Chronik/Oberösterreich

„Aufklärung ist besser als eine Impfpflicht“

Universitätsdozent Dr. Ahmad Hamwi (60) führt in der Linzer Wachreinerstraße mit 80 Mitarbeitern ein Labor für medizinisch-chemische Diagnostik, in dem auch Antikörpertests durchgeführt werden.

KURIER: Nun gibt es einen generellen Lockdown. Ist diese auch für die Geimpften harte Maßnahme gerechtfertigt?

Ahmad Hamwi: Auf jeden Fall. Mit der 2-G-Regelung gab es faktisch schon den Lockdown für Ungeimpfte. Es braucht eine Reduzierung der Kontakte um mindestens 30 Prozent, damit die Maßnahme greift. Wenn ein Lockdown wirksam sein soll, soll er für alle gelten. Für eine gewisse Zeit.

Für wie lange?

Für mindestens 14 Tage. Dann kann man schauen, ob man ihn verlängern muss. Es muss zu einer deutlichen Reduzierung der Fallzahlen kommen.

Als Argument gegen einen allgemeinen Lockdown führte Bundeskanzler Schallenberg an, dass man damit die Falschen treffen würde, nämlich die Geimpften, wo doch eigentlich die Ungeimpften das Problem seien.

Ich lasse das Argument gelten, nur stellt sich die Frage, ob der Teillockdown die gewünschte Wirksamkeit bringt.

Manche schlagen vor, die 2-G-Regel plus einen täglichen PCR-Test einzuführen. Ist das eine Lösung?

Das wäre sicher eine ideale Lösung, aber sie ist nicht durchführbar. Wir pfeifen bei den Kapazitäten der Testungen aus den letzten Löchern. Meine Mitarbeiter im Labor, die nicht geimpft sind, müssen alle 72 Stunden einen PCR-Test liefern. Einer meiner Mitarbeiter war am Samstag testen, den Befund hat er am Montagnachmittag erhalten. Er erhielt das Ergebnis, nachdem die 72 Stunden bereits abgelaufen waren. Wie soll man das machen, wenn der PCR-Test täglich zu machen ist?

Die 72 Stunden sind eine viel zu lange Zeit. Wien hat sich für 48 Stunden entschieden. Die Stadt hat andere Strukturen.

Sie plädieren für die Impfung. Welche Argumente führen Sie ins Treffen?

Die meisten Patienten in den Spitälern sind ungeimpft. Ich habe mit Primar Rainer Gattringer, dem Chef der Mikrobiologie im Klinikum Wels, telefoniert. Er sagte mir, dass kaum Immunisierte auf den Intensivstationen sind. Die Impfung schützt die Person vor einem schweren Verlauf und schützt die anderen vor Ansteckungen. Wenn es uns nicht gelingt, den Kreislauf des Virus zu unterbrechen, wird es uns immer begleiten.Das Virus ist schlau, es verändert sich durch die Übertragung.

Wir haben es nun ja mit dem Deltavirus zu tun, das wesentlich ansteckender ist als die Variante vor einem Jahr.

Es hat einen negativen Effekt auf die Wirksamkeit der Impfung. Früher lag der Schutz bei 90 bis 95 Prozent. Jetzt liegt der Schutz aufgrund der neuen Variante bei 70 bis 80 Prozent. Die Virus-Mutationen entwickeln sich weiter. Ein geimpfter Patient hat bis zu 70 Prozent weniger Viren. Das heißt, er ist um 70 Prozent weniger ansteckend. Die Ansteckung wird durch die Impfung auch reduziert. Damit wird die Welle eingedämmt. Die Länder mit einer hohen Durchimpfungsrate von 80 Prozent plus haben wesentlich weniger Probleme als wir.

Was halten Sie von der heftig diskutierten Impfpflicht?

Wir brauchen eine Aufklärungskampagne, die den Menschen die Ängste nimmt. Ängste kann man nicht einer Impfpflicht beseitigen. Wir brauchen eine breitflächige Impfkampagne. Es sollten Strukturen für die Aufklärung geschaffen werden, Stellen, wo die Menschen anrufen können und sie beraten werden, um sie vom Nutzen der Impfung zu überzeugen.

Wann sollte man sich das dritte Mal impfen lassen?

In der momentanen Situation empfehle ich allen, nach sechs Monaten die Auffrischungsimpfung zu machen. Es gibt sogar Meinungen, dass man bereits nach vier Monaten die Booster-Impfung nehmen soll. Unter die Grenze von vier Monaten sollte man aber nicht gehen.

Wie sollte man sich derzeit idealerweise verhalten?

Ich war kürzlich für einen Ärztekongress in Salzburg angemeldet. Es galten dort die 3-G-Regeln, es gab auch keine Maskenpflicht. Das war mir zu wenig, deshalb bin ich nicht hingefahren. Neben der Impfung empfehle ich, in geschlossenen Räumen immer einen Abstand von 1,5 bis zwei Meter zu halten und Maske zu tragen. Menschenansammlungen sollte man vermeiden.

Speziell jüngere Impfverweigerer geben an, sie verweigern die Impfung, weil sie negative Auswirkungen auf die Zeugungsfähigkeit und für die Schwangerschaft befürchten.

Es gibt ganz große Studien mit Zehntausenden von Schwangeren, bei denen überhaupt keine Auswirkungen festgestellt werden konnten. Keine Frühgeburten, keine Missbildungen, keine Fehlgeburten. Es wurde auch die Qualität der Spermien der Männer untersucht. Es wurden keine Auswirkungen gefunden.

Probleme gibt es im umgekehrten Fall, wenn nämlich eine Schwangere an Covid erkrankt.

Es kann sein, dass sie das Kind verliert. Wenn die Frau die beidseitige Lungenentzündung bekommt, wie sie bei schweren Verläufen auftritt, und ihre Sauerstoffsättigung runtergeht, hat das sofort Auswirkungen auf das ungeborene Kind. Damit wäre man zu einem akuten Kaiserschnitt gezwungen. Man muss handeln, um auch die Mutter zu schützen.

Eine Impfung auch während der Schwangerschaft gibt einen gewissen Schutz. Auch eine stillende Mutter kann geimpft werden. Sie gibt die Antikörper über die Muttermilch an das Neugeborene weiter.

Manche Impfgegner argumentieren, sie warten auf den Tot-Impfstoff, mit dem sie einverstanden sind.

Wir sind voll in der Pandemie, die Situation gerät außer Kontrolle. Die Impfstoffe, die derzeit verabreicht werden, sind so zu bewerten wie Tot-Impfstoffe, es sind keine Lebend-Impfstoffe. Bei der EMA (Europäische Arzneimittelagentur) wurde nun um die Freigabe eines Tot-Impfstoffes. angesucht. Die Genehmigung wird dauern. Es haben sich inzwischen Millionen Menschen impfen lassen und es hat bei fast allen gut funktioniert.