Chronik/Burgenland

Abgetrennter Arm: "Schmerzen habe ich keine gehabt"

Ich kann mit einer Hand lenken und schalten“, sagt jener Mann, der bei einem Arbeitsunfall den rechten Unterarm verlor und selbst rund 20 Kilometer ins Spital nach Eisenstadt fuhr. Seine Geschichte klingt unglaublich.

Samstagnachmittag arbeitete Tibor A. mit dem Rüttelsieb auf einer Bauschutt-Deponie in Purbach am Neusiedlersee, als das Förderband durch einen Steinbrocken ins Stocken kam. Der 37-Jährige löste den Stein mit einer Metallstange. Als das Band wieder lief, geriet sein rechter Arm in das Gerät und wurde von einer der Metalllamellen am Ellbogengelenk abgehackt, schildert der plastische Chirurg Oskar Aszmann am Krankenbett seines Patienten auf der Intensivstation des Wiener AKH.

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Der Ungar lief zu seinem Auto, um ins Spital zu fahren. „Dann ist ihm eingefallen, dass die Hand auch noch mit muss. Er lief zurück, holte die Hand und legte sie in den Kofferraum, weil es dort kühler war“, erzählt Aszmann. Dabei dachte der Mann auch daran zwei Liter Wasser zu trinken, damit er das Bewusstsein nicht verliert. „Schmerzen hatte ich keine“, sagt Tibor A.

Im Spital angekommen parkte er vorschriftsgemäß in der Tiefgarage. Dann ging er zur Unfallambulanz, legte die Hand auf die Theke und sagte: „Bitte, die Hand wieder annähen.“ Danach kippte er um.

Mängel bei der Anlage

In einer sechsstündigen Operation wurde der Arm im AKH wieder angenäht. „Sie ist ideal verlaufen“, sagt Arzt Aszmann. „Er wird seine Hand wieder verwenden können.“ Gefragt nach seinem Zustand sagte der Ungar: „Ich will möglichst schnell wieder nach Hause.“

Zur Klärung der Umstände des Unfalls fand am Montagvormittag auf der Deponie ein erster Lokalaugenschein von Arbeitsinspektorat (AI) und Polizei statt. „Bezüglich Arbeitnehmerschutz hat es Mängel gegeben“, sagte Andreas Drivodelits vom AI.

In Notsituationen – etwa wenn Extremitäten abgetrennt werden – läuft im Körper ein im Lauf der Evolution gespeichertes Programm ab, um alle Funktionen aufrecht zu erhalten. „Verletzungen an Armen oder Beinen gelten aber generell nicht als lebensbedrohlich“, sagt Univ.-Prof. Wolfgang Schreiber, Chefarzt beim Roten Kreuz und selbst Notfallmediziner.

Im Schock der Verletzung schüttet der Körper zuhauf Hormone und Botenstoffe wie Adrenalin aus. Allen voran Endorphine, die eigentlich als Glückshormone bekannt sind. „In diesem Fall wirken sie als Schmerzhemmer“, erklärt Schreiber. Dieses Phänomen tritt übrigens auch bei anderen schweren Verletzungen auf.

Gleichzeitig versucht der Körper, den Blutverlust gering zu halten. „Auch Arterien und Schlagadern haben ein Notprogramm. Bei einer Abtrennung ziehen sie sich zusammen und drosseln so die Blutversorgung.“ So halte sich der Blutverlust in den ersten Stunden in Grenzen.

Mit der Amputation beginnt jedoch die Zeit für die abgetrennten Gliedmaßen zu laufen. „Hier fehlt ja die Blutversorgung, das Gewebe kann dann schnell absterben.“ Schreiber spricht von einem etwa sechsstündigen Zeitfenster. „Es ist wichtig, den Patienten so schnell wie möglich in ein geeignetes Zentrum mit Mikrochirurgie zu bringen.“

Hätte Tibor A. einen Notruf abgesetzt, wäre er wohl ohne seinen Umweg über das Spital Eisenstadt per Notfallhubschrauber nach Wien geflogen worden. Dennoch habe der Mann geistesgegenwärtig reagiert, findet Schreiber. „Der Umgang mit so einer Situation und das Schmerzempfinden ist auch von der Persönlichkeitsstruktur abhängig. Sich da ins Auto zu setzen – das schafft nicht jeder.“