Sozialpartner sehen sich als "Manager des Wandels"

Sozialpartner sehen sich als "Manager des Wandels"
Christoph Leitl und Erich Foglar über die Arbeitswelt im Jahr 2030.

KURIER: Die Österreicher werden in Zukunft länger arbeiten müssen als bisher. Wird es bis 2030 genügend altersgerechte Arbeitsplätze geben?

Erich Foglar: Es gibt ja schon Möglichkeiten, etwa bis 70 zu arbeiten. Altersgerecht arbeiten hat aber nicht unbedingt mit dem Lebensalter zu tun, sondern bedeutet lebensphasengerechtes Arbeiten. So wie es Phasen mit dem Schwerpunkt Familie oder Weiterbildung gibt, gibt es auch Phasen, in denen die Erfahrung zählt. Das Ziel beider Sozialpartner ist, bis 2030 dieses lebensphasengerechte Arbeiten zu forcieren. Das bedeutet auch, dass man länger im Berufsleben bleiben kann.

Wollen die Arbeitgeber das auch?

Christoph Leitl: Absolut. Wir wollen auch die objektiven Voraussetzungen dafür schaffen. Die Sozialpartner haben dafür gemeinsam mit der Industriellenvereinigung und der AUVA (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Anm.) ein Online-Produkt entwickelt, um Unternehmen bei altersgerechtem Arbeiten zu unterstützen.

Aber wie viele Unternehmen machen da mit? Die meisten versuchen ja, ältere Arbeitnehmer wegen der mit dem Lebensalter steigenden Gehälter so früh wie möglich loszuwerden.

Christoph Leitl: Da muss ich widersprechen. Die über 50-Jährigen sind nicht stärker von der Arbeitslosigkeit betroffen als alle anderen Altersgruppen auch. Noch immer zu viele, das gebe ich zu, aber so, dass die Älteren massiv betroffen sind, ist es nicht. Denn ich glaube, dass Berufserfahrung ein Wert an sich ist. Wir brauchen keine jugendliche Arbeitsgesellschaft, keine Seniorenarbeitsgesellschaft, sondern gut durchmischte Teams.

Erich Foglar: Unsere Sichtweisen decken sich. Aber aufgrund der Demografie entwickelt sich die Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen dynamischer als in den anderen Altersgruppen. Daher ist es wichtig, Maßnahmen zu setzen, die es in Zukunft ermöglichen, stärker altersgerecht zu arbeiten. Da geht es um Arbeitszeit, auch um mehr Flexibilität auf beiden Seiten. Eigentlich ist es ja eine Win-Win-Situation: Als Arbeitnehmer kann man länger im Unternehmen bleiben, der Betrieb kann die Erfahrung für einen Wissenstransfer von Älteren zu Jüngeren nützen. Die Firmen können dadurch auch Fachkräfte halten. Und Fachkräfte werden 2030 ein wesentlicher Schlüsselfaktor sein.

Funktioniert das wirklich? Es werden ja laufend gezielt ältere Mitarbeiter abgebaut. Ideen und Modelle für altersgerechtes Arbeiten sind die Ausnahme ...

Christoph Leitl: Da muss ich widersprechen. Wenn das so wäre, müsste die Altersarbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch sein. Ich gebe allerdings zu, dass, wenn durch Veränderungen in der Unternehmensstruktur ein Mitarbeiterabbau notwendig ist, die Unternehmen dann eher schauen, wie kann ich die Älteren in die Pension bringen, als dass ich mich von Jüngeren trenne.

Erich Foglar: Die Gewerkschaft sieht schon eine stärkere Entwicklung in diese Richtung. Bei den Umstrukturierungen etwa im Bankenbereich werden sicher verstärkt ältere Mitarbeiter ausscheiden. Und es gibt Branchen, die tatsächlich sehr wenige ältere Mitarbeiter einstellen. Und das ist das Problem, das wir in Zukunft lösen müssen. Daher gibt es als Einstieg ins Bonus-Malus-System ein Monitoring, wie sich die Zahl älterer Arbeitnehmer in bestimmten Branchen entwickelt.

Viele kritisieren, dass das Bonus-Malus-System die Arbeitslosigkeit noch verschärfen wird. Was können die Sozialpartner tun, um die Firmen zur Beschäftigung Älterer zu bewegen?

Christoph Leitl: Bis 2030 wird es gewaltige Änderungen durch die zunehmende Digitalisierung geben, auch in der Weiterbildung. Dazu kommt die demografische Entwicklung, es werden wesentlich weniger Junge auf den Arbeitsmarkt kommen. Die entscheidende Frage ist, woher bekommen Unternehmen gut qualifizierte Mitarbeiter, um die veränderten Anforderungen zu bewältigen. Ich sehe die Sozialpartner als Manager dieses Wandels.

Stichwort Digitalisierung: Pessimisten glauben, dass mehr Arbeitsplätze verloren gehen als neue geschaffen werden können. Wird es 2030 mehr oder weniger Arbeitsplätze geben?

Erich Foglar: Seriöse Studien sagen, dass dieser technologische Wandel wesentlich größere Auswirkung haben wird als alle Veränderungen bisher. Es gibt ganz klare Hinweise, dass tatsächlich mehr Arbeitsplätze wegfallen als neue geschaffen werden können. Die Arbeit wird uns nie ausgehen, aber die Frage ist, werden wir noch auf Basis des klassischen Arbeitsvertrages arbeiten? Viele glauben, dass die Arbeit immer unregelmäßiger, anders organisiert wird. Darauf müssen wir vorbereitet sein.

Christoph Leitl: Veränderungen wurden in der Geschichte immer eher negativ gesehen, tatsächlich haben sie bisher immer den Wohlstand vergrößert. Ich glaube, dass in dieser Veränderung durch Kreativität und Innovation auch die Stärken Österreichs und Europas zu finden sind. Wenn wir darauf setzen, brauchen wir uns nicht zu fürchten. Unsere Rolle als Sozialpartner ist mitzuhelfen, diese Chancen herauszuarbeiten.

Heißt das, die Sozialpartner, die oft als Bremser bei Reformen kritisiert werden, sind 2030 wichtiger als heute?

Christoph Leitl: Ich halte eine Partnerschaft in jedem Stadium der Entwicklung für wichtig. Es verändert sich ja nicht nur die Arbeitswelt, sondern ganze Wirtschaftsbereiche. Denken Sie an den Online-Handel. Wichtig ist, dass wir die Veränderungen erkennen, die Auswirkungen abschätzen und die Menschen bei der Bewältigung begleiten.

Erich Foglar: Im Handel wird immer mehr online bestellt, die Bestellungen müssen dann aber physisch, also durch Menschen zugestellt werden. Wir wollen, dass diese Menschen von dem, was sie dafür verdienen, auch leben können. Und nicht sieben Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen.

Wenn durch die Digitalisierung Arbeitsplätze wegfallen, fällt ja auch ein Teil der Finanzierung der Sozialsysteme weg – die Beiträge sind ja an die Lohnsumme gekoppelt. Kommt dann eine Wertschöpfungsabgabe?

Erich Foglar: In dem Moment, in dem menschliche Arbeitskraft durch Robotik ersetzt wird, hat das gesellschaftliche Auswirkungen. Das heißt, wir müssen andere Finanzierungsformen finden. Es kann ja nicht sein, dass den Produktivitätsschub nur eine Seite, sprich die Unternehmen, in Form niedriger Kosten für eine Arbeitsstunde für sich lukriert.

Christoph Leitl: Dazu muss man aber sagen, dass die billigere Roboter-Stunde anderen Wohlstand generiert. Wenn die Arbeitsstunde in der Produktion 8 Euro und nicht 30 kostet, sind europäische und österreichische Produkte wieder wettbewerbsfähiger ...

Erich Foglar: Das bringt aber noch keine Sozialbeiträge.

Christoph Leitl: ... aber es sichert den Standort ab. Wenn der Standort Europa verloren geht, haben Sie auch keine Sozialbeiträge. Wir können uns etwas leisten, etwa in der persönlichen Betreuung. Da sind dann Menschen eingesetzt, die wieder ein Einkommen beziehen und die wieder Steuern zahlen.

Die Veränderungen durch Digitalisierung werden auch massive Veränderungen in der Arbeitszeit mit sich bringen. Reichen dafür die jetzigen Modelle aus?

Christoph Leitl: Wenn sich der Auftragszyklus komplett verändert, muss die Arbeit bewältigt werden, wenn sie da ist. Das wissen die Menschen in den Betrieben, aber ich muss mit den Leuten ordentlich umgehen. Und ich brauche übergeordnete Spielregeln.

Erich Foglar: Die österreichischen Arbeitnehmer sind schon sehr flexibel, auch bei der Arbeitszeit. Aber es wird in Zukunft eine andere Zeitaufteilung – Arbeitszeit, Freizeit, Familienzeit, Bildungszeit – geben.

Werden die Zwangsmitgliedschaften in den Interessensvertretungen – also bei der Wirtschaftskammer und bei der Arbeiterkammer – auch 2030 noch gelten?

Erich Foglar: Als freiwillige Interessensvertretung wird der ÖGB vehement unterstützen, dass diese solidarische Mitgliedschaft aufrecht bleibt, weil es viele Vorteile gebracht hat.

Christoph Leitl: Starke solidarische Interessensvertretungen sind in einem modernen Gemeinwesen unverzichtbar. Das hat ungeheure Vorteile gegenüber einer reinen Lobbying-Organisation, bei der die Starken den Weg vorgeben und die Schwächeren folgen müssen.

Die KURIER-Serie "Österreich 2030" finden Sie auf kurier.at/2030

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