Mit den Talenten soll man wuchern
Von Thomas Orovits
Würde man von einem Professor für medizinische Genetik erwarten, dass er die Macht der Gene relativiert? Nicht unbedingt. Markus Hengstschläger, Genetiker von internationalem Rang und einer der renommiertesten österreichischen Wissenschaftler, tut aber genau das: "Gene sind nur Bleistift und Papier, aber die Geschichte müssen wir schon selbst schreiben", erklärt der Professor an der Wiener Medizin-Uni Erfolg aus dem Zusammenspiel von Genen und harter Arbeit.
Hengstschläger: "Das Talent liegt in unseren Genen, der Erfolg in unserer Hand".
Zu diesem Thema spricht der Genetiker am kommenden Dienstag (11. Oktober, 19 Uhr) beim Business Club der BKS Bank im Casino Baden. Anmeldung: ksc@bks.at
Holzweg
Leicht gesagt, aber schwierig umzusetzen. Denn bei der Pflege der Talente, so der Befund Hengstschlägers, fehle derzeit - nicht nur in Österreich - das glückliche Händchen. "Wir befinden uns auf dem Holzweg und sind in der Durchschnittsfalle gefangen". Was der Forscher damit meint? Einem Kind mit vier Nicht Genügend und einem Einser, empfehle man, das Einserfach künftig links liegen zu lassen und in den Gegenständen mit negativer Note durchschnittlich zu werden.
"Falsch", mahnt Hengstschläger, das Kind sollte zwar überall durchkommen, aber gerade dort, wo die Talente liegen, noch besser werden. "Wir wissen nicht, welche Probleme uns morgen erwarten und welche Talente wir zu deren Bewältigung brauchen". Deshalb müsste unser Bildungssystem alles daran setzen, dass keine Talente, die auch in bildungsfernen Schichten schlummern, verloren gehen.
Talente fördere man nicht, indem "möglichst viele das Gleiche machen", sondern Anderssein und Individualität sollten Norm werden. "Der Durchschnitt hat noch nie was zustande gebracht", sagt der Genetiker, der die Finanzkrise auch als Krise der Konformität diagnostiziert: "Die Mehrheit war 100-prozentig überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Wäre jemand ausgeschert, hätte man ihn ausgelacht. Hengstschläger: Statt neue Denkwege zu beschreiten, "herrscht derzeit eine Scheu zu sagen, ich mach es anders."