NÖ: Verzweiflung und Aufatmen an der Donau
Den gesamten Dienstag stiegen die Pegel in NÖ weiter – der Höhepunkt des Hochwassers soll heute erreicht sein. Leichte Entspannung gibt es in Oberösterreich und in der Wachau, etwa in Krems-Stein oder Melk. Verheerend ist die Lage weiter in Emmersdorf und Marbach an der Donau im Bezirk Melk. Beide Orte verfügen über keinen Schutzwall und wurden von den Wassermassen hart getroffen. Häuser verschwanden in den Fluten. Hunderte Menschen mussten evakuiert werden. „Ich bin so froh, dass meine Frau und ich bei unserer Tochter Unterschlupf gefunden haben“, sagt Johann Hameseder. Die Regierung hat den Opfern indes versprochen, sie nicht im Stich zu lassen.
Live-Ticker: Die aktuellen Entwicklungen in den Hochwasserregionen
Ein Flutschutz hätte die Ortschaft vermutlich vor Schlimmeren bewahrt. Doch derzeit gibt es erst Vorstudien, die Bauarbeiten sollen erst 2017/2018 beginnen. „Es ist wichtig, dass jetzt der Lückenschluss in Sachen Flutschutz an der Donau kommt“, sagt ÖVP-Bürgermeister Erwin Neuhauser. Sollte das Projekt jetzt nicht vorgezogen werden? „Das ist auch eine Frage des Geldes“, sagt Neuhauser. Denn es müssen 25 Millionen Euro investiert werden, damit drei Ortsteile trocken bleiben. Die Gemeinde muss 12,5 Prozent davon selbst aufbringen.
Kein Verständnis zeigt Marbachs SPÖ-Bürgermeister Anton Gruber dafür, dass sein Ort der Flut schutzlos ausgeliefert war: „Eigentlich wäre Baustart für 2010 geplant gewesen, jetzt sind wir bei 2015/2016. Es muss rascher etwas passieren.“
Auch in Aggsbach Markt und Aggsbach-Schönbühel stehen zahlreiche Häuser im Wasser und in Loiben nahe Dürnstein wurden viele Häuser mangels Hochwasserschutz überflutet. Karl Brustbauer: „Unser Heurigenlokal steht wie 2002 unter Wasser.“
Nicht jede Wand hält. Ein Leck im Hochwasserschutz hielt in der Nacht zum Dienstag Dutzende Feuerwehrleute in Hundsheim bei Mautern, Bezirk Krems, in Atem. Wassermassen drangen ein. In Theiß bei Krems wiederum kämpfen die Feuerwehrleute seit Mittwochfrüh, um einen 800 Meter langen Erddamm im Kremsfluss zu halten .Das Schutzwerk des Damms war massiv unterspült
Auch östlich von Wien gab es bereits Evakuierungen. Im Bezirk Bruck an der Leitha mussten in Hainburg bereits 82 Häuser in zwei Siedlungen geräumt werden. Dort könnte der Pegel mit prognostizierten 9,07 Metern sogar einen höheren Wert als 2002 erreichen.
Mobiler Hochwasserschutz hält
Der längste mobile Hochwasserschutz Mitteleuropas im traditionellen Überflutungsgebiet im Herzen der Wachau scheint indes zu halten. Der erste Härtetest für Mensch und Material an der Donau scheint bestanden. Mit der drei Kilometer langen, mehr als drei Meter hohen, aber kaum zehn Zentimeter breiten Alu-Wand trotzen zwei touristische Zentren Niederösterreichs der Naturgewalt getrotzt.
Spitz und Weißenkirchen sind damit wie schon Krems-Stein vor elf Jahren zum ersten Mal trocken geblieben. Jetzt gelten diese Orte als Vorbild für viele andere Gemeinden entlang der Donau und anderer Flüsse in Österreich. Denn dort gibt es noch keinen Hochwasserschutz. Und dort hat die Flut wieder für große Verzweiflung gesorgt.
Der Bau der mobilen Wände in der Wachau mit den zahllosen historischen, bis zu 600 Jahre alten Bauwerken war keine Selbstverständlichkeit. Weißenkirchens Bürgermeister Anton Bodenstein erinnert sich: „Mir hat das Land 2002 nach dem Hochwasser die Hände entgegengestreckt, damit wir einen Schutz errichten.“ Bodenstein sprach sich aus Landschafts- und logistischen Gründen gegen Erdwälle aus und wollte trotz der horrenden Kosten von 27 Millionen Euro mobile Wände aufstellen. Und das über das gesamte Gemeindegebiet von Weißenkirchen über Joching bis nach Wösendorf.
Nachdem 2002 in Weißenkirchen 200 Häuser, darunter große Weinbau- und Tourismusbetriebe unter Wasser standen, betrug der Schaden knapp 20 Millionen Euro. Und das nicht zum ersten Mal. „Die Bürger haben sich daher einhellig für den Schutz ausgesprochen“ sagt Bodenstein. Aber es gab auch Hürden. Ist im Weltkulturerbe Wachau eine 50 Zentimeter hohe Mauer – zugleich Stützmauer der Schutzwand – überhaupt zulässig? Diese Debatte wurde in der Region heftig geführt und erst nach Jahren beendet.
Jetzt steht Weißenkirchen als Modellprojekt da. Und wie es scheint, besteht man jetzt auch die Feuertaufe. Routiniert wurden 1000 Stützen und 12.000 Querbalken von Feuerwehr und Bundesheer aufgestellt: „Die Landesstellen haben uns bestens informiert, was auf uns zukommt“, erklärt Bodenstein. Auch die Bevölkerung spielte mit: Der von Oberstleutnant Josef Kitzler erstellte Alarmplan sah eine Evakuierung vieler Häuser an der Donau ab einem Pegelstand von 10,30 Metern Höhe vor – „aus Sicherheitsgründen“, ergänzt Bodenstein. Rund 450 Bewohner nächtigten bei Freunden, Verwandten oder in Touristenquartieren. Aufgrund der Vorbereitungen hat „es bei uns absolut keine negative Stimmung gegeben“, sagt der Bürgermeister.
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Langsam erreichte das Hochwasser am Dienstag auch Wien. Einige bekamen es deutlich zu spüren. Ernst Hampel ist einer davon. Besorgt schaut er auf sein Sommerhaus beim Kuchelauer Hafen im 19. Bezirk: „Zehn Zentimeter noch, dann dringt das Wasser in mein Haus ein“, sagt der 70-Jährige. Im Unterschied zu den Nachbarhäusern hat Hampel das Haus auf Stelzen gebaut. Doch scheinbar nicht hoch genug. Das Wasser steigt immer weiter. „Meinen Schwager nebenan hat es schon ordentlich erwischt“, meint Hampel. „Das Haus steht metertief im Wasser.“
Deshalb steigt Schwager Alfred Hampel nur mit Pullover und Badehose bekleidet in die eiskalte Donau um seine Couch auf den Esstisch zu hieven und sie vor großen Schäden zu bewahren. Verärgert und frierend kommt er zurück. „Das Wasser reicht schon bis zur Arbeitsfläche“, klagt er. Beide Männer hoffen, dass der Anstieg des Wassers bald nachlässt.
Doch die Spitze des Hochwassers in Wien wird erst für Donnerstag erwartet. Der Pegel soll auf acht Meter steigen. Das wären zehn Zentimeter mehr als im Jahr 2002.
„Und auch wenn das Wasser dann wieder weg ist, die Angst bleibt“, meint Ernst Hampel. „Und es scheint immer häufiger Überschwemmungen zu geben.“ Auch wenn er das Gefühl hat, dass die Stadt das Thema Hochwasser nicht wahrhaben will.
Doch auch die Wiener Häfen sind überflutet. Wie die Copa Cagrana und die Sunken City. Die Ostautobahn wurde bei der Stadionbrücke am Dienstag gesperrt, weil der Donaukanal über die Ufer getreten ist. Gröbere Überschwemmungen gebe es bis dato aber nicht, betont die MA45.
Noch ist das Wasser nicht in den Räumen, aber es wird knapp werden. Alles hängt davon ab, wie hoch das Wasser im Laufe des Dienstag noch steigt, wissen die Betroffenen. Derzeit kann die Familie ihr Wohnung nur über eine Leiter und den Umweg über den Dachboden erreichen.
"Wir in der zweiten Reihe werden wohl nur die Keller voll bekommen. Eine Kleinigkeit gegen das was andere aushalten müssen oder die Murenopfer in den westlichen Bundesländern", sagt eine Frau in Oberloiben.
Kremser optimistisch
In Krems ist man inzwischen überzeugt, dass die Höhe des Hochwasserschutzes ausreichen wird, falls nicht noch etwas Unvorhergesehenes geschieht. Deshalb hat man auch von Evakuierungen abgesehen.
"Wir fühlen mit den Opfern", sagt Landesrätin Elisabeth Kaufmann-Bruckberger, die am Dienstag unter anderem Krems/Stein besuchte. "Man kann sich das nicht vorstellen, solange man es gesehen hat. Deshalb war es ein wichtiger Schritt, dass Landeshauptmann Pröll schon vor zwei Monaten mit Ministerin Bures den Vertrag über 300 Millionen Euro für weitere Hochwasserschutzbauten geschlossen hat. Wir danken auch den vielen Freiwilligen, in Krems auch Schülern und Studenten, die mit helfen. Wichtig sist, dass auch die Hilfsfonds aufgestockt sind", betont Kaufmann-Bruckberger.
Brisant wurde es in der Nacht zum Dienstag auf der Südseite der Donau nahe Krems: Kurz nach Mitternacht läuteten in Hundsheim bei Mautern, Bezirk Krems, die Sirenen, weil Wassermassen unter der Hochwasser-Schutzmauer eingedrungen. Laut Matthias Fischer vom Landesfeuerwehrkommando Niederösterreich dürfte eine Rohrdurchführung nachgegeben haben. Angrenzende Kleingärten wurden überflutet.
Währenddessen waren Dutzende Feuerwehrleute aus der Umgebung und aus dem Bezirk Gmünd mit Großpumpen angerückt. 1500 Kubikmeter Wasser pro Stunde wurden über den Damm in die Donau zurückgepumpt. Mit Sandsäcken, Planen und Erde wurde stundenlang versucht, das Leck abzudichten. "Wir haben das Loch unter Kontrolle. Aber es ist noch nicht 100-prozentig zu", sagte Andreas Sühs, Kommandant der Feuerwehr Mautern, zu Mittag. Probleme bereitete auch der hohe Grundwasserspiegel. Das Wasser drang in mehrere Häuser ein. Feuerwehren waren mit mehreren Pumpen im Einsatz. Viele Gartenhäuser außerhalb des Hochwasserschutzes stehen bei Hundsheim bereits bis zum Dach unter Wasser.
Ein dramatischer Notruf erreichte die im Hochwassereinsatz stehenden Feuerwehrleute Dienstag Nachmittag in Wallsee in NÖ. Fünf Männer waren auf der Donau mit einem Motorboot gekentert. In einer groß angelegten Rettungsaktion gelang es, das Quintett nahezu unverletzt zu retten.
Die Jäger und Feuerwehrleute aus dem Raum Stephanshart hatten sich mit einem Feuerwehrboot auf den reißenden Strom gewagt, um Rettungsinseln für Wild zu kontrollieren und Bienenstöcke zu retten. „Die Querströmung wurde plötzlich unglaublich stark, dann sind wird gekentert“, schilderte Franz K., einer der Verunglückten. Die Männer konnten sich zum Glück an Bäumen festhalten.
An der Rettungsaktion beteiligten sich neben Booten der Feuerwehr auch zwei Heereshubschrauber und der Notarzthelikopter C 15. Flugretter brauchten allerdings nicht eingesetzt werden, weil die Opfer mit Booten erreicht werden konnten. Die Männer erlitten Unterkühlungen und wurden von der Rettung versorgt.
Wir sind mit unseren Kräften bald am Ende“, sagt Roland Hauser von der Feuerwehr Walding im Bezirk Urfahr-Umgebung, OÖ. Seit drei Tagen haben er und seine Kollegen kaum geschlafen. Insgesamt 65.000 Sandsäcke mussten bisher für die von den Fluten stark betroffenen Gemeinden Goldwörth, Feldkirchen, Walding und Puchenau gefüllt werden – teilweise vergeblich. Das Hochwasser war zu mächtig.
Hunderte Menschen warteten auf den Dächern ihrer Häuser verzweifelt auf Rettung. „Wir waren ununterbrochen mit Zillen unterwegs“, erzählt Christian Bergmair, Kommandant der Feuerwehr Walding. Auch mit dem Hubschrauber wurden 22 Betroffene evakuiert – wie etwa eine junge Mutter mit ihrem neun Monate alten Baby. Gerhard Doppelhammer und seine Frau Christa, die das Gasthaus „Rodlhof“ führen, stehen vor dem Ruin. „Bei uns wurden sogar 18 Fremdenzimmer zerstört, die im ersten Stock liegen.“
Goldwörth war am Dienstag komplett von der Außenwelt abgeschnitten. „Zum Glück gab es keine Verletzten“, berichtet Rettungsmann Stefan Stutz.
Vermisst
Dafür wird in Gramastetten eine 20-jährige Frau vermisst. Es wird befürchtet, dass sie in die Rodl gestürzt ist. Die Suche verlief bisher ergebnislos. Im Bezirk Urfahr-Umgebung mussten aus den umliegenden Bauernhöfen auch rund 1200 Schweine in Booten in Sicherheit gebracht werden. Ebenfalls Ausnahmezustand herrschte im Salzkammergut. In Ebensee standen 50 Häuser unter Wasser. Zwei Ortsteile waren nicht mehr erreichbar, ganze Straßen wurden weggeschwemmt.
Im Ebenseer Ortsteil Rindbach kam es zu zwei spektakulären Lebensrettungen. Ein Einwohner erlitt einen Herzinfarkt, ein anderer einen epileptischen Anfall. Die beiden Männer mussten mit einem Bundesheer-Unimog aus ihren Wohnungen herausgeholt und dem Notarzt übergeben werden. Am späten Nachmittag sind die Pegelstände in Oberösterreich leicht zurückgegangen.
Grein zitterte bis zuletzt
Eine positive Nachricht gab es Mittwoch früh vom oberösterreichischen Hochwasser-Brennpunkt Grein: In den vergangenen zwei, drei Stunden ist der Pegelstand merklich leicht gesunken - auf zuletzt 14,29 Meter kurz vor 4.00 Uhr. Auch die Stände in Schärding, Linz und Mauthausen waren weiter rückläufig.
In Grein hatte man bis zuletzt gezittert. "Die Kurve ist flacher, es wird trotzdem knapp", hieß es noch Dienstagnachmittag. Es sei nach wie vor eine Frage von Zentimetern, ob der Hochwasserschutz in Grein hält oder nicht, so die damalige Aussage des Hydrografischen Dienstes. Von einer Entspannung wollte man aber auch Mittwoch früh noch nicht sprechen. Diese sei erst gegeben, wenn der Pegelstand unter die Hochwasserwarngrenze von 5,50 Metern fällt.