint, Ermittlungsbeamte sollten solche Dinge lernen, und auch in der Richterausbildung sollte das auf dem Programm stehen. Bisher hat er von Polizisten eher gehört: "Ich weiß eh, wenn einer lügt. Ich brauch ihm nur in die Augen schauen."
Wenn das nur kein Irrtum ist.