Schräge Alltagsgeschichten aus dem Mikrokosmos Hallenbad
Von Paul Haider
Wolfgang Millendorfer hat sich schon im zarten Kindesalter gerne Geschichten ausgedacht. An seinen ersten literarischen Gehversuch, den er auf einen Notizzettel geschrieben hat, kann er sich noch gut erinnern: „Es ging um eine Katze, die sich am Heimweg verirrt. Ich ärgere mich bis heute, dass ich die Geschichte nicht mehr wiedergefunden habe“, plaudert Millendorfer im KURIER-Gespräch lachend aus dem Nähkästchen.
Die Vorliebe für verirrte Charaktere ist dem Mattersburger bis heute erhalten geblieben. 2017 brachte er, nach mehreren Kurzgeschichtenbänden, mit „Kein Platz in der Stadt“ seinen ersten Roman heraus. Darin wird die Geschichte eines Beamten erzählt, die ins Skurrile abdriftet – „wie es bei meinen Geschichten oft der Fall ist“, merkt Millendorfer an.
Nicht weniger schräg geht es im neuen Buch namens „Kopf Über Wasser“ zur Sache. In sieben Episoden widmet sich der Autor seltsamen Begebenheiten, die sich in einem in die Jahre gekommenen Hallenbad abspielen. „Es hat sich schnell herausgestellt, dass das Hallenbad ein wunderbarer Ort ist, um eine nicht alltägliche Geschichte spielen zu lassen. In der Badehose ist jeder gleich und doch auch nicht“, erklärt Millendorfer die Schauplatz-Wahl für seinen zweiten Roman.
Elisabeth T. Spira trifft David Lynch
In dem öffentlichen Bad mit 70er-Jahre Flair treffen Figuren, die Elisabeth T. Spiras „Alltagsgeschichten“ entsprungen zu sein scheinen, auf Surrealismus der Marke David Lynch. Angereichert wird der unterhaltsame Mix mit reichlich Wortwitz, Retro-Nostalgie und einer Prise Horror. Es ist eine Mischung, die sich – wie der Autor selbst – nur schwer kategorisieren lässt. Daher wurde für Millendorfers Werk kurzerhand ein neues Genre ausgerufen: der „Hallenbadroman“.
Die Handlung von „Kopf Über Wasser“ ist im Jahr 2001 angesiedelt. Warum gerade dieses Jahr? Millendorfer erklärt: „Ich wollte wohl eine Zeit haben, wo die Welt gefühlt noch einfacher war. Wo zumindest noch nicht alles von Smartphones diktiert war. Die hätten nur die Handlung gestört.“
Schräge Charaktere
Die Akteure in „Kopf Über Wasser“ verlieren sich, zwei Jahrzehnte in der Vergangenheit und gänzlich ungestört von modernen Kommunikationsmitteln, in den Verstrickungen des Hallenbad-Alltages. Da wäre etwa das überforderte Besitzer-Ehepaar Werner und Marina Antl und ihre spätpubertäre Tochter Rosa, die mit knapp 30 den Sprung in ein eigenständiges Leben verpasst hat.
Wolfgang Millendorfer, Jahrgang 1977, ist Journalist bei der BVZ und lebt in Mattersburg. 2011 wurde er mit dem burgenländischen Literaturpreis ausgezeichnet. Infos: wolfgang-millendorfer.at
Die Bücher
Stammgäste (Kurzgeschichten, 2007)
Doppelgänger (Kurzgeschichten, 2012)
Kein Platz in der Stadt (Roman, 2017)
Kopf Über Wasser (2021)
Dazu gesellen sich Kantinenwirtin Bella, Bademeister Fred und „Alt-Nazi“ Herrmann, der gestrengen Auges auf die korrekte Einhaltung der Badeordnung achtet. Als zwielichtige Gemeindepolitiker und ein investigativer Lokaljournalist den Plan betreten, drängt sich die Frage auf, ob Millendorfer auch eigene Erfahrungen in das Buch einfließen hat lassen – schließlich ist er in seinem Brotberuf seit bald zwei Jahrzehnten als Journalist bei der BVZ tätig.
Das streitet er mit Nachdruck ab: Sämtliche handelnden Personen, wie auch der Schauplatz, seien seiner Fantasie entsprungen und frei erfunden: „Es muss keiner Angst haben, es ist alles nur ausgedacht. Es geht auch um kein konkretes Hallenbad. Ich habe mein eigenes Bad mit 70er-Jahre Charme zusammengestückelt.“
Seit seinen ersten Veröffentlichungen im Oberwarter Verlagshaus „edition lex liszt 12“ legt Wolfgang Millendorfer besonders großen Wert auf den direkten Kontakt zu seiner Leserschaft.
Literarische Zirkusshows
Diesen pflegt der 44-Jährige bei Lesungen, oder „literarischen Zirkusshows“, wie Millendorfer sie nennt: „Es hat mich immer wieder auf die Bühne gezogen, um mit anderen Autoren und Musikern bunte Abende zu gestalten.“ Mit „Kopf Über Wasser“ im Gepäck ist auch – sobald es die Pandemielage zulässt – wieder eine kleine Lesetour geplant. Das Personal seines verrückten Hallenbades und weitere Überraschungsgäste werden mit dabei sein.
Unterdessen sammelt Millendorfer auch schon Ideen für das nächste Buch: „Immer wenn ich Zeit habe, lasse ich meine Figuren aus. Und es kann gut sein, dass etwas ganz Neues draus wird“, macht der Mattersburger seine Fans schon neugierig auf Roman Nummer drei.