Die Rückkehr der Herz-Krankheiten

Bekanntschaft mit der Pulsuhr
OECD warnt: Übergewicht und Diabetes könnten positive Entwicklung stoppen – und umkehren.

Es ist eine Erfolgsgeschichte: In den vergangenen 50 Jahren hat in den führenden Industrieländern – den 34 OECD-Staaten – die Todesursache "Herz-Kreislauf-Krankheiten" deutlich abgenommen (siehe Grafik). In praktisch allen Ländern sind die Raucherzahlen zurückgegangen, neue Medikamente ermöglichen eine bessere Kontrolle hoher Cholesterin- und Bludruckwerte, und technologische Fortschritte (wie die rasche Aufdehnung verstopfter Blutgefäße im Herzkatheterlabor) lassen mehr Patienten als früher einen Herzinfarkt überleben.

Doch jetzt warnt die OECD in einem neuen Bericht, dass dieser Fortschritt gefährdet ist: Durch den weltweiten Anstieg von Übergewicht, Fettleibigkeit und Diabetes – vor allem auch unter jungen Menschen – könnte "die positive Entwicklung gestoppt werden und sich sogar umkehren".

Österreich befindet sich zwar bei den Herz-Kreislauf-Todesfällen nur knapp über dem OECD-Schnitt, bei dem Anteil der Diabetiker ist Österreich aber bereits auf Platz 7 der 34 OECD-Staaten.

"Die Aussagen dieses Berichtes überraschen uns überhaupt nicht", sagten dazu zwei Spezialisten für Fettstoffwechselstörungen Dienstagabend bei einem Hintergrundgespräch des Biotech-Konzerns AMGEN zum Thema Blutfette.

Chronische Entzündung

"Bauchbetontes Übergewicht, Rauchen und Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates) führen zu einer chronischen Entzündung im Körper", sagt Univ.-Prof. Helmut Sinzinger, Leiter des Institutes "Athos" zur Diagnose und Therapie von Fettstoffwechselstörungen und Atherosklerose: "Und das kann zu Schäden an den Gefäßen des Herz-Kreislauf-Systems und zu Atherosklerose führen." Außerdem seien viele ja nicht nur einfach übergewichtig, betonen Sinzinger und Univ.-Prof. Kurt Derfler von der Uni-Klinik für Innere Medizin III der MedUni Wien: "Die Betroffenen haben häufig auch eine Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck und Insulinresistenz" (die Körperzellen sprechen schlechter auf das Hormon Insulin an – der Ausgangspunkt für Typ-2-Diabetes).

US-Ärztegremien haben in jüngster Zeit in ihren Richtlinien wieder betont, dass "das Cholesterin aus der Nahrung den Cholesterinspiegel im Blut nur unwesentlich beeinflusst", sagt Sinzinger: "Doch dies hat teilweise auch zu der falschen Meinung geführt, auch tierisches Fett – von Landtieren – spiele keine Bedeutung und nur Zucker bzw. Kohlenhydrate seien problematisch", ergänzt Derfler: "Es stimmt, dass Fruchtzucker (Fructose) in bestimmte Fette (Triglyzeride) umgewandelt wird und zur Fettleber führt." Aber trotzdem sei das kein Freibrief für den Fettkonsum: "Immerhin haben zehn Gramm Fett doppelt so viele Kalorien wie zehn Gramm Kohlenhydrate."

Gleichzeitig würden Produkte mit der "irrelevanten Aufschrift" no cholesterol (enthält kein Cholesterin) die Aufmerksamkeit der Bevölkerung vom Fettgehalt ablenken, kritisiert Sinzinger: "Und der ist gerade in diesen Produkten meist sehr hoch."

Mindestens 50 Prozent der Bevölkerung haben einen Gesamtcholesterinwert, der über dem Zielwert für gesunde Menschen (ohne Herzinfarkt oder Schlaganfall) liegt (200 mg/dl): „Der mittlere Gesamtcholesterinwert in Österreich wird auf 225 mg/dl geschätzt“, sagt Sinzinger. Doch bei einem Teil der Bevölkerung liegt (ohne Therapie) das Gesamtcholesterin über 300 mg/dl. Bei ihnen ist die Ursache aber nicht der Lebensstil, sondern ein Gendefekt, sagt Gabriele Hanauer-Mader.

Sie leitet eine Patientenorganisation für Menschen mit „Familiärer Hypercholesterinämie“, wie diese Erbkrankheit heißt. Das schlechte LDL-Cholesterin steigt (trotz Normalgewicht, gesunder Ernährung und viel Bewegung) massiv an, weil es nicht mehr ausreichend aus dem Blut gefiltert werden kann – ohne Behandlung ist eine massive Atherosklerose samt (tödlichem) Herzinfarkt im Extremfall bereits im Kindergartenalter möglich.

„Neue Untersuchungen zeigen, dass die Krankheit deutlich häufiger sein dürfte als bisher angenommen“, sagt Hanauer-Mader. Ging man bisher davon aus, dass einer von 500 Menschen einen solchen Gendefekt hat, könnte es im schlimmsten Fall sogar einer von hundert sein. Wichtig ist mehr Bewusstsein für Früherkennung: Mediziner und die Patientenorganisation setzen sich für das Angebot eines Cholesterin-Screenings mit Schulbeginn ein. „Oft wird die Erkrankung immer noch erst spät entdeckt.“www.fhchol.at

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