Chronik/Österreich

Den Gefühlen der Pflanzen auf der Spur

Knirsch, knirsch. Wie eine Herde Wald-Elefanten trampelt die Wandergruppe über den Almboden. Kronblätter werden ausgerissen, Blüten-Stängel zerquetscht, Blätter bleiben hängen und werden abgerissen. Der Exkursionsleiter im Ybbsbachsteinwald in Niederösterreich listet alle Arten, die auf der Weide wachsen, auf. Auf eine Frage hat er aber keine Antwort: „Tut’s weh?“

Daniel Chamovitz hat eine: „Ich bin überzeugt: Nein. Pflanzen empfinden keinen Schmerz.“ Chamovitz hat sein Forscherleben den Parallelen zwischen den Sinnesorganen von Pflanzen und Menschen gewidmet und darüber ein Buch geschrieben: Was Pflanzen wissen. „Pflanzen fehlen die Sinneszellen, um Schmerz wahrnehmen. Sie haben auch keine Großhirnrinde, die ihnen sagt: Das war jetzt aber unangenehm.“ Und wie ist es mit den Streicheleinheiten, die Gärtner ihren Lieblingen im Glauben angedeihen lassen, um ihnen Gutes zu tun? „Pflanzen kümmern sich nicht um uns. Sie nehmen ihre Umwelt wahr, aber nicht einzelne Individuen.“

Dennoch sind sie Sinne der Pflanzen geschärft und das aus gutem Grund: „Pflanzen können ihren Standort nicht wechseln, sie können nicht wegrennen. Werden sie angegriffen, müssen sie biologisch reagieren.“

Bleiben wir zunächst bei diesem Beispiel.

Was Pflanzen riechen

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Motten-Raupen über Weidenblätter hermachen, sinkt, je mehr Weiden-Bäume in der Nähe sind. Der angefallene Baum schickt den gesunden Weiden in seiner Umgebung Warnbotschaften mithilfe von Pheromonen. Inhalt der Nachricht: „Achtung! Verteidigt euch!“ Aber stimmt das auch? Wie in Chamovitz’ Buch nachzulesen ist, sind die Warn-Duftstoffe des Baums eigentlich für die eigenen, noch nicht befallenen, Blätter gedacht. Nahe stehende Nachbarbäume „belauschen“ dieses interne „Gespräch“. Das Geruchssignal reicht in der Natur einige Meter weit. Ob Pflanzen fähig sind, Artgenossen zu warnen? Der Pflanzenflüsterer weicht aus: „Es gibt keine Pflanzenpsychologen, die etwas über die Beweggründe herausfinden.“

Was Pflanzen sehen

Nachdem Charles Darwin seinen Bestseller „Über die Entstehung der Arten“ vorgelegt hatte, widmete er sich der Botanik. In seinem letzten Buch „Das Bewegungsvermögen der Arten“ beschrieb der Naturforscher seine Beobachtung, dass sich fast alle Pflanzen dem Licht entgegenbiegen. In Experimenten mit Sämlingen fand er heraus, dass die „Augen“ der Pflanze an der Spitze liegt. Von dort wird die Lichtinformation an den Mittelteil weitergeleitet, der sich dann in die entsprechende Richtung biegt.

Damit hatte Darwin erfolgreich nachgewiesen, dass Pflanzen zu rudimentärem Sehen fähig sind. Menschen besitzen vier Photorezeptoren, Pflanzen elf. Diese spezialisierten Sinneszellen sagen den Pflanzen, wann sie keimen und wann sie sich zum Licht biegen sollen, wie stark das Licht ist, und wieder andere sagen ihr, wann es Nacht ist.

Was Pflanzen hören

Mozart, Bach, die Beatles, Led Zeppelin. Versuchspflanzen in Laboratorien mussten sich schon einiges anhören, aber reagiert haben sie nie. Nur die Wärme der Lautsprecher beeinflusst erwiesenermaßen das Keimungsverhalten. Sind Pflanzen taub? Nicht unbedingt, meint Chamovitz. Ein natürliches Geräusch, auf das eine Pflanze reagieren könnte, wäre das Summen einer Biene. Es gibt Beobachtungen, die zeigen, dass vibrierende Flügel eines Bestäubers die Staubblätter dazu bringen, Pollen herauszuschütteln. Was Pflanzen fühlenSie merken, wenn man sie angreift. Sie können heiß von kalt unterscheiden und spüren den Wind. Sie spüren Kontakt, was an der Venusfliegenfalle zu beobachten ist, und reagieren auf Beschädigung mit Veränderungen im Stoffwechsel. In Ermangelung eines Gehirns fühlen Pflanzen allerdings keinen Schmerz.

Ein Pflanzenleben

Alle Inhalte anzeigen
Unterschätzte Wesen Als festgewachsene, an Ort und Stelle verwurzelte Organismen können Pflanzen weder ausweichen noch fliehen, aber sie finden Mittel und Wege, sich zur Wehr zu setzen. Nach Lektüre dieses Buches werden Sie jedenfalls nicht mehr achtlos über eine Wiese stampfen.

Bibliothek Daniel Chamovitz. Was Pflanzen wissen. Wie sie sehen, riechen und sich erinnern. 206 Seiten. Hanser Verlag. 18,40 €.

Interview. Der Pflanzengenetiker Daniel Chamovitz leitet das Manna Center for Plant Biosciences an der Universität Tel Aviv. Im KURIER-Interview nimmt er die Position der Pflanzen ein.

KURIER: Nach Studium Ihres Buches komme ich zu dem Schluss, dass der Mensch nicht so einzigartig ist, wie er denkt.

Daniel Chamovitz: Das geht ein bisschen zu weit. Wir Menschen sind einzigartig kraft der Tatsache, dass wir uns darüber Gedanken machen, was uns von den Pflanzen unterscheidet. Aber die Art und Weise, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, ist keineswegs einzigartig.

Welcher Pflanzen-Sinn ist für Sie der faszinierendste?

Für mich ist am spannendsten, wie Pflanzen Licht wahrnehmen und es nutzen. Sie sind viel aufnahmefähiger als wir. Pflanzen nutzen sowohl UV-Licht als auch Infrarot. Sie werden geradezu bombardiert mit visueller Information, die uns entgeht.

Pflanzen sind also optische Wesen, genauso wie wir?

Ja, aber noch viel stärker. Für eine Pflanze ist Licht nicht nur Helligkeit, sondern auch Energielieferant. So wandeln sie Kohlenstoff zu Zucker um. Wir können als Blinde überleben, eine Pflanze kann das nicht.

Ist es möglich, dass Pflanzen etwas fühlen?

Pflanzen fühlen, sie sind taktile Wesen, aber sie haben keine Gefühle im Sinn von Emotionen. Sie fühlen auch keinen Schmerz, davon bin ich überzeugt.

... das Gemüse im Supermarkt noch lebt? Janet Braam von der Rice Universität im US-Bundesstaat Texas weist darauf hin, dass die im Gemüseregal zum Verkauf angebotenen Früchte noch nicht abgestorben sein müssen. Die Zellen von Früchten, Wurzeln, Blättern oder anderen Pflanzenteilen stellen ihre Lebensprozesse nämlich nicht unmittelbar ein, nachdem sie gepflückt worden sind.

Funktionsfähig bleibt auch die innere Uhr sowie die Reaktion der Pflanzen auf den Hell-Dunkel-Zyklus intakt. In der Natur kann die Pflanze so Fraßschädlinge abwehren. Die inneren Uhren von Kohl, Spinat, Zucchini und Salat arbeiten noch eine Woche nach der Ernte.

Alle Inhalte anzeigen
... Bäume den Sonnenaufgang berechnen?Ein molekularer Taktgeber, eine Art hölzernes Uhrwerk, hilft den Pflanzen, sich optimal auf die Zeit der Fotosynthese vorzubereiten, das haben Forscher vom Leibniz Zentrum für Agrarlandschaftsforschung herausgefunden. Diese zellulären Prozesse ermöglichen die effiziente Energiegewinnung vom ersten Sonnenstrahl an (Fotosynthese).

... Säbelwuchs bei Bäumen normal ist? Säbelwuchs ist ein Phänomen des Winterwaldes. Der Schnee, der auf Berghängen liegt (im Bild: der Stamm eines Bergahorns) rutscht langsam nach unten und drückt auf die jungen Baumstämme. Da Pflanzen aber stets zum Licht streben, ergibt sich eine eigenartig gekrümmte Wuchsform. Die Entdeckung, dass die Neigung zum Licht eine Eigenschaft der Pflanzen ist, geht auf Charles Darwin zurück. 1864 beschrieb der Naturforscher dieses Phänomen und nannte es „Fototropismus“.

... immer mehr Pflanzen aussterben? Die neue Rote Liste der Weltnaturschutz-Organisation IUCN dokumentiert den rapiden Artenschwund im Pflanzenreich. Rund ein Drittel der Nadelhölzer ist laut aktueller Liste bedroht, Zedern, Zypressen, Tannen und andere Nadelbäume. Pflanzenforscher Daniel Chamovitz warnt: „Pflanzen kommen auch ohne uns zurecht. Aber wenn die Pflanzen aussterben, sind auch wir weg.“