Chronik/Oberösterreich

„Das Wohl des Kindes geht vor“

Das Landgericht Köln hat die rituelle Beschneidung eines vierjährigen Buben als nicht zulässigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verurteilt. Der Kleine kam zwei Tage nach der Beschneidung mit Nachblutungen in die Kindernotaufnahme und musste zehn Tage im Spital bleiben, obwohl – wie das Gericht feststellte – die Beschneidung medizinisch einwandfrei war. Der Arztbrief des Spitals führte an, dass die freiliegende Penisoberfläche und die Eichel uneben, zerfressen und fibrinös belegt gewesen seien. Drei Verbandswechsel hätten in Vollnarkose stattgefunden.
Ein Gespräch mit Bruno  Binder, dem Vorstand des Instituts für Wirtschaftsrecht an der Professor  der Universität Linz über die Beschneidung. Er ist auch Experte für Verfassung- und Verwaltungsrecht. Weiters ist der 62-Jährige als  Rechtsanwalt und Partner bei der Linzer Anwaltskanzlei Binder-Broinger-Miedl-Lughofer tätig.


KURIER: Wäre so ein Urteil auch in Österreich möglich?
Bruno Binder: Die Rechtslage ist sehr, sehr ähnlich. Im Strafgesetzbuch sind Körperverletzungen verboten. Es sieht eine Strafe bis zu einem Jahr vor, die schwere Körperverletzung bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Alle Ärzte sagen, dass die Beschneidung eines Knaben eine Körperverletzung ist. Es ist auch eine Verstümmelung, denn sie wird ja nicht wieder gut.
Dazu kommt, dass  die körperliche Integrität  in der Verfassung  einen ganz, ganz großen Stellenwert hat.  Die juristische Frage lautet: Erlaubt unsere Rechts- und Verfassungsordnung den Eltern die Anordnung einer Verstümmelung aus religiösen Gründen? Die Ärzte sagen, dass die Beschneidung  schmerzhaft ist und dass sie traumatische Beeinträchtigungen auslösen kann, die  über Jahre anhalten. Sie  ist also nicht so harmlos, auch wenn es unterschiedliche Verläufe geben wird.

Beim Kölner Fall war die Beschneidung rein technisch in Ordnung, aber es sind trotzdem Komplikationen aufgetreten, sodass eine zehntägige Spitalsbehandlung notwendig war.
Wenn die Behandlung  über 24 Tage gegangen wäre, wäre es schon eine schwere Körperverletzung. Wenn es eine länger dauernde Traumatisierung gäbe, wäre es auch eine schwere Körperverletzung. Das sind keine Bagatellen.
Hier stoßen wir auf die  schwierige Frage, wie  der Staat mit den  Grundrechten umgeht, wenn er auf kulturelle Widerstände stößt. Hier gibt es in der österreichischen Judikatur ein Beispiel, nämlich die Schächtung. Hier ist das erste Mal die Rechtsordnung mit  islamischen und jüdischen Vorstellungen kollidiert. Bei der Schächtung  werden Tieren die Kehlen durchschnitten und sie bluten aus.  Nach unserer Rechtsordnung ist das  Tierquälerei.  Der Verfassungsgerichtshof ist zu dem Ergebnis gekommen, dass man das Schächten als eine Form  der Religionsausübung sehen muss, die  mit dem Tierschutz kollidiert, die aber  zulässig ist.  Das heißt, der Verfassungsgerichtshof hat Tierquälerei unter religiösen Gesichtspunkten erlaubt.   
In Deutschland und Österreich kollidieren bei der Beschneidung zwei Grundrechte. Da das Recht auf  körperliche Integrität, dort die Freiheit der Religionsausübung.

Wie ist Ihre persönliche Einschätzung?
Persönlich halte ich viel vom Kölner Urteil. Es ist ein mutiges Urteil und es ist im Sinne unseres liberalen Rechtsstaates eine Selbstverständlichkeit. Dass sich Menschen aus religiösen Gründen selbst etwas antun, das mag sein. Dass  man  das aber Kindern antut und Eltern die Macht gibt, dies aus religiösen Gründen zu tun, das scheint mir doch ein sehr weitgehender Eingriff zu sein. Kinder haben ja keine Wahl.   
Die Religionen verlangen vom liberalen Rechtsstaat immer sehr viel Verständnis. Der liberale Rechtsstaat hat dieses Verständnis und er soll es auch haben. Es darf aber auch der Rechtsstaat hie und da von den Religionen Verständnis erwarten. Es erscheint mir doch ein sehr wichtiges Teil des Rechtsstaates zu sein, dass wir Kinder nicht einer körperlichen Verstümmelung aussetzen.
Die Konsequenz in Deutschland ist, dass  die Bundesregierung nachdenkt, ob sie nicht das Strafgesetz mit dem Zusatz ändert, dass die Beschneidung  aus religiösen Gründen zu lässig sein sollte. Das ist demokratisch mit unserer Rechtsordnung vereinbar.  Aber die Grundrechte sind auch in der europäischen Menschenrechtsordnung  verankert.  Diese Frage wird letztlich in Straßburg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte  entschieden werden müssen. Was in Deutschland oder Österreich gemacht wird, ist immer nur nationales Recht, das  die Menschenrechtskonvention nicht außer Kraft setzen kann. Es gab den Fall mit den Kreuzen in den Schulen, die  der Gerichtshof zuerst verboten hat,   dann aber in einer Nachbetrachtung festgestellt  hat, sie sind doch erlaubt. Deshalb kann man nicht wirklich voraussagen, was beim Europäischen Gerichtshof herauskommt.
Es ist vielleicht auch eine Frage der politischen Opportunität, ob man  diesen Konflikt mit den Religionsgemeinschaften führen soll.  Aber es geht nicht um  die  Religion der Menschen, es geht um das Wohl der Kinder. Die Kinder haben da überhaupt keine Chance, sie sind in einer Religion, die sie sich nicht ausgesucht haben. Sie können nicht sagen, ich mache das nicht, ich will das nicht. Es ist schon sehr archaisch, wenn Eltern sagen können,  wir schneiden dem Kind was weg, und das reicht.    

Die Reaktionen in Österreich zum Kölner Urteil waren durch die Bank negativ. So zum Beispiel von jüdischer Seite oder auch von  Kardinal Christoph Schönborn.
Die Frage ist, wie weit die  Religionsfreiheit gehen kann. So wie die Auffassung des Staates nicht uferlos ist und über die Religionen hinweggeht, so  können auch  die Religionen nicht über die Auffassungen des Staates hinweggehen.  Es ist  eine Frage der Interessensabwägung zwischen zwei Werten.  Wenn man mit die Religionsvertreter fragt,  wozu Beschneidungen gut sind, bekommt man  die verschiedensten  Überlegungen zu hören. Unter aufgeklärten Verhältnissen ist nicht wirklich feststellbar, warum man das unbedingt  wegschneiden muss.  Ab und zu könnten die Religionen für die liberalen Überzeugungen einer gestandenen Demokratie   etwas Verständnis auf bringen. Wenn sie warten, bis die Jungen 18 Jahre alt sind, dann wäre das ein fairer Interessensausgleich.

Gibt es andere Bereiche, wo religiöse Traditionen mit dem liberalen Rechtsstaat zusammenstoßen?
Zunächst einmal haben wir unsere eigenen Unsitten.  Wenn zum Beispiel die Eltern den Kindern Löcher in den Ohren stechen  lassen, damit sie ihnen  Schmuck anhängen können. Das setzt sich fort in der  Piercing- und Tätowierungskultur. Unsere  Minderjährigen sind ja übersät mit  Körperverletzungen.

Die fügen sie  sich  ja meist selbst zu.
Das Problem ist das Gleiche.  Wer das an Minderjährigen macht, begeht eine Körperverletzung.  Das ist ein Graubereich.   Dieser geht  relativ weit, denn das Ohrstechen wird selbst Juwelieren erlaubt. Das ist sehr unsauber.  Aber hier regen wir uns weniger auf. Wenn es aber aus einer anderen Kultur kommt, tun wir uns schwerer.

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