Chronik/Österreich

Immer mehr Flüchtlinge werden auf Autobahnen ausgesetzt

Es sind Szenen, die selbst erfahrene Ermittler der Autobahnpolizei Schwechat nicht kalt lassen.

Männer, Frauen und Kinder, die in Panik über die sechsspurige Ostautobahn (A4) beim Flughafen Wien-Schwechat laufen. Menschen, die in der Dunkelheit am Straßenrand entlang irren. Es sind Flüchtlinge, die teils traumatisiert und orientierungslos auf Österreichs Straßen ihrem Schicksal überlassen werden. "Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass noch niemand getötet wurde", schüttelt ein Polizist den Kopf. In den vergangenen zwei Wochen wurden allein entlang der A4 rund 500 Flüchtlinge aufgegriffen.

Negativer Rekord

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Betroffen sind das Burgenland, Nieder- und Oberösterreich sowie Teile Salzburgs. Im Burgenland wurde Montag ein trauriger Rekord verbucht: An diesem Tag mussten 250 Personen zur Sammelstelle Nickelsdorf gebracht werden. 7800 Aufgriffe verzeichnete die burgenländische Exekutive bis Ende Juli – davon 7500 im Bezirk Neusiedl. Die Menschen werden entlang der A4 oder auch in Ortschaften, wie Parndorf, Frauenkirchen und Halbturn ausgesetzt. Auch auf der B15 bei Mannersdorf/Hof NÖ gab es schon Aufgriffe. Die meisten Schlepper nutzen den einsetzenden Berufsverkehr im Morgengrauen.

Viele Flüchtlinge wollen weiter nach Deutschland. So ist es kein Wunder, dass auch die Westautobahn durch Oberösterreich ein Schwerpunkt ist. Allein am Montag und Dienstag sind laut Landespolizeidirektion an die 100 Flüchtlinge entlang der Autobahnen in Oberösterreich aufgegriffen worden. Darunter 55 Afghanen im Bereich der Autobahnabfahrt Pichl bei Wels, 20 bei der Ausfahrt Wels sowie acht bei der Ausfahrt Ried im Traunkreis. Dabei sollen auch zwei Schlepper festgenommen worden sein.

Dehydriert

Aber auch abseits der Autobahnen werden Menschen ausgesetzt. So irrten in Waldheim bei Amstetten (NÖ) 28 Flüchtlinge auf der Bundesstraße 121 durch die Nacht. Syrische Familien mit Kleinkindern und junge Männer aus Afghanistan mussten in der Garage der Polizeiinspektion in Amstetten versorgt werden. Drei Personen benötigten medizinische Betreuung im Spital. Ein dehydriertes Baby musste im Krankenhaus bleiben.

Die Polizei hat bis jetzt noch keinen Unfall mit umherirrenden Flüchtlingen registriert. Für die Beamten ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis es einmal kracht. In Deutschland wird bereits die Einführung von Tempolimits diskutiert.

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Allein im niederösterreichischen Straßennetz wurden dieses Jahr bereits 15.350 Flüchtlinge aufgegriffen. "Es geht um die Sicherheit der Autofahrer und der Flüchtlinge," sagt der Chef der nö. Landesverkehrsabteilung, Ferdinand Zuser(Bild). Allerdings gäbe es kein Patentrezept: "Die Aufgriffe lassen sich ja nicht örtlich festmachen. Wir haben Einsätze in Loosdorf, Böheimkirchen oder auch in Amstetten. Tempolimits machen nur dann Sinn, wenn der Fahrzeuglenker auch den Grund erkennt. Wenn er die Stelle öfters passiert und er sieht nie eine Gefahr, wird er sich auch an das Limit nicht halten."

Auch beim Autobahn-Erhalter ASFiNAG ist man alarmiert. Durch die Überwachungskameras werden die Verkehrslotsen oft Zeugen, wenn Schlepper ihre Fahrgäste aussetzen. Die Verhängung von Tempolimits falle aber in die Zuständigkeit der Behörden, erklärt Sprecherin Alexandra Vucsina-Valla. Wird ein Vorfall beobachtet, fahren Traffic-Manager der ASFiNAG los. Die haben aber nur die Aufgabe, Autolenker vor den herumirrenden Flüchtlingen zu warnen. Die Versorgung dieser Menschen ist wiederum Aufgabe der Polizei.

Auch im Innenministerium ist man sich der Problematik bewusst, findet dort aber ebenfalls kein Patentrezept. Die einzigen praktikablen Möglichkeiten, so ein Sprecher, seien verstärkte Streifentätigkeit und der Kampf gegen die Schlepperbanden.

In Bayern diskutieren Politik und Polizei über Tempo 80 auf den Autobahnen. Es geht um keinen Ozonalarm – es sind, besonders im Grenzbereich, zu viele Flüchtlinge zu Fuß auf den Fahrbahnen unterwegs.

Auch auf Österreichs Straßen sind die neuen Fußgänger unterwegs. Besonders entlang der Route vom Burgenland bis Oberösterreich. Aber auch im Bereich der Wiener Stadtautobahnen werden immer öfter Menschen am Straßenrand ausgesetzt. Auf der Suche nach Hilfe marschieren sie orientierungslos weiter. Das ist lebensgefährlich.

Als Reaktionen gibt es jetzt mehr Polizeistreifen. Und: Die Autofahrer sollten aufpassen. So lautet der Rat der Behörden. Ob sie nach dem ersten großen Crash weiterhin so argumentieren werden?

Montagvormittag auf einer Staatsstraße im Landkreis Passau. Autofahrer melden Flüchtlinge, die dort herumirren. Streifen des Polizeipräsidiums Niederbayern finden 71 Migranten vor. Aufgriffe wie diese werden immer häufiger. Auf Autobahnen ist die Gefahr für die Flüchtlinge und Verkehrsteilnehmer besonders groß. Die Polizei fordert nun Tempolimits auf besonders betroffenen Strecken. Und zu denen zählt vor allem die A3, die hinter der deutschen Grenze an die Inntalkreis-autobahn in Oberösterreich anschließt.

Allein im Juli wurden dort laut der Süddeutschen Zeitung 1500 Flüchtlinge aufgegriffen. Im bayerischen Innenministerium soll noch diese Woche darüber beraten werden, ob in diesem Autobahnabschnitt die erlaubte Geschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt wird.

Großteil aus Österreich

Wie in Österreich schwillt auch in Bayern der Flüchtlingsstrom kontinuierlich an. Berichte über Quartiersuche, Abschiebe-Modalitäten oder Aufgriffe beherrschen die Medien im Freistaat. "Im ersten Halbjahr 2015 wurden bayernweit 32.000 illegale Migranten festgestellt", sagt Thomas Borowik von der deutschen Bundespolizei. Und die Flüchtlinge kommen nahezu ausschließlich über Österreich. Mehr als 30.000 waren es im genannten Zeitraum, die von Tirol, Salzburg oder Oberösterreich aus die Grenze nach Deutschland überquert haben.

Balkanroute explodiert

Auf den Routen der Schlepper, die Flüchtlinge immer öfter einfach auf der Straße aussetzen, zeichnet sich eine Verlagerung ab. "Die Kollegen im Revier Passau haben inzwischen mehr Aufgriffe als die in Rosenheim", berichtet Borowik.

Das zeigt, dass immer mehr Flüchtlinge über den Osten Österreichs von der Balkanroute kommen. In Passau wurden im ersten Halbjahr 2014 gerade einmal 900 Flüchtlinge gezählt. Heuer waren es 13.000. Die Polizei kommt inzwischen gar nicht mehr dazu, alle illegalen Migranten ordnungsgemäß zu registrieren, heißt es aus Gewerkschaftskreisen.

Auf der Brennerroute, die für Flüchtlinge im Falle eines Aufgriffs in Deutschland in Rosenheim endet, ist ungeachtet dieser Entwicklung keine Entspannung absehbar. Laut Tiroler Fremdenpolizei wurden seit Jahresanfang bis Ende Juli allein in Zügen rund 3500 Flüchtlinge festgestellt und damit doppelt so viele wie im selben Zeitraum 2014.

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Mittlerweile lassen Schlepper ihre Opfer nicht nur auf offenen Hauptdurchzugsrouten im Stich, sondern auch immer öfter im Hinterland. So wurden Dienstag Früh 28 auf der Bundesstraße 121 bei Amstetten/Waldheim durch die Finsternis irrende Flüchtlinge von einer Polizeisteife aufgegriffen.

Die syrischen Familien mit etlichen Kleinkindern und die jungen Männer aus Afganisthan hatten eine unmenschliche Reise durchzustehen gehabt. Sie waren in einem Ford Transit mit ungarischem Kennzeichen zusammengepfercht transportiert worden. Dem Schlepper gelang die Flucht. Von der Polizei wurde die Gruppe zur Polizeiinspektion Amstetten gebracht und in der dortigen Garage versorgt. Das Rote Kreuz kümmerte sich um die gesundheitliche Verfassung, die Polizei um die Verpflegung und die Aufnahme der persönlichen Daten der Flüchtlinge. Drei Personen benötigten medizinische Betreuung im Spital. Ein völlig dehydriertes Baby musste überhaupt im Krankenhaus bleiben.

Wohin die Flüchtlinge, die übriges nicht um Asyl ansuchten, weil sie nach Deutschland weiterreisen wollten, gebracht werden können, wusste Amstettens Inspektionskommandant Oliver Zechmeister am Vormittag vorerst nicht. "Der normale Sicherheitsdienst wird durch die beinahe täglich anfallenden Flüchtlingsfälle arg beschnitten. Die Mannschaft ist an der Kapazitätsgrenze", meinte Zechmeister. Vor allem die Arbeitsbelastung für Beamte, die fremdenpolizeiliche Belange bearbeiten, reiche oft weit über 24 Stunden hinaus. Heute Nachmittag war klar, dass die Flüchtlinge nicht in der Polizeigarage übernachten müssen. Dem Amstettener Inspektionskommando war ihre Abholung für den Abend angekündigt worden.