Chronik/Oberösterreich/Linz

Lebenslange Haft: Keine Automatik bei vorzeitiger Entlassung

Österreich kennt nach wie vor die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafen. 2021 wurden 19 solcher Strafen ausgesprochen, der Durchschnitt der vergangenen 10 Jahre lag bei 11 Verhängungen.

Eine vorzeitige Entlassung ist bei guter Zukunftsprognose frühestens nach 15 Jahren möglich. Dies ist menschenrechtskonform, weil lebenslange Freiheitsstrafen nur dann keine unmenschliche Behandlung sind, wenn nach einer Mindestzeit und bei vertretbar positiver Prognose die Freiheit wiedererlangt werden kann.

Wir haben an der Johannes Kepler Universität Linz die tatsächliche Dauer der lebenslangen Freiheitsstrafe in den vergangenen 20 Jahren untersucht sowie nach Häufigkeit und Gründen einer verweigerten vorzeitigen Entlassung gefragt.

Kaum Entlassungen nach 15 Jahren

15 Jahre nach Strafantritt war kaum jemand entlassen. Nach 21 Jahren war erst die Hälfte wieder in Freiheit, nach 30 Jahren waren es fünf Sechstel. Es gibt also keine „Automatik“ der Entlassung, sondern eine genaue Einzelfallprüfung.

Als wesentliche Kriterien für eine Entlassung konnten Alter, Staatsbürgerschaft, Vorhaftbelastung und Art der Anlasstat identifiziert werden. Zusammengefasst werden österreichische Staatsbürger*innen, die bei Strafantritt schon älter und noch nie davor in Haft waren, sowie denen kein Sexual- oder Mehrfachmord zur Last liegt, bevorzugt entlassen. Ihnen wird eine bessere Zukunftsprognose gegeben.

Umstritten war in der Vergangenheit, inwieweit die Wirkung der Entlassung auf die Allgemeinheit (Generalprävention) zu einer Verweigerung der vorzeitigen Entlassung führen darf.

"Sonderopfer" für die Gesellschaft?

Hier geht es letztlich um die Frage, ob ein Straftäter trotz guter Prognose ein „Sonderopfer“ für die Allgemeinheit bringen muss, damit wir alle als potentielle Straftäter nicht kriminell werden.

Der Gesetzgeber entschied sich dazu, ab 2008 das Erfordernis der Generalprävention zu streichen, zumal eine Wirkung der Entlassung auf die Gesellschaft schon deswegen schwer nachvollziehbar erscheint, weil die Öffentlichkeit – von prominenten Fällen abgesehen – meist gar nicht davon erfährt.

Da die Streichung der Generalprävention sehr kontrovers diskutiert wurde, bestand die Befürchtung, dass dies keine Auswirkungen haben werde und die Gerichte andere Begründungen suchen würden, um die bisherige Praxis aufrechterhalten zu können.

Vor diesem Hintergrund haben wir der Frage, ob die mit 2008 in Kraft getretene Erleichterung der bedingten Entlassung aus einer lebenslangen Freiheitsstrafe die Praxis messbar verändern würde, mit Spannung entgegengesehen.

Positive Effekte

Positive Effekte konnten wir mit unserer Studie insofern feststellen, als Häftlinge weniger oft einen Entlassungsantrag stellen mussten, bis dieser positiv erledigt wurde.

Waren vor 2008 durchschnittlich 5,8 Entscheidungen pro Fall erforderlich, um bedingt entlassen zu werden, sank dieser Wert ab 2008 auf 4,5. Da nach Verstreichen von 15 Jahren jedes Jahr eine Entscheidung über die vorzeitige Entlassung gefällt werden muss, folgt aus diesem Umstand eine faktische Verkürzung der Haftdauer.

Darüber hinaus konnten wir feststellen, dass vor 2008 rund 15 % aller Entlassungsentscheidungen positiv ausfielen, während dies ab 2008 rund 27 % waren. Daraus lässt sich schließen, dass die Gerichte die Reform umgesetzt und nicht versucht haben, durch geänderte Begründungsmuster die bisherige Praxis aufrecht zu erhalten.

Rückfallsrate geht gegen Null

Die vorzeitige Entlassung aus einer Freiheitsstrafe ist stets ein sensibles Thema. Auf den ersten Blick erscheint es unverständlich, dass Straftäter*innen angesichts der Schwere der begangenen Tat nicht die gesamte Strafdauer absitzen müssen.

Bedenkt man jedoch bei genauerer Betrachtung, dass die wiedererlangte Freiheit beschränkt bleibt, weil sie auf Bewährung mit zusätzlichen Weisungen erfolgt, die Straftäter*innen bei der Resozialisierung unterstützen sollen, und überdies die Rückfallsrate bei lebenslang Verurteilten gegen Null tendiert, ist es nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, Täter*innen die Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen, sondern auch die Folge einer vernunftgeleiteten Kriminalpolitik, zu der sich liberale Demokratien verpflichtet fühlen.