Chronik/Oberösterreich

"Hoamatroas": Mit dem Rucksack durch ganz Oberösterreich

Manche Begegnungen finden (fast) nicht statt und sagen trotzdem viel über den Menschen aus. In diesem Fall verschaffte sich Martin Moser eines Abends Zutritt zu einem ihm völlig fremden Haus, nachdem er die Eingangstür unversperrt vorgefunden hatte. Drinnen machte er sich über das Essen her und bezog schließlich am Sofa sein Nachtlager.

„Ich war im Mühlviertel unterwegs, als ich auf diese Frau traf“, erinnert sich der 32-Jährige. „Wir kamen ins Gespräch. Als sie herausfand, dass mein Tagesziel – St. Thomas am Blasenstein – ihr Heimatort war und ich noch keine Unterkunft hatte, bot sie mir an, in ihrem Haus zu übernachten.“ Sie selbst würde nicht daheim sein, erzählte sie dem Weitwanderer, aber sie würde alles vorbereiten. Er könne einfach ins Haus gehen. „Sie ist davon ausgegangen, dass ich schon nichts anstellen würde“, so Martin Moser. „Ich weiß nicht, ob ich an ihrer Stelle einem Fremden so vertraut hätte.“ Als der gehfreudige Buchautor im Sommer 2018 von seinem Elternhaus in Kremsmünster zu seiner 1.370 Kilometer langen Wanderung rund um Oberösterreich aufbrach, wollte er nicht nur die Natur kennenlernen, sondern eben auch die Menschen, die darin leben.

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Seine „Hoamatroas“ führte ihn in 56 Tagesetappen durch das Land ob der Enns, durch alle Viertel und mehr als 150 Gemeinden. Was er erlebte, hielt er in seinem Blog gehlebt fest. Fast will man da nicht glauben, dass hinter dem Wanderer eigentlich ein spätberufener steckt.

Erste Schritte

Als Martin Moser 2010 die Ökoenergietechnik-Ausbildung an der Fachhochschule Wels abgeschlossen hatte, fand er sich am Jakobsweg in Spanien wieder. „Davor war ich selten bis gar nicht wandernd unterwegs“, erzählt er. Ein Grund für diese erste große Tour – in 32 Tagen von den Pyrenäen bis zum Atlantik – war der Tod seiner Mutter nach einer langen Krebserkrankung. „Schon zuvor hat man sich Gedanken gemacht“, sucht Moser nach Worten. „Man weiß, diese Person wird sterben, es wird nicht mehr heilbar sein. Man fängt an nachzudenken, über das Leben an sich, was man braucht, was man nicht braucht.“

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Den Raum, um diese Gedanken kreisen zu lassen, fand er immer öfters beim Reisen und dann vor allem beim Zufußgehen. „So bin ich als richtiger Anfänger in den Jakobsweg gestartet.“ Eine Erfahrung, die für den gebürtigen Oberösterreicher zur Einstiegsdroge werden sollte. „Der Lerneffekt war riesig – auch dank der vielen Pilger, die mir geholfen haben, in den Alltag des Weitwanderns hineinzukommen.“

Dabei bemerkte er auch, wie ähnlich viele Begegnungen anfingen: „Nämlich immer mit der Frage: ,Wo bist du heute weggegangen – und warum bist du da?’ Wie stark dieses Warum hier verankert ist, war mir zuvor nicht bewusst.“

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Wieder daheim

Acht Jahre später – Martin Moser hatte inzwischen mehrere Bücher und Broschüren für Tages- und Mehrtagestouren geschrieben – lieferte ein TV-Beitrag zur oberösterreichischen Kinder-Krebs-Hilfe einen triftigen Grund und den letzten Anstoß, um das eigene Heimat-Bundesland zu erforschen. Die Idee zur Umrundung war da schon länger gekeimt. Realität wurde sie aber erst durch die Verknüpfung mit einem Spendenaufruf. Personen oder Unternehmen konnten dabei Wegpatenschaften übernehmen: 1 Euro für jeden Kilometer, 1 Cent für jeden Höhenmeter. Am Ende sollten 5.063 Euro und 39 Cent für die Kinder-Krebs-Hilfe zusammenkommen.

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Da er die Spenden im Vorfeld sammelte, konnte Martin Moser die Route vorab festlegen. Die erstellte Karte zeigte nicht nur Zwischenziele, die ihm neu waren, sondern auch solche, die er mit der Familie bereits besucht hatte. Eine bewusste Entscheidung: „Ich wollte wissen, wie es ist, so einen Ort nach zehn, zwanzig Jahren wiederzusehen.“ Was sich zeigte: Man vergisst vieles, Einzelnes erkennt man wieder – etwa einen besonders alten, knorrigen Baum oder einen markanten Felsen. Für Martin Moser war es daher nicht die große Bergkulisse oder die Art, wie sich die Gebäude in einem Ort aneinanderreihen, die ein vertrautes Gefühl auslösten. Vielmehr waren es die kleinen Dinge. Das Unscheinbare, „das aber schon damals direkt vor der Nase waren“, so Moser mit einem Lachen.

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Weg vom Tempo

„Fährt man mit dem Auto durch Oberösterreich, merkt man gar nicht, wie sehr die Landschaft wechselt. Das Panorama wirkt mal bergiger, mal flacher, aber das ist es im Großen und Ganzen“, gibt Moser zu bedenken. „Wandern erlaubt eine viel intensivere Wahrnehmung. Man marschiert über einen Hügel und beim nächsten sieht man schon, wie sich die Natur verändert.“ Was der Verzicht auf PS während der „Hoamatroas“ ebenfalls ermöglichte: das Zugehen auf Menschen. „Ich wollte wissen, wie sie auf einen reagieren, der mit dem großen Rucksack herumgeht. Im Salzkammergut ist man das wegen der vielen Wanderwege ja eher gewohnt, im Inn- oder Mühlviertel weniger.“

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Nach 56 Tagesetappen weiß er: „Tritt man Menschen offen und freundlich entgegen, reagieren sie genauso zurück. Das war für mich sehr augenöffnend.“

Menschenfreund

Wobei ihm die Herzlichkeit der Mühlviertler in besonderer Erinnerung geblieben ist. Nicht selten wurde bei diesen zufälligen Begegnungen auch die Kinder-Krebs-Hilfe Thema. „An einem Gartenzaun kommt man dann ins Reden und merkt, dass, gerade was Krankheiten in Familien betrifft, viele zwar nicht die gleichen, aber ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Diese werden aber selten über den Familienkreis hinaus nach außen getragen.“ Doch wenn das passiert, entstünden Anknüpfungspunkte für intensive Gespräche. So fremd sind sich die Menschen dann wohl doch nicht.

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Für den Wanderer selbst, der seit knapp zehn Jahren nicht mehr in Oberösterreich wohnhaft ist, war die „Hoamatroas“ aber auch ein Weg zurück zu den Wurzeln: „Dadurch, dass es insgesamt eine sehr schöne Tour war, habe ich mich überall irgendwie ,daheim’ gefühlt, egal ob ich in einem Haus oder im Zelt geschlafen habe. Dieses Gefühl von Heimat war ständig da – unabhängig von der Ortschaft, in der ich war.“

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Wandern fürs Klima

Inzwischen ist aber die Planung für das nächste große Projekt im Gange: Beim „Klimawandern“ möchte Martin Moser das Bewusstsein über die Auswirkungen schärfen, die der Klimawandel und die Zerstörung der Natur schon jetzt haben, und Alternativen aufzeigen. Als Beispiel nennt er etwa die jahrzehntelange Fichtenkultur im Mühlviertel, die zunehmend durch Trockenheit und Schädlinge wie dem Borkenkäfer unter Druck gerät. „Das hat schon jetzt enorme Auswirkungen auf den Menschen vor Ort, egal ob sie vom Forstbetrieb leben oder nicht.“ Statt die große globale Ebene ins Visier zu nehmen, lenkt er also wieder den Blick auf das Kleine, Lokale und sucht den Austausch mit Anderen: „Ich möchte viele Regionen in Österreich besuchen und dabei jeweils drei bis vier Tage mit Menschen unterwegs sein, die in den Naturräumen leben und wissen, was passiert.“

Buchtipp: „Hoamatroas – zu Fuß durch Oberösterreich“ von Martin Moser. Erschienen im Kral Verlag, 26,90 €