Chronik/Österreich

Ein Mörder wird sanfter Yoga-Lehrer

Nie im Leben käme die Kellnerin in dem Salzburger Café auf die Idee, dass der Mann, der eben bei ihr Kürbisrisotto bestellt hat, ein verurteilter Verbrecher ist.
Der Mann raucht nicht, trinkt nicht, isst kein Fleisch.

Um seinen Hals baumelt eine Mala, eine indische Gebetskette; das blonde Haar trägt er engelsgleich wie Thomas Gottschalk und aus seinem Mund sprudeln Sätze wie „Ich glaube an Jesus, er ist Vergebung. In mein Herz ist Friede eingezogen. Liebe ist die einzig wirkliche Kraft.“
Dieter Gurkasch, ein Mörder, Räuber, Ausbrecher.

25 Jahre, die Hälfte seines Lebens, verbrachte der Hamburger im Gefängnis, sieben Jahre davon in Einzelhaft.
Dieter Gurkasch. Ein Verzweifelter, der am Zorn auf sich und die Welt zerbrach – und dank der Liebe einer Frau und der Begeisterung für Yoga wieder in die Gesellschaft zurückfand. Ein Geläuterter, der zu seiner Vergangenheit steht und ein Ziel hat: Andere Gefangene mit Yoga zu therapieren. „Kein Mensch ist durch und durch böse.“

Doch der Reihe nach.

Kriminelle Karriere

Gurkasch ist 17, Bäckerlehrling, unglücklich, ziellos. „Ich bin durchs Leben getaumelt“, sagt er. Der Arzt verschreibt ihm Antidepressiva. Mit 18 schlittert er in die Drogenszene, „alles Menschen wie ich, angeödet vom Leben“. Er schnupft, schluckt, dealt. Wird immer grober, gewalttätiger. „Ich war ein leidenschaftlicher Gangster.“

1985 überfällt er im Drogenrausch ein Geschäft. Die 55-jährige Verkäuferin beginnt zu schreien – ihr Todesurteil. „Ich bin explodiert wie eine Granate.“ Er schlägt sie mit dem Revolver nieder und springt ihr mit seinen Stiefeln so lange auf den Kopf, bis sie tot ist. „Ich wusste, das wird mir nie vergeben. Dafür sitze ich den Rest meines Lebens. Und vielleicht war es das, was ich wollte.“

Im Gefängnis ändert sich für den damals 24-Jährigen vorerst wenig. Gurkasch handelt mit Drogen, nimmt Drogen. „Ich hab’ mir alles in den Kopf geschmissen, was ich in die Finger bekam, um die Realität auszublenden.“

Harter Kerl

Sein Hass und sein Zorn werden hinter Gittern immer stärker. „Sie waren meine Kraftquelle, um im Knast durchzuhalten.“ Er prügelt sich, zettelt eine Gefängnisrevolte an und versucht mehrmals auszubrechen – was ihm einmal auch gelingt.
Noch in der Haft lernt er seine heutige Frau kennen, die sich in sein Fahndungsfoto verliebt hat und die er liebevoll „Fee“ nennt.

Doch den „Weg des Kriegers“ (Gurkasch) geht er trotz ihr auch nach seiner Haftentlassung Mitte der 90er-Jahre weiter – bis zum letzten Atemzug. Bei einer Schießerei mit der Polizei wird er in den Rücken getroffen. „Ich war tot. Gestorben auf der Straße.“ Doch die Ärzte holen ihn zurück ins Leben. „So etwas überlebt man nicht. Gott will noch etwas von ihnen“, sagt ihm der Chefarzt im Spital.

Zwölf Jahre Haft fasst er 1998 aus. Doch diesmal ist alles anders: Ehefrau Fee bringt ihm ein Yoga-Buch ins Gefängnis mit. Von da an steht er jeden Tag um 4 Uhr auf und macht heimlich seine Übungen – und wird erstmals high ohne Drogen. Er verschlingt Hunderte Bücher, leitet die Gefängnis-Bibliothek und gründet eine Yoga-Gruppe.

Außenseiter

Der einst unbeugsame Häftling wird zum verschrobenen Außenseiter. Er beginnt zu beten und empfindet Reue für seine Taten. „Durch Yoga entspannen sich Körper und Psyche. Yoga hat mir die Kraft gegeben, mich selbst zu betrachten. Erst im Gefängnis habe ich die Freiheit erlangt.“

Vor einem Jahr, am 30. November 2011, öffnet sich für Gurkasch die schwere Zellentüre – er hat seine Strafe bis zum letzten Tag abgesessen. „Ich habe zehn Tage lang gebraucht, um zu begreifen, dass ich nun vors Haus gehen kann, wann immer ich Lust dazu habe“, sagt er und geht.

„Strafvollzug ist eine totalitäre Institution“, sagt Dieter Gurkasch. Er habe in der gefürchteten Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (im Häfnjargon „Santa Fu“ genannt) erlebt, dass viele Häftlinge im Gefängnis ein noch größeres Aggres­sionspotenzial entwickelten – und nach ihrer Entlassung eine noch größere Gefahr für die Gesellschaft darstellten als vor ihrer Verurteilung.

„Yoga ist da kein Allheilmittel“, sagt Gurkasch. „Aber es kann helfen.“ Besänftigen. Therapieren. Deshalb will er jetzt mit seinem Verein YuMig (Yoga und Meditation im Gefängnis) Yoga als Therapieangebot in die Justizvollzugsanstalten bringen. Deutschlandweit.

Yoga im Gefängnis, auf Kosten des Steuerzahlers – wäre das auch in Österreich denkbar? Ja, sagt der Leiter der Vollzugs­direktion, Peter Prechtl. „Wenn es der jewei­lige Anstaltsleiter für gut und sinnvoll befindet...“

Tatsächlich wurde Yoga bereits in Haftanstalten als Therapieform angeboten, hauptsächlich in der Justizanstalt für Jugendliche in Gerasdorf. Im Jahr 2010 wurden dafür 19.800 Euro ausgegeben. „Derzeit haben wir Yoga aber nicht im Programm“, sagt Andrea Moser-Riebniger, stellvertretende Leiterin der Abteilung Betreuung in der Vollzugsdirektion. Neben Psychotherapie setzt man jetzt auf Musik- oder tiergestützte Therapie.