Betreuung in Kinderdorf statt Haft
Von Nihad Amara
Besser hätte das Timing von Christian Moser, dem Chef der SOS-Kinderdörfer, wohl nicht sein können: Im Rahmen einer Pressekonferenz zog er am Mittwoch über das Arbeitsprogramm der Regierung im Bereich Kinder und Jugendliche vom Leder. Beim Thema Jugendhaft konstatierte er „Handlungsbedarf“, und streckte den verantwortlichen Politikern die Hand entgegen: SOS-Kinderdorf sei bereit, zehn „geringfügig“ straffällige Jugendliche in Einrichtungen zu integrieren. Sozialpädagogik statt Haftstrafe, lautet sein Credo. „Das Gefängnis ist kein Ort für einen jugendlichen Handydieb.“ Nachsatz: Man brauche nur eine Weisung eines Richters.
Bald könnte die Justiz auf das Angebot zurückkommen. Denn genau solche Alternativen zum Wegsperren empfiehlt die heuer eingesetzte Taskforce, die im Auftrag der (nunmehrigen) Ex-Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) Reformvorschläge für die Untersuchungs- und Strafhaft von Jugendlichen erarbeitet hat. Der Abschlussbericht der Experten aus Justiz und Sozialarbeit – der dem KURIER vorliegt – lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Wenn möglich, soll Haft vermieden, sonst verkürzt und nur als Ultima Ratio vollzogen werden. Die „Umsetzung wird nun geprüft“, erklärt ein Sprecher des Justizministeriums.
Den Stein ins Rollen brachte der Fall eines erst 14-Jährigen, der in U-Haft vergewaltigt wurde. Später stellte ein Psychiater fest, dass der 14-Jährige bei seiner Tat (Raub) „verzögerte geistige Reife“ besaß. Alleine seit 2010 wurden 56 Übergriffe auf jugendliche Opfer in Justizanstalten angezeigt. Sie zeigten nicht nur Missstände, sondern auch die fehlende Sensibilität der Justizministerin („Strafvollzug ist nicht das Paradies“) auf.
Anstatt Jugendliche in U-Haft zu stecken, sprechen sich die Experten klar für eine Unterbringung in Wohngemeinschaften aus. Derzeit hat ein Richter zwei Optionen: Entweder der Jugendliche wird inhaftiert oder sich selbst überlassen. Dazwischen klafft eine Lücke, die mit den angedachten betreuten Wohneinheiten geschlossen wird. Ihre U-Haft sollen Heranwachsende zukünftig – sofern es die Schwere des Delikts zulässt – in einem „Jugendzimmer“ anstatt in der Zelle absitzen. Bedarf für solche Alternativen ergaben auch die erhobenen Zahlen: Von den im Laufe des Vorjahres enthafteten 432 Jugendlichen wurden zwei Drittel nach spätestens drei Monaten entlassen, „sodass sich die Frage der alternativen Unterbringung (erneut) stellen musste“, heißt es im Bericht.
24-Stunden-Betreuung
Derzeit führt die Vollzugsdirektion Gespräche mit fünf Sozialvereinen. Der Teufel könnte aber im Detail liegen, denn die Jugendhilfeträger sprechen sich gegen „freiheitsentziehende Maßnahmen“ aus. Betreute Wohnplätze bot etwa der Verein Wobes an: Um die Betroffenen würden sich Pädagogen, Sozialarbeiter und Psychiater kümmern, und zwar 24 Stunden am Tag. Das Geld dafür kommt von der Justiz.
Zusätzlich soll ein „Forum für die Suche nach Alternativen zur Haft“ geschaffen werden. Die Jugendgerichtshilfe ist dabei zentral: Sie erstellt sofort nach Einlieferung ein Dossier über den Betroffenen, um für den Richter eine Entscheidungsbasis zu schaffen. Deshalb empfiehlt die Taskforce, die Jugendgerichtshilfe (die bisher nur im Sprengel Wien existiert) österreichweit auszubauen.
Außerdem drängen die Experten darauf, den Beschuldigten und sein soziales Netz wie Verwandte oder Freunde zu involvieren. Gemeinsam sollen sie einen Vorschlag erarbeiten, der dem Haftrichter vorgestellt wird. Dazu läuft derzeit ein erfolgreiches Pilotprojekt vom Verein Neustart.
Statistik
Anzeigen Zehn Prozent der heimischen Verdächtigen sind jugendlich. 2012 wurden 26.549 angezeigt.
Verurteilung Nur jeder zehnte angezeigte Jugendliche wurde 2012 verurteilt. Im Jahr 1990 war es noch jeder Fünfte.
Grund der Inhaftierung Das Ranking führen Eigentumsdelikte an, gefolgt von Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz.
Aktuelles in Zahlen 593 Jugendliche waren im Jahr 2012 in Haft. 280 „Kurzläufer“ gab es 2012. Sie wurden nach spätestens drei Monaten enthaftet.