Dreifachmord im Schloss: "Mir ist alles zuviel geworden"
Am heutigen Donnerstag startete der Prozess wegen dreifachen Mordes gegen einen 55-Jährigen aus Bockfließ im Bezirk Gänserndorf. Der Schlossherr Tonno Goëss soll nach einem Familienzwist seinen Vater Ulrich Goëss (92), dessen zweite Ehefrau Margherita Cassis-Faraone Goëss (87) und seinen Bruder Ernst Goëss (52) mit seinem eigenen Schrotgewehr erschossen haben. Ein paar Tage nach dem Dreifachmord gestand er die Tat.
Beim heutigen Prozess wirkt der Angeklagte sehr in sich gekehrt. Er ist sichtlich betroffen, immer wieder läuft ihm eine Träne die Wange herunter. Der Saal ist auch am Nachmittag mit rund 50 Zuhörern gut gefüllt. Nach einer Pause wurde der Prozess um 13.30 Uhr wieder aufgenommen, das Urteil wird für Freitag erwartet.
Speiselift als Auslöser für den Mord?
Davor gab der 55-Jährige Einblicke in sein persönliches Verhältnis zu den Getöteten und berichtete auch vom Streit im Kaminzimmer des Anwesens. „Es ist mir zu viel geworden“, darum habe er sich gedacht, er müsse „alle drei erschießen“, erinnerte sich der Angeklagte.
Auslöser für die Auseinandersetzung war der Bau eines Speiselifts im Anwesen - „ein Wunschprojekt meines Vaters“, wie der Angeklagte festhielt. Dieser soll die zur Errichtung notwendige Zustimmung des Vorstands der familieneigenen Privatstiftung eingeholt und ihn als Stifter so übergangen haben. „Über mich und meinen Bruder wurde so etwas wie ein Bypass gelegt“, sagte der Beschuldigte. Im Anwesen sei damit eine „alte, schöne Substanz mit einem neuen, 'schirchen' Speiseaufzug“ versehen worden. „Mein Vater hat das ohne Baugenehmigung gemacht."
"Ich muss alle drei erschießen"
Um dies „zu reparieren“, setzte der 55-Jährige am Vortag der Tat ein Schreiben an die Gemeinde auf. Dieser Brief beinhaltete eine für 17. Dezember datierte Baubeginnbestätigung für den Lift, den es zu dem Zeitpunkt bereits gab. Der unterzeichnete Entwurf wurde dem Vater vorgelegt, der mit den Zettel allerdings durchstrich und mit den Worten „Alles falsch! Bitte nicht absenden“, versah.
Am Nachmittag des 13. Dezember sei der Brief im Kaminzimmer thematisiert worden. „Da hat mein Vater angefangen zu brüllen, ob ich verrückt geworden bin. Er ist der Stifter, er muss das unterschreiben“, erinnerte sich der Verdächtige. Es habe in der Folge wiederholt Vorwürfe seitens des Vaters und der Stiefmutter gegeben. Als dann auch noch sein jüngerer Bruder sagte, „du musst schon dem Vater zuhören und folgen“, sei es ihm zu viel geworden. „Ich muss alle drei erschießen“, habe er sich gedacht. Dass es so weit gekommen ist, „ist nicht logisch erklärbar“. Der 55-Jährige berichtete auch von Schmerzen im Kopf und Echo-Geräuschen, die er im Ohr gehabt habe.
„Ich bin aufgestanden und runtergegangen ins Telefonzimmer, wo die Waffen sind“, beschrieb der Verdächtige. Er sei danach mit der Bockflinte in das Kaminzimmer zurückgekehrt. „Dort habe ich sofort geschossen.“ Er habe sich keine genaue Reihenfolge der Schüsse überlegt, „weil ich in dem Moment überhaupt nicht mehr gewusst habe, was ich tue“. Im Anschluss sei er zu sich gekommen und habe gemerkt, dass „etwas ganz Schreckliches passiert“ sei.
"Ich wollte ihr diesen Anblick ersparen"
Für einen kurzen Moment habe er auch überlegt, die Waffe gegen sich zu richten. Dann habe er sich aber gedacht, „ich muss die Rettung und die Polizei rufen“, berichtete der 55-Jährige. Zur Haushälterin im Erdgeschoß sagte er, sie solle nicht ins Kaminzimmer gehen: „Ich wollte ihr diesen Anblick ersparen.“ Im Hof des Anwesens wartete er schließlich auf die Exekutive und ergab sich.
Das Verhältnis zum Bruder beschrieb der Beschuldigte als liebevoll. Hinsichtlich der Stiefmutter skizzierte der Angeklagte eine Art Zweckbeziehung, die 87-Jährige habe oftmals im Anwesen anfallende Kosten übernommen. Den Vater wiederum habe er eigentlich bewundert: „Er war eine unglaublich starke Persönlichkeit und ein toller Geschäftsmann.“ Es sei aber nicht immer leicht, mit starken Persönlichkeiten zu leben, sagte der 55-Jährige seufzend.
Drei tödliche Schüsse: Verhandlung wird fortgesetzt
Nach der Befragung des Verdächtigen kam der medizinische Gutachter Wolfgang Denk zu Wort. Dem Sachverständigen zufolge erlitt der jüngere Bruder des 55-Jährigen einen Schuss in die rechte Gesichtshälfte. Der 92-jährige Vater wurde aus kurzer Distanz in der linken Augenregion getroffen, die Stiefmutter wurde mit einen tödlichen Durchschuss im Bereich des Halses bedacht. Alle drei starben an Ort und Stelle.
Die Geschworenenverhandlung wurde nach einer Pause um 13.30 Uhr fortgesetzt. Auf dem Programm standen mehrere Zeugenaussagen.
Angeklagter laut Gutachter "zurechnungsfähig"
Eine zentrale Rolle spielte dabei der psychologische Gutachter, der dem Angeklagten Zurechnungsfähigkeit attestierte. Dieser sei in der Lage gewesen, komplexe Handlungen wie den Tathergang durchzuführen und habe zum Beispiel während der Schussabgabe auch nachgeladen. "Eine derartige komplexe Handlung wäre mit einer akuten Belastungssituation unvereinbar", so der Gutachter. Denn Handlungen, die in einem unzurechnungsfähigen Zustand durchgeführt würden, seien eruptiv und plötzlich, aber nicht komplex.
Der Gutachter kam zum Schluss, dass "zweifellos" heftige Emotionen im Spiel waren, grundsätzlich gehe man aber davon aus, dass man heftige Gefühle beherrschen könne. Auf die Frage des Verteidigers, ob die Bluttat eine Affekthandlung gewesen sei, meinte der Gutachter, dass es sicher Elemente davon gebe, wenn man sich die Vorgeschichte und die Tat ansehe. Allerdings würden die komplexe Handlung und das Verhalten nach der Tat dagegen sprechen.
Zeugen zeichnen düsteres Bild vom Vater
Laut einer Mitarbeiterin der Stiftung seien neue Projekte wie etwa der Speiselift immer untereinander besprochen worden, der Vater der Familie sei aber sehr streng gewesen. Beim Brief soll es um die Endbewilligung des Speiselifts gegangen sei. Der Brief hätte eigentlich an die Behörde gehen sollen - allerdings mit Verspätung, weil der Lift zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon fast fertig war. Die Mitarbeiterin der Stiftung schildert auch, dass nach einem Spitalsaufenthalt von Tonno dessen Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben war. Sein Vater hätte darauf allerdings wenig Rücksicht genommen. Zu Spannungen zwischen Vater und Sohn sei es immer wieder gekommen, Schreiduelle will die Mitarbeiter der Buchhaltung aber nicht mitbekommen haben.
Eine Bekannte des Angeklagten gab zu Protokoll, dass sowohl er als auch sein Bruder immer besonders nervös waren, wenn es um ihren Vater ging. Dieser hätte nur das gehört, was er hören wolle und ihm sei nicht klar gewesen, dass man sich an manche Regeln halten muss. Weitere Zeugen bestätigen das aufbrausende Wesen des Familienoberhaupts, das mit zunehmendem Alter schlimmer wurde. Immer wenn Tonno Goëss ihm Kontra gegeben habe, habe das in Wutausbrücken geendet, so ein Freund der Familie. Zum Angeklagten selbst meinte dieser, dass Tonno nach einer Borreliose-Erkrankung sichtlich angeschlagen war und Konzentrationsschwächen gehabt hätte. Das Verhältnis von Ulrich Goëss zu seinen beiden Söhnen sei problematisch gewesen: "Er hat seine Kinder nicht geliebt."
Ehefrau: "Alle haben unter ihm gelitten"
Während der Aussagen der geladenen Zeugen verlassen die ersten Zuhörer mit den Worten "So einen Blödsinn kann sich niemand anhören" den Saal. Danach kommt die Frau des Angeklagten zu Wort. Sie beschreibt - teilweise unter Tränen - die schwierigen Familienverhältnisse und dass man unter dem "Familientyrann" gelitten habe: "Nach außen hin war er sehr freundlich, aber innerhalb der Familie ging es ihm nur dann gut, wenn er jemanden quälen konnte." Immer wieder habe er sowohl zu seiner Frau als auch zu seinem Sohn "sei still, du bist blöd" gesagt. Der schlechte gesundheitliche Zustand seines Sohnes sei ihm vollkommen egal gewesen. Der Speiselift sei "wie ein Druck-Kochtopf in der Familie" gwesen: "Wenn ich damals im Dezember auch im Schloss gewesen wäre, dann hätte mich dieser Druck-Kochtopf wohl auch erwischt."
Verwunderung im Vorfeld: Keine Journalisten zugelassen
Zur Verwunderung aller Prozessbeobachter machte der vorsitzende Richter, Martin Bodner, mit allen anwesenden Journalisten kurzen Prozess. Er verhinderte Foto- und Videoaufnahmen des Angeklagten und verwies die Journalisten nach Aufruf zum Prozess des Saales. Eine Praxis, die man sonst nur von großen Terrorprozessen wegen der besonderen Gefahrenlage kannte. Unter allen anwesenden Medienvertretern keimte dadurch die Frage auf, ob es sich um so etwas wie einen Prominenten-Bonus handelt? Der Angeklagte, Tono Goëss, stammt bekanntlich aus einer prominenten Adelsfamilie.
Dieser Vorwurf wird vom Vizepräsidenten des Landesgerichts Korneuburg, Wolfgang Schuster-Kramer, entschieden zurück gewiesen. „Die Prozessführung ist die Sache des jeweiligen Richters. Der Vorsitzende wollte das Vorführen des Angeklagten und die üblichen Fotos einfach vermeiden. Er hat das im Vorfeld bereits angekündigt“, erklärt Schuster-Kramer. Der Richter wäre bei jedem anderen Angeklagten genauso vorgegangen, heißt es aus dem Landesgericht Korneuburg. „Der Vorsitzende ist selbst die Sitzungspolizei. Es steht ihm zu, diese Dinge selbst zu entscheiden“, sagt der Vizepräsident.
Das ist am 13. Dezember 2018 passiert
Schauplatz der Bluttat am Nachmittag des 13. Dezember 2018 war das Kaminzimmer des Anwesens. Während eines Streits mit seinem Vater bei Kaffee und Kuchen - es ging um einen ohne Baubewilligung im Gebäude installierten Speiselift - verließ der 55-Jährige den Raum und begab sich ins Erdgeschoß.
Dort holte Goëss aus dem Jagdzimmer eine zweiläufige Bockflinte samt Munition. Auf dem Rückweg soll der Verdächtige die Waffe mit zwei Patronen befüllt haben.
Sofort nach dem Öffnen der Tür zum Kaminzimmer soll der Beschuldigte das Feuer eröffnet haben. Für die drei Personen im Raum - neben Bruder und Vater des Verdächtigen war auch die Stiefmutter anwesend - muss dies „völlig überraschend“ gekommen sein, wie die Staatsanwältin in ihrem Eröffnungsvortrag betonte. „Wie sie sich vorstellen können, glich das Kaminzimmer einem Schlachtfeld“, schildete die Staatsanwältin den Geschworenen.
Anwalt plädiert auf Totschlag
Die jahrelange Unterdrückung durch den besonders dominanten Vater, so erzählt der Mordverdächtige, soll über einen langen Zeitraum enormen Hass in ihm aufgestaut haben. Auf zwei A4-Seiten hat Tono Goëss geschildert, wie sehr er unter der starken Hand des Vaters gelitten habe.
Anwalt Peter Philipp, der den 55-Jährigen gemeinsam mit Arthur Machac verteidigt, plädierte im Eröffnungsvortrag auf Totschlag. „Dazu bekenne ich mich schuldig, in allen drei Fällen“, sagte auch der Angeklagte selbst.
Zum Streit um den Speiselift „gibt es eine lange, lange Vorgeschichte“, erklärte Philipp. „Im Endeffekt war es so, dass es hier aufgrund seiner Krankheit (der Verdächtige leidet an Neurofibromatose, Anm.) zur Explosion gekommen ist.“
„Ich bin aufgestanden und runtergegangen ins Telefonzimmer, wo die Waffen sind“, beschrieb der Verdächtige. Er sei danach mit der Bockflinte in das Kaminzimmer zurückgekehrt. „Dort habe ich sofort geschossen.“ Er habe sich keine genaue Reihenfolge der Schüsse überlegt, „weil ich in dem Moment überhaupt nicht mehr gewusst habe, was ich tue“.
Im Anschluss sei er zu sich gekommen und habe gemerkt, dass „etwas ganz Schreckliches passiert“ sei. Für einen kurzen Moment habe er auch überlegt, die Waffe gegen sich zu richten. Dann habe er sich aber gedacht, „ich muss die Rettung und die Polizei rufen“, berichtete der 55-Jährige. Zur Haushälterin im Erdgeschoß sagte er, sie solle nicht ins Kaminzimmer gehen: „Ich wollte ihr diesen Anblick ersparen.“ Im Hof des Anwesens wartete er schließlich auf die Exekutive und ergab sich.
Das Verhältnis zum Bruder beschrieb der Beschuldigte als liebevoll. Hinsichtlich der Stiefmutter skizzierte der Angeklagte eine Art Zweckbeziehung, die 87-Jährige habe oftmals im Anwesen anfallende Kosten übernommen. Den Vater wiederum habe er eigentlich bewundert: „Er war eine unglaublich starke Persönlichkeit und ein toller Geschäftsmann.“ Es sei aber nicht immer leicht, mit starken Persönlichkeiten zu leben, sagte der 55-Jährige seufzend.
"Regung müsse allgemein begreiflich sein"
Hinsichtlich des Totschlags sei vom Gesetz nicht nur eine heftige Gemütsbewegung gefordert, hielt die Staatsanwältin dagegen. Diese Regung müsse auch allgemein begreiflich sein. Das liege in diesem Fall jedoch „ganz bestimmt nicht vor“.
Im Laufe der Geschworenenverhandlung sollen drei Sachverständige zu Wort kommen, außerdem werden sieben Zeugen gehört. Ein Urteil wird für Freitagnachmittag erwartet.