Österreich 2030: Der Schlüssel ist Bildung

Österreich 2030: Der Schlüssel ist Bildung
Wie wird die heimische Wirtschaft 2030 dastehen? Expertinnen und Experten antworten.

Hohe Arbeitslosigkeit, unbewältigte Flüchtlingsströme, eine vom Zerfall bedrohte und in Nationalismen abdriftende EU: Gründe dafür, sorgenvoll in die Zukunft zu blicken, gibt es viele. Wie wird Österreich bis 2030 die großen wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigen? Das KURIER-Wirtschaftsressorts hat dazu fünf Expertinnen und Experten befragt.

Optimistischer Ausblick

Zwei Sachen fallen auf. Erstens: Der Tenor ist überraschend positiv – die Chancen werden durchwegs stärker betont als die Gefahren. „Österreich gehört zu den wohlhabendsten Ländern der Welt, und wir haben gute Voraussetzungen dafür, dass dies auch 2030 so sein wird“, sagt dazu stellvertretend Alice Kundtner von der Arbeiterkammer Wien.

Zweitens: Das Bindeglied aller Themen lautet Bildung, Bildung und noch einmal Bildung. Damit steht und fällt Österreichs Zukunft. Berufliche Qualifikation ist entscheidend, damit der Einzelne auf dem Arbeitsmarkt besteht. Damit Österreich sich im globalen Wettbewerb behauptet. Damit die Integration vieler Menschen aus unterschiedlichen Kulturen klappt. Und damit die Schere von Arm und Reich nicht weiter auseinanderklafft.

Vorreiter bei Energiewende

Der KURIER hat den Ökonomen freigestellt, ein weiteres, sechstes Thema zu benennen. Am öftesten fielen die Begriffe Klimawandel, Nachhaltigkeit und Energiewende. 2030 sollte der Einsatz fossiler Energie „praktisch beendet“ sein, fordert WIFO-Chef Karl Aiginger. Zähle Österreich dabei zu den Vorreitern, könne das ein „Wettbewerbsvorteil und eine Kostenbremse“ werden.

Österreich 2030: Der Schlüssel ist Bildung

Alice Kundtner ist stellvertretende Direktorin der AK Wien und Bereichsleiterin für Soziales

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Edeltraud Hanappi-Egger, erste Rektorin der Wirtschaftsuni Wien im Interview am 29.01.2015

Edeltraud Hanappi-Egger ist seit Oktober 2015 Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien

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Interview mit Prof. Karl Aiginger in Wien am 13.11.2015. Seit 2005 ist er Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Karl Aiginger leitet seit 2005 das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)

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Gottfried Haber folgt Bernhard Felderer

Gottfried Haber ist Vizedekan und leitet den Bereich Wirtschaft an der Donau-Uni Krems

Österreich 2030: Der Schlüssel ist Bildung
ABD0078_20151001 - WIEN - ÖSTERREICH: Ex-IHS-Chef Christian Keuschnigg im Rahmen einer PK zur Vorstellung des "WPZ - Wirtschaftspolitisches Zentrum" am Donnerstag, 1. Oktober 2015, in Wien. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Christian Keuschnigg ist ehemaliger IHS-Chef und Professor in St. Gallen, er leitet das Wirtschaftspolitische Zentrum (WPZ) in Wien

Alice Kundtner (AK Wien): Auch 2030 wird es die Qualifikation sein, die über die Jobchancen von Jugendlichen entscheidet, so wie heute auch. Dazu kommt, dass sich die demographische Entwicklung in den Jahren 2020 – 2030 doch bemerkbar machen wird: Die „babyboomer“ werden in diesem Jahrzehnt aus dem Erwerbsleben ausscheiden, womit sich die Beschäftigungschancen für junge, gut qualifizierte Menschen verbessern könnten – eine stabile Wirtschaftsentwicklung vorausgesetzt.

Gottfried Haber (Donau-Universität Krems): Vor allem im Bereich der Industrie 4.0 (intelligente, digitalisierte Produktion und Logistik) oder dann schon der Industrie 5.0 (?) wird es einen massiven Bedarf an qualifizierten Menschen mit digitalen Kenntnissen geben. Aber auch im Bereich der hoch qualifizierten Dienstleistungen ist durchaus weiteres Potenzial. Trotzdem werden auch „traditionelle“ Jobs nach wie vor vorhanden sein, wenn auch nicht mehr so gefragt wie bisher.

Karl Aiginger (WIFO): Die Job-Chancen für Jugendliche 2030 sind erfreulich, wenn sie gut und breit qualifiziert sind, Auslandserfahrung haben, bereit sind flexibel zu sein. Und dafür können sie von ihrem Arbeitgeber Flexibilität einfordern, ihre Arbeitszeit auf vier Tage zu konzentrieren oder Auszeit nehmen bei Familiengründung und für Bildung oder Reise. Symmetrische Flexibilität ist das Zauberwort, Arbeitgeber bekommen Höchstleistung, wenn sie es brauchen, Arbeitnehmer Auszeit, wenn sie dies frühzeitig ankündigen. Wer wenig qualifiziert ist, starre Arbeitszeiten benötigt, und selbst nichts einbringt, wird Probleme haben.

Edeltraud Hanappi-Egger (WU Wien): Aus meiner Sicht werden aufgrund der steigenden Nachfrage und notwendiger Investitionen die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung ein wachsendes Arbeitsmarktsegment sein und Arbeitsplätze schaffen.

Christian Keuschnigg (Universität St. Gallen/WPZ): Dienstleistungen, kreative Bereiche und Gesundheitswesen werden wichtiger, bei harter Arbeit entlasten uns Roboter. Die Arbeitszeit kann bis dahin kostenneutral etwas sinken, damit die Beschäftigung sicher bleibt. Gleichzeitig braucht es mehr Flexibilität und Differenzierung.

Alice Kundtner (AK Wien): Aus heutiger Sicht spricht nichts dagegen, dass die gesetzliche Pensionsversicherung auch noch im Jahr 2030 Bestand haben wird, ohne dass das Pensionsniveau gesenkt oder das gesetzliche Pensionsalter erhöht werden. Davon profitieren auch die nachfolgenden Generationen. Aber wir müssen die Entwicklungen immer im Auge haben, um dieses Pensionssystem auch für die Zukunft abzusichern. Die Menschen sollen wie heute auf ein stabiles, finanzierbares Umlagesystem bei der Alterssicherung vertrauen können.

Gottfried Haber (Donau-Universität Krems): Hier gibt es massiven Handlungsbedarf, da das derzeitige System nicht nachhaltig und stabil genug ist. Es wird höhere Beiträge geben, geringere Auszahlungen und die Notwendigkeit, noch zusätzlich in der zweiten und dritten Säule eigene Vorsorge aufzubauen, um de n Lebensstandard halbwegs zu halten. Auf eine Grundabsicherung durch den Staat wird man sich aber jedenfalls verlassen können, wenn die nötigen Reformen stattfinden und gelingen.

Karl Aiginger (WIFO): Normalität wird ein späterer Arbeitsbeginn, mehr Unterbrechungen sein. Die heute Spreizung zwischen Minipensionen und Höchstpensionen wird geringer sein. Wer kürzer arbeiten will, muss sich selbst versichern oder höhere Abschläge in Kauf nehmen oder sich selbst zusätzlich versichern. Wenn die Regeln des staatlichen Pensionssystems vorweg bekannt sind, sind persönliche Präferenzen erfüllt. Wenn laufend immer höhere Sozialabgaben anfallen und damit die Belastung des Faktors Arbeit steigt, wird die Arbeitslosigkeit steigen. Sozialleistungen sollen auch durch die Besteuerung von Energie, Tabakkonsum finanziert werden. Insgesamt sollten die Gesamtabgaben tendenziell fallen, die Abgaben auf Arbeit stark.

Edeltraud Hanappi-Egger (WU Wien): In 15 Jahren wird das Pensionssystem wohl aller Voraussicht nach ein ähnliches wie heute sein, also auf dem Umlageverfahren beruhen.

Christian Keuschnigg (Universität St. Gallen/WPZ): Der stetig zunehmende Druck erzwingt eine grundlegende Reform. Sonderpensionen gibt’s keine mehr, die Frauen arbeiten genauso lange wie Männer, und alle arbeiten wir sehr viel länger, vermutlich bis 67. Damit können wir das schöne lange Leben im Alter sicher finanzieren.

Alice Kundtner (AK Wien): Österreichs Industrie ist sehr wettbewerbsfähig, sie ist allein seit 2010 um zehn Prozent gewachsen – mehr als jene der Eurozone. Der Export von Gütern und Dienstleistungen hat viel rascher zugenommen als die gesamte Produktion. Ein gutes Ausbildungssystem für alle Menschen ist die wichtigste Voraussetzung zur langfristigen Sicherung der qualitativen Wettbewerbsfähigkeit. Doch entscheidend wird sein, ob die hohen Exportgewinne auch in Löhne, Beschäftigung und Investitionen umgesetzt werden und damit allen Menschen nutzen und nicht primär in Form von Dividenden für eine kleine Minderheit von Aktionären ausgeschüttet werden.

Gottfried Haber (Donau-Universität Krems): Bildung und Qualifikation werden die Schlüsselfaktoren zur Wettbewerbsfähigkeit sein. An Rohstoffen ist Österreich reich an Holz und Wasser, die geopolitische Lage im Herzen Europas ist eine gute Voraussetzung. Es wird an uns allen liegen, diese positiven Gegebenheiten mit Umsicht zur Weiterentwicklung der Wettbewerbsposition zu nützen.

Karl Aiginger (WIFO): Österreich ist heute wettbewerbsstark und wird dies noch stärker bleiben, wenn in Ausbildung, Forschung, Umwelttechnologie und soziale Innovationen investiert wird. Qualitätswettbewerb statt Kostendumping ist das Ziel.

Edeltraud Hanappi-Egger (WU Wien): Österreich könnte auf dem globalen Markt eine wichtige Rolle als Zentrum von Innovationen durch Wissenschaft und Forschung spielen, indem in diese Bereiche massiv investiert wird.

Christian Keuschnigg (Universität St. Gallen/WPZ): Es gibt nur einen Weg für Wettbewerbsfähigkeit und hohe Einkommen: große Erfolge bei Innovation und Bildung. Der Staat muss mehr Basisinvestitionen tätigen, damit sich digitale Wirtschaft, Umwelttechnologie und neue Formen von Dienstleistungen in Österreich durchsetzen.

Alice Kundtner (AK Wien): Diese Frage wird in den nächsten Jahren entschieden: Je besser insbesondere die Lösung der Wohnungsfrage und die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt gelingt, desto geringer werden die gesellschaftlichen und sozialen Folgen sein. In unmittelbarer Zukunft ist die Frage des Spracherwerbes, die möglichst rasche Integration in den Arbeitsmarkt und das Vermitteln der Grundregeln entscheidend. Die starke Immigration nach Österreich wird ihre Spuren in der demographischen Entwicklung hinterlassen.

Gottfried Haber (Donau-Universität Krems): Unabhängig von der aktuellen Flüchtlingsthematik wird die Globalisierung voranschreiten und mit ihr auch die Migration weiter zunehmen. Dadurch werden Integrationsmodelle und soziale Sicherungssystem zusätzlich auf die Probe gestellt – nicht nachhaltige Mechanismen geraten dadurch schneller unter Druck, auf stabile Beine gestellt werden zu müssen. Auf der anderen Seite ergeben sich vielfältige neue Chancen durch kulturelle Vielfalt und gegenseitiges Lernen.

Karl Aiginger (WIFO): Österreich kann das Problem der Überalterung und der Unfinanzierbarkeit der Pensionen durch Migration lösen. Dazu müssen MigrantInnen rasch in den Arbeitsprozess eingegliedert werden, schnell Deutsch lernen (etwa durch Apps zum Deutschlernen wie bei www.link2brain.at) und wenn sie qualifiziert sind, muss es ihnen erlaubt werden, qualifizierte Jobs zu bekommen. Die Kinder der MigrantInnen müssen in das Schulsystem rasch eingegliedert werden, und dürfen nicht – wie viele Österreicher mit 14 Jahren - unfähig sein, sinnerfassend zu lesen.

Edeltraud Hanappi-Egger (WU Wien): Vor allem die Diversität der Bevölkerung wird weiter gestiegen sein. Auch wird der Altersschnitt gesenkt, weil viele Jüngere und Familien zuziehen.

Christian Keuschnigg (Universität St. Gallen/WPZ): Der Zustrom wird die Zahl der Mitbürger mit ausländischen Wurzeln steigern, aber in einer europäischen Lösung kontrolliert bleiben. Wenn wir in die Flüchtlinge investieren, werden sie spätestens in der nächsten Generation zu überzeugten Österreichern. Das Land wird bunter, kulturell reicher, weltoffener und spannender sein.

Alice Kundtner (AK Wien): Steigende Ungleichheit zwischen dem obersten einen Prozent der Haushalte, das mehr als ein Drittel des gesamten Vermögens besitzt, und den anderen 99 Prozent bedroht Demokratie, sozialen Zusammenhalt und wirtschaftliche Entwicklung. Diese Gefahr kann durch einen umfassenden Sozialstaat, ein öffentliches Bildungssystem und eine Besteuerung von Vermögen und Erbschaften gebannt werden.

Gottfried Haber (Donau-Universität Krems): Weniger innerhalb der Nationalstaaten, sondern eher im globalen Vergleich werden Unterschiede in Einkommen und Vermögen auffälliger werden. Diese werden über Marktmechanismen einen Ausgleich suchen und sich in Form von Migrationsbewegungen oder Wachstumsunterschieden im BIP niederschlagen. Die Gesellschaft wird hier erst einmal eine transparente und ehrliche Diskussion über die Zielvorstellungen führen müssen.

Karl Aiginger (WIFO): Die Gefahr besteht, man kann ihr entgegenwirken durch Qualifizierung. Unterschiede in den Startchancen durch Herkunft und Einkommen der Eltern kann die Politik vermeiden. Niedrige Einkommen sollten weniger Sozialabgaben bezahlen, Betriebsgründungen sollten leichter sein.

Edeltraud Hanappi-Egger (WU Wien): Idealerweise sind Maßnahmen gesetzt worden, die die Bildungs- und damit die gesellschaftlichen Teilhabechancen für die heute schlechter gestellten Personengruppen erhöhen. Dadurch wird sich die Kluft verringern.

Christian Keuschnigg (Universität St. Gallen/WPZ): Nicht alle können gleich gut von Innovation und Wachstum profitieren. Aber ein leistungsorientierter Sozialstaat mit progressiven Steuern sichert Beschäftigung und hält die Ungleichheit unter Kontrolle. Freier Wettbewerb sichert allen eine Chance und hält den unverdienten Reichtum in Schach.

Alice Kundtner (AK Wien): Österreich gehört zu den wohlhabendsten Ländern der Welt, und wir haben gute Voraussetzungen dafür, dass dies auch 2030 so sein wird. Entscheidend ist, ob dieser Wohlstand auch bei allen Menschen ankommt und in Form von guten und sicheren Arbeitsplätzen, einem Bildungs- und Sozialsystem hoher Qualität und einer fairen Verteilung von Einkommen und Vermögen sichtbar wird.

Gottfried Haber (Donau-Universität Krems): Fragen der gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit werden in Zukunft generell zu den dominierenden Themen. Fragen der globalen Verteilung der Nutzung von Ressourcen (Wasser, Energie) werden durch zunehmende Knappheit große Herausforderungen mit sich bringen.

Karl Aiginger (WIFO): Globalisierung, neue Technologien, soziale Innovationen sind entscheidend. Das wichtigste Thema wird sein, wie man mit Änderungen umgeht, ob man sie früher anstrebt oder später leidet. Wir müssen bis dahin den Einsatz fossiler Energie praktisch beendet haben. Das kann zu einem Wettbewerbsvorteil und zu einer Kostenbremse werden, wenn wir Vorreiter sind. Wenn wir den Wandel zunächst leugnen, dann die falschen Wohnungen bauen und die falschen Autos kaufen, dann verliert Österreich, wenn es den „first mover advantage“ nützt, dann bleibt Österreich auf der Seite des Einkommens und der Wohlfahrtshierarchie in Europa und genießt die Globalisierung.

Edeltraud Hanappi-Egger (WU Wien): Das Thema Restrukturierung der Arbeitsorganisation aufgrund steigender Digitalisierung wird uns beschäftigen und was dies für den Generationenvertrag bedeutet.

Christian Keuschnigg (Universität St. Gallen/WPZ): Die Bewältigung des Klimawandels wird dominieren, dann da sind wir jetzt schon im Rückstand. Das zweite Thema ist der wirtschaftliche Wettbewerb mit China und anderen aufstrebenden Schwellenländern, die die Weltwirtschaft im Volumen, aber nicht im Wohlstand pro Kopf dominieren werden.

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