Meine Familie, meine Geschichte
Von Nicole Kolisch
Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?"
So beginnt das Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters" des deutschen Dramatikers Bertolt Brecht. Dass man Brechts Zeilen heute einer eindeutigen politischen Richtung zuordnet (Oskar Lafontaine ließ sie in das Grundsatzprogramm der "Linken" schreiben), ändert nichts an ihrer universellen Gültigkeit: Geschichtsschreibung wird von Herrschenden gemacht, von Menschen, die Zugang zu Produktions- und Publikationsmitteln haben.
Die Kriegsherren
Es sind Kaiser, die Kriege erklären, aber es sind Soldaten, die im Schützengraben frieren. Es sind Krankenschwestern, die Dreifachschichten im Lazarett schieben und Näherinnen, die Uniform um Uniform zuschneiden. Es sind Kinder, die sich einen Tag lang anstellen, um der Mutter eine Kartoffelration zu sichern. Sie alle sind das Geschichten-Puzzle, aus denen Geschichte gemacht wird – eine Geschichte, die es lohnt, immer wieder neu zu erzählen. Insbesondere im "überaus heiklen" Gedenkjahr, wie es Historiker Wolfgang Maderthaner nennt (siehe Interview unten).
Mein Opa, der Zeitzeuge
Es sei denn, er oder sie hat schon! Hatte Ihre Oma ein Tagebuch? Hat Ihr Opa die Briefe aufgehoben, die die Feldpost brachte? Wurden bei Familientreffen immer wieder die selben alten Geschichten vom "14er Jahr" erzählt? Als Kind wollten Sie das gar nicht mehr hören, aber heute wünschten Sie, es hätte jemand aufgeschrieben...
Genau das tun wir für Sie! Schicken Sie uns Ihre Familienerinnerungen. Wir wollen Geschichte schreiben – ein Geschichtsbuch der Kleinen statt dem etablierten Geschichtsbuch der Großen.
Wir freuen uns über Zusendungen unter leserservice@kurier.at oder per Post an KURIER, Lindengasse 52-52a, 1070 Wien, Kennwort: 1914.
Die genauen Teilnahmebedingungen finden Sie unten.
Der Erste Weltkrieg wurde nicht nur an der Front geführt: Zum ersten Mal in der Geschichte wurde die Zivilbevölkerung total in den Krieg einbezogen und mobilisiert. So sollte sie nicht nur Waffen produzieren, sondern die Truppen auch moralisch unterstützen. Doch Tod, Hunger und Entbehrung trübten die Stimmung.
1914 entwickelt sich der erste Massenkrieg, die Tötungstechnologie ist hoch entwickelt, der Verlust an Menschenleben enorm. Der Anlass, aber nicht die Ursache, für den Weltenbrand ist das Attentat an Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajevo.
2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal. „Es ist ein überaus heikles Gedenken“, sagt Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs. „Eigentlich haben wir 100 Jahre nichts gemacht. Die Österreichisch-Ungarische Monarchie war eindeutig der Verlierer und belastet mit der Kriegsschuld.“
Urkatastrophe
Der bekannte Historiker befürwortet ein Gedenken. Sein Argument: „Der Erste Weltkrieg ist in seiner Schrecklichkeit und Dimension so etwas wie die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, die Urkatastrophe der Moderne.“ In Mitteleuropa, einem Raum der Zivilisation, „passiert der Wahnsinn. Das ist der Punkt, warum man sich erinnern muss.“
Ohne den Ersten Weltkrieg und den zweifelhaften Frieden, der nachher geschlossen wurde, wäre vieles von dem, was im Zweiten Weltkrieg passiert und was Propaganda des Hitlerfaschismus ist, einfach nicht denkbar, erläutert Maderthaner.
Vor 58 Jahren, am 26. Oktober 1955, beschloss der Nationalrat die immerwährende Neutralität Österreichs. Das feiern wir am Nationalfeiertag, auch wenn man uns in der Schule erzählt hat, da habe der letzte Besatzungssoldat unser Land verlassen. Das ist eine liebe Geschichte, freilich auch ein schönes Bild zur Festigung eines rot-weiß-roten Patriotismus.
Zehn Jahre nach der Befreiung konnte Österreich seine Unabhängigkeit demonstrieren. Zwei Weltkriege hatten 80, vielleicht gar 100 Millionen Menschenleben vernichtet, in Österreich hatte ein Bürgerkrieg dazwischen auch noch die innere Struktur der Gesellschaft zerstört.
Dabei hätte sich vor 100 Jahren niemand vorstellen können, dass es zu einem großen Krieg kommt. Im kältesten Sommer des Jahrhunderts, den Florian Illies in seinem Buch „1913“ beschreibt, reden alle über die Thesen des Briten Norman Angell: Weltkriege könne es nicht geben, weil die Staaten wirtschaftlich zu eng miteinander verbunden seien.
Angell hatte leider nicht recht. Nach dem Attentat von Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand stellte Wien den Serben ein Ultimatum und erklärte schließlich am 28. Juli 1914 den Krieg.
Die Schuldfrage beschäftigt seither die Historiker. War es der greise Kaiser Franz Joseph, der den Balkan endgültig unter seine Kontrolle bringen wollte? Oder der deutsche Monarch Wilhelm II., der über Jahre seine Flotte aufgerüstet hatte? Oder doch der russische Zar Nikolaus II., der die Osmanen schwächen wollte? Oder stimmt die These, die der britische Historiker Christopher Clark jetzt im Titel seines neuen Buches „Die Schlafwandler“ aufstellt? Laut Clark war der Erste Weltkrieg „eine Tragödie, kein Verbrechen“. Clark: „Die Krise, die im Jahr 1914 zum Krieg führte, war die Frucht einer gemeinsamen politischen Kultur. Multipolar, interaktiv, das komplexeste Ereignis der Moderne.“
Vereinigte Staaten
Sicher ist, dass ausgerechnet Thronfolger Franz Ferdinand vor seiner Ermordung an einer Lösung für das Problem der Nationalitäten im Habsburgerreich arbeitete: Die „Vereinigten Staaten von Groß-Österreich“, ein föderales System gleichberechtigter Staaten.
Zwei Weltkriege später haben wir ein Europa, wo die Verschiebung von Grenzen nur mehr von völlig Verrückten thematisiert wird, wo Nationalismus in den Fußballstadien zelebriert wird, und wo es endlich Institutionen gibt, wo geredet, oft auch gestritten wird, aber nicht über Grenzen oder militärische Aufmarschpläne.
Ist die Europäische Union die Vorstufe zum Paradies? Sicher nicht. Sie ist das Produkt von nationalen Politikern, die wiedergewählt werden wollen und Vorteile für ihr Land suchen. Die aber auch wissen, dass alle Staaten auf einen halbwegs fairen Ausgleich der Interessen angewiesen sind. Wenn FPÖ-Chef Strache in dieser Woche der EU vorwirft, „wie eine global organisierte Räuberbande“ zu agieren, dann hat er aus der Geschichte gar nichts gelernt. Oder er setzt wirklich nur darauf, die Leute zu verhetzen. Beides keine guten Voraussetzungen für einen Politiker in schwierigen Zeiten.
Wir Europäer haben in der Mehrheit aus der Geschichte gelernt. Hoffentlich. Alles andere wäre der Weg in die nächste Katastrophe.
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