Die Belebung der Ortskerne fängt in der EU an
Von Michaela Höberth
Was die EU mit der Ortskernbelebung in Niederösterreich zu tun hat? Nicht viel, will man auf den ersten Blick meinen. Tatsächlich hat das Land NÖ hier aber eine internationale Vorreiterrolle eingenommen: Landesrat Martin Eichtinger (ÖVP) lud vergangenen Donnerstag zu einem Round Table in Brüssel, bei dem die Entwicklung der ländlichen Regionen im Mittelpunkt stand.
Fakt ist: Die Mehrheit der Menschen im EU-Raum wohnt auf dem Land, so auch in Niederösterreich. Tatsache ist aber auch, dass die Entwicklung des ländlichen Raumes bisher ein Stiefkinddasein in der EU führte. Sowohl in der Kommission als auch im EU-Parlament setzt nun aber ein Umdenken ein.
Gleichberechtigung
Die Corona-Krise hat dem Leben auf dem Land einen neuen Stellenwert gegeben und die bisherigen Versäumnisse aufgezeigt. In Brüssel wird daher an Lösungsansätzen gearbeitet: Die Kommission hat eine Mitteilung über die Zukunft des ländlichen Raumes verfasst, quasi eine Selbstverpflichtung, diesem mehr Bedeutung bei ihren Überlegungen einzuräumen. Darauf will das Parlament nun mit einer Resolution antworten, die bis zum Sommer ausgearbeitet sein soll.
„Die EU hat sehr gute Möglichkeiten, Best Practice-Beispiele zu geben und mit Richtlinien den Rahmen für eine gleichberechtigte ländliche Entwicklung zu schaffen“, so Eichtinger beim KURIER-Gespräch in Brüssel. Das Land NÖ wolle dazu beitragen; die Erfahrungen, die bei der Ortskernentwicklung gesammelt wurden, werden an das Parlament weitergereicht und sollen die Resolution unterstützen. Eine Reaktion der Kommission wird im Herbst erwartet.
Wohnbaustrategie als Basis
Basis der Ortskernentwicklung in Niederösterreich ist die blau-gelbe Wohnbaustrategie. Diese wird seit 2018 stetig verfeinert: Es geht längst nicht mehr nur um leistbares Wohnen für Jung und Alt, sondern um eine umfassende Stärkung der Ortszentren anstatt der Ortsränder. Dazu zählen Gesundheitseinrichtungen, öffentliche Verkehrsanbindungen, technische Infrastruktur wie Breitbandanbindung und Einkaufsmöglichkeiten. Ebenso brauche es Arbeitsplätze, Kinderbetreuung und Schulen in den Zentren, ist Eichtinger überzeugt: „All das sind Elemente, die das Leben im ländlichen Raum leistbar und lebenswert machen.“ Das Land NÖ unterstützt hier gemeinnützige Projekte, Neubauten ebenso wie Sanierungen. Musterbeispiele seien laut Eichtinger Lanzenkirchen (Bezirk Wiener Neustadt), Schwarzenau (Bezirk Zwettl) oder Bruck an der Leitha, wo einst verwaiste Ortszentren wieder belebt wurden.
Lobbying
Dass man sich aber nicht nur in Niederösterreich den Kopf über eine gelungene Ortskernbelebung zerbricht, wurde beim Round Table klar: Von Italien bis Finnland arbeitet man an Konzepten, um ländliche Regionen zu stärken. Mithilfe der EU könnten die Mitgliedsstaaten von den jeweiligen Erfahrungen profitieren.
Das wünscht sich auch Johannes Pressl, der als Präsident des NÖ Gemeindebundes in Brüssel war. „Jede Entscheidung der EU hat auch Auswirkungen auf ländliche Regionen“, weiß er. Die Union müsse daher anfangen – und hier hofft er auf die Resolution – das bei ihren Entscheidungen mitzubedenken. „Hier herrscht gegenüber den Städten noch immer ein Missverhältnis. Was es braucht, ist ein Lobbying für den ländlichen Raum“, so Pressl.