Pegel sinken, ein Toter bei Aufräumarbeiten, im Westen drohen Muren
Während in Ober- und Niederösterreich die Aufräumarbeiten auf Hochtouren laufen, entlang der Donau die Pegel am Sinken sind, droht im Westen neue Gefahr. In Salzburg sind die Schutzbauwerke der Wildbach- und Lawinenverbauung randvoll und müssen nun so rasch wie möglich geleert werden - spätestens am Sonntagabend drohen erneut heftige Gewitter. Das Hochwasser hat mittlerweile ein fünftes Todesopfer gefordert. Heute, Freitag, starb in Aigen bei Admont, Steiermark, ein Mann. Der 49-jährige war bei Räumungsarbeiten nach einem Erdrutsch mit seinem Schwerfahrzeug abgestürzt. Dabei wurde er durch die Windschutzscheibe geschleudert, kam unter dem Führerhaus zu liegen und starb noch an Ort und Stelle.
Vermisst
Seit Beginn des Hochwassers werden nach wie vor vier Personen vermisst. Von der 16-jährigen Sandra Kobler und Katrin Stadlbauer, 20, beide aus Oberösterreich, fehlt seit rund einer Woche jede Spur.Stadlbauer war in der Nacht auf Sonntag zu Fuß auf dem Heimweg von einem Fest. Bekannte wollen sie zuletzt zwischen 2.30 und 3 Uhr gesehen haben. Dass sie in die Hochwasser führende Rodl gestürzt ist, schließen die Einsatzkräfte nicht aus.Bereits am Dienstag haben Polizisten, Feuerwehrleute und Spürhunde das Flussufer nach der 20-Jährigen aus Eidenberg, Bezirk Urfahr-Umgebung, abgesucht – ohne Erfolg. Laut Feuerwehr soll es eine Suchaktion geben, wenn sich das Hochwasser zurückgezogen hat. In Berg bei Rohrbach bangen Familie und Freunde um Sandra Kobler. Sie wurde am Freitag der Vorwoche noch mit Freunden in einem Café gesehen. Seither gilt das Mädchen als vermisst. „Leider hat niemand irgend etwas gesehen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt Bürgermeister Josef Pernsteiner. Die Polizei geht nicht von einem Gewaltverbrechen aus. Im Salzburger Pinzgau bei Taxenbach werden noch immer eine 19-Jährige und ein 48-jähriger Landwirt vermisst.
Bundesheer mit 3000 Mann im Einsatz
Der Assistenzeinsatz des Bundesheeres erreicht heute, Freitag, voraussichtlich seinen Höchststand. Neben den zahlreichen zivilen Helfern und vielen Freiwilligen sind mittlerweile etwa 3000 Soldaten im Einsatz. In Niederösterreich helfen rund 1500 Soldaten. 1200 sind in der Wachau mit Aufräumungs- und Rückbaumaßnahmen beschäftigt. Sie helfen Schlamm beseitigen und unterstützen die Bewohner beim Rücksiedeln in ihre Häuser. Die Soldaten verwenden dabei schweres Gerät wie Bagger und Radlader. In Hainburg wurde heute von der zivilen Einsatzleitung ebenfalls das Bundesheer angefordert. Rund 300 Soldaten unterstützen unter anderem bei Dammsicherungsmaßnahmen.
Etwa 400 Soldaten sind in Salzburg im Raum Taxenbach, Zell am See, Fusch und Hüttau in Salzburg eingesetzt. Sie öffnen Verkehrslinien und beseitigen Vermurungen und Verklausungen. Auch in Oberösterreich helfen knapp 900 Soldaten beim Wiederherstellen der Infrastruktur.
Pegel sinken
Der Donau-Pegel in Niederösterreich fiel am Freitag um drei bis sieben Zentimeter pro Stunde. Bis auf dem Strom wieder Mittelwasser erreicht wird, werde es vermutlich noch bis zu einer Woche dauern. Abhängig sei das natürlich auch von der Niederschlagstätigkeit in den kommenden Tagen, so der Hydrografische Dienst NÖ. In der Gegend um Hainburg sind die Helfer nach wie vor damit beschäftigt, die Dämme zu sichern. Diese dürften aber halten. Auch Tiere in den Augebieten sind besonders vom Hochwasser betroffen.
Auch die Verkehrslage entspannte sich vom Westen her zunehmend, obwohl am Freitag noch zahlreiche Straßen entlang der Donau, des Inn oder auch im Salzkammergut unpassierbar waren. Positive Nachrichten auch von den ÖBB und der Deutschen Bahn (DB): Ab 12. Juni soll die Korridorstrecke zwischen Kufstein und Salzburg wieder befahrbar sein. Alle Verkehrsinfos
In einigen Hochwassergemeinden kehrt langsam aber sicher so etwas wie Normalität ein. In der Altstadt von etwa: Dort, wo am Montag noch das Wasser kniehoch stand, stehen Autos und Stühle in den teilweise wieder geöffneten Schanigärten. Bier und andere Güter werden an die Geschäfte im Zentrum bis vor die Haustüre geliefert. Zillen sind schon längst nicht mehr unterwegs.
Brunnen testen
Für all jene Niederösterreicher, die einen Hausbrunnen für die Trinkwasserversorgung nutzen und im Hochwassergebiet liegen, empfiehlt es sich, die Wasserqualität untersuchen zu lassen und den Brunnengegebenenfalls zu reinigen und zu desinfizieren. Für die zahlreichen Betroffenen bietet die Energie- und Umweltagentur NÖ kostenlose Hausbrunnenberatungen an. Energie- und Umweltagentur NÖ, Telefon 02742/219 19, e-mail office@enu.at.
Neuer Damm in Oberösterreich
Die Pegelstände in Oberösterreich waren zuletzt sowohl an der Donau als auch an Traun und Enns sinkend. An der Donau rechneten die Hydrologen damit, dass die Warnstufe - sie liegt in Linz und Mauthausen bei fünf Metern - am Samstag unterschritten wird. Die Meteorologen wollten für Oberösterreich vorerst keine Entwarnung geben. Am Freitag wurde bekannt, dass das Eferdinger Becken, einer der Hochwasser-Brennpunkte, einen Damm bekommt. Darauf haben sich Umweltlandesrat Rudi Anschober (Grüne) und Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) verständigt. In einem Lokalaugenschein informierten sie Freitagnachmittag die betroffenen Gemeinden. Der Zeitplan müsse erst fixiert werden, ebenso die Finanzierung, hieß es. Anschober geht davon aus, dass die Detailfragen innerhalb der kommenden zwei Jahre geklärt sind.
Salzburg
Das Hochwasser vom vergangenen Sonntag hat in den Salzburger Bergen nicht nur für Überflutungen und Muren gesorgt, sondern auch die Schutzbauwerke der Wildbach- und Lawinenverbauung bis zum Rande gefüllt. Die Situation ist weiter kritisch. Eine für Sonntagabend erwartete Kaltfront kann heftige Gewitter mit Sturm, Hagel und Starkregen auslösen. Damit sind Muren und auch lokale Überflutungen wahrscheinlich. Die Böden seien oberflächlich zwar wieder trocken, innen drinnen allerdings wie ein Schwamm vollgesaugt. Regen fließt sofort ab, Rückhalteflächen wie Wiesen stehen aber nach wie vor unter Wasser. Vor allem im Pinzgau sind die Schutzbauwerke und Muren-Sperren mit Schutt und Holz bis zum Rande verlandet und so voll, dass sie dringend freigemacht werden müssen, um ein weiteres Hochwasser-Ereignis abfedern zu können. In einzelnen Bauwerken würden teilweise bis zu 30.000 Kubikmeter Schutt liegen."Wir arbeiten derzeit auf Hochdruck, um die Hotspots auszuräumen", sagte am Freitag Gebhard Neumayr von der Wilbach- und Lawinenverbauung Pinzgau. In Taxenbach und Hüttau laufen die Aufräumarbeiten weiter auf Hochtouren.
Tirol
Obwohl es noch vereinzelt zu Hangrutschen kommt, hat sich in Tirol die Lage etwas beruhigt. Im Zillertal drohe nach wie vor ein massiver Felssturz, erklärte Gunther Heissel, Fachbereichsleiter der Landesgeologie. Es sind auch noch einzelne Häuser evakuiert. Die Lage wird sich in Teilen Tirols wieder zuspitzen, sagte Heissel. Bis Dienstag früh sind 50 Liter Regen pro Quadratmeter vorhergesagt. Es werden weitere Vermurungen und Hangrutsche befürchtet. „Dadurch könnte es noch einmal kritischer werden“, sagte er.
Bilder: Das große Aufräumen
Wien
Die Hochwasserlage entspannt sich auch in Wien immer weiter: An den Uferbegleitwegen an der Neuen Donau wurde bereits mit den Aufräumarbeiten begonnen. Angeschwemmter Schlamm im Bereich der Treppelwege und bei Bauwerken muss innerhalb kürzester Zeit entfernt werden. Trocknet dieser aus, so werden die Arbeiten erschwert. Mehr als 60 Kräfte der Stadt, der Wasserstraßengesellschaft Via Donau und der Feuerwehr werden mehrere Wochen lang täglich im Reinigungs-Einsatz sein, kündigte die MA 45 an. Der Bereich rund um die Donauinsel werde dabei in mehreren Etappen von Schlamm und Treibgut befreit. Die Treppelwege seien im Moment nicht passierbar, die höher gelegenen Wege im Gegensatz dazu frei. Das Badeverbot bleibt weiter aufrecht. Auch in den Wiener Häfen Lobau und Albern, die in den vergangenen Tagen überflutet waren, entspannt sich nun die Lage: In Albern stehe das Wasser noch fünf bis zehn Zentimeter hoch, in der Lobau 50 Zentimeter. Mit den Reinigungsarbeiten wurde zum Teil schon begonnen, kommende Woche sollen die Häfen wieder in Betrieb gehen.
Das Hochwasser ist auch bei den Kindern der Volksschule Rohrwassergasse im 12. Wiener Gemeindebezirk ein großes Thema. Fürs Aufräumen sind sie zwar noch zu jung, doch sie haben ihren eigenen Weg gefunden, um zu helfen: Postkarten malen und sie verkaufen. Der Erlös wird ans Rote Kreuz gespendet.
Eine „coole“ Aktion, findet die 9-jährige Sanja. Lehrerin Rebekka Gruber ist stolz über das Engagement der Kinder. „Sie zeichnen und verkaufen ganz fleißig“, erzählt sie. Auch die Eltern beteiligten sich tatkräftig. Ein Vater nahm gleich einen Stapel Karten mit, um sie in seiner Firma zu verkaufen.
Nach dem Rückgang der Wassermassen machten sich Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger am Freitag ein Bild vor Ort. In Klosterneuburg besuchten sie Soldaten, die gemeinsam mit der Feuerwehr Schlamm wegräumen. „Die Lage entspannt sich, Gott sei Dank“, erklärte der Vizekanzler.
Parteigründer Frank Stronach kündigte indes an, für die Hochwasser-Opfer 500.000 Euro zu spenden. Politiker, Beamte und Funktionäre forderte er auf, zehn Prozent ihres Nettogehalts ebenfalls zu spenden.
Mehrere Autofahrer, die wegen des Hochwassers in Passau über die Innkreisautobahn ausweichen mussten, sind dort von der Asfinag zur Kasse gebeten worden. Wer ohne Vignette bis zur Ausfahrt Suben weiterfuhr, zahlte dafür unter Umständen 120 Euro Strafe – zu Unrecht, wie ASFiNAG-Sprecher Christoph Pollinger bestätigt. „Es handelte sich um eine behördliche Umleitung, in diesem Fall besteht keine Vignettenpflicht.“
Wie viele Autofahrer betroffen sind, kann Pollinger nicht sagen. „Die Mautaufsichtsorgane waren nicht rechtzeitig informiert. In Linz, wo es ebenfalls eine behördliche Umleitung über die Autobahn gab, wurden aber keine Strafen mehr verhängt.“ Wer zu Unrecht bezahlt hat, bekommt sein Geld zurück. Der Zeitpunkt der vermeintlichen „Maut-Sünde“ lasse sich anhand des Strafmandats exakt nachvollziehen, sagt Pollinger. Betroffene können sich an das Service-Center der ASFiNAG unter 0800/ 40012400 wenden.
Der Volksmusikabend am Freitag ist abgesagt. Zum Feiern ist in Taxenbach niemand zumute. Der 2700-Einwohner-Ort im Salzburger Pinzgau wurde vom Hochwasser besonders schwer erwischt; aus den Ufern getretene Bäche überfluteten zahlreiche Häuser, außerdem sind nach zwei Murenabgängen noch immer zwei Bewohner vermisst – eine 23-Jährige und ein 48-jähriger Landwirt.
Taxenbach ist im Ausnahmezustand. Der Bahnhof steht im Schlamm, der Zugverkehr ist eingestellt und die Bundesstraße nach Taxenbach nur stundenweise offen. Über dem Ort kreisen Hubschrauber, ein „Black Hawk“ fliegt Baumstämme aus dem Tal. Und überall Soldaten und Feuerwehrleute.
Unweit vom Zentrum des Ortes, mit Blick auf die Kirche, hat Reinhard Reiter seit 20 Jahren sein Häuschen im Schmiedgraben stehen. Daran vorbei fließt ein kleines Bächlein, ein Rinnsal – doch am vergangenen Sonntag Vormittag verwandelte sich dieser zu einem wilden Fluss. „Der ist zwei Meter hoch geworden und hat alles mitgerissen“, erzählt der 47-Jährige. Das Doppel-Carport ward seitdem nicht mehr gesehen; Garage, Werkstatt, Abstellraum, Waschküche wurden verwüstet.
Bis zum Fenstersims stand der Schlamm. „Dabei hatten wir voriges Jahr alles neu gemacht“, sagt Reiter. Er zündet sich wieder eine Zigarette an. „Ich bin nervlich sehr angespannt, kann nachts kaum schlafen“, erzählt er. Weil er Angst hat, dass das Wasser nach einem Gewitter zurückkommt, ist er samt Familie zu Verwandten gezogen.
Spur der Verwüstung
Hundert Meter hangaufwärts hat das Jägerbataillon aus Tamsweg zwei Tage lang gebraucht, um den Schlamm aus der Spenglerei zu schaffen. Das sich meterhoch türmende Wasser des Schmiedgrabenbaches hatte selbst die Außenmauern des Betriebes eingedrückt und die Fensterscheiben aus Panzerglas eingeschlagen. „Es ist alles hin“, sagt HauseigentümerJosef Ampferer, „die Einrichtung, die Maschinen, die Ware.“
Er schätzt den Schaden auf mindestens 200.000 Euro. Geld, das er von der Versicherung wohl nie sehen wird, wie er vermutet. „Ich weiß nicht, ob und wie es weitergeht.“
Ein paar Kilometer entfernt, im Ortsteil Högmoos, steht Sebastian Brunner kopfschüttelnd vor dem Haus, das er vor einem Monat seinem Sohn Günther übergab – und das nun bis zum ersten Stock überschwemmt wurde. „Seit mindestens hundert Jahren ist hier nie etwas passiert“, sagt er. Er war gerade im Badezimmer, als es losging. „Ich bin in letzter Sekunde noch aus dem Haus gekommen.“Wieder kreist ein Hubschrauber des Bundesheeres über Taxenbach, doch nicht aus diesem Grund schauen die Menschen besorgt nach oben. Es beginnt zu regnen.