Psychotherapeutin: "Trump ist wie ein verrücktes Kind“

Trump in New Hampshire
Psychotherapeutin Rössler-Schülein über den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump.

Die Couch, die in der Ordination von Hemma Rössler-Schülein steht, der Präsidentin der psychoanalytischen Gesellschaft in Österreich, bleibt diesmal leer. Der Patient ist nicht da, er tourt gerade durch die Vereinigten Staaten. Weil er Präsident werden will, und weil er Amerika wieder „great“ machen will. Der Patient heißt Donald Trump. Und Therapeutin Rössler-Schülein erklärt, wieso er sie an ein verrücktes Kind erinnert und wie man eigentlich mit ihm umgehen müsste.

Psychotherapeutin: "Trump ist wie ein verrücktes Kind“

KURIER: Frau Dr. Rössler-Schülein, der Ghostwriter von Trumps Buch „The Art of the Deal“ sagte vor kurzem, er würde das Buch jetzt „Der Soziopath“ nennen. Trump habe keinerlei Aufmerksamkeitsspanne und wirke wie ein Kindergartenkind, das nicht still sitzen kann. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an Trump denken?

Hemma Rössler-Schülein: Ich war gerade in den USA, als die Sache mit der Fox-Moderatorin Megyn Kelly passiert ist (nachdem sie ihn in einer Debatte kritisierte, sagte Trump, „Blut ist aus ihren Augen gekommen, und aus ihrer Wasauchimmer“, Anm.) und war sehr erschrocken. Über die Aussage, aber auch, was er damit auslösen konnte, dass darüber ständig berichtet und damit dem Affen Zucker gegeben wurde. Die Art, mit der Öffentlichkeit provokant und aggressiv zu spielen und sich über gesellschaftliche Normen hinwegzusetzen, um damit Aufmerksamkeit zu erregen, das ist schon beunruhigend.

1964 haben in den USA 1.189 Psychiater den republikanischen Kandidaten Barry Goldwater als ungeeignet für das Amt erklärt, der daraufhin klar verloren hat – seitdem gilt dort die Goldwater-Regel, dass Menschen nicht aus der Ferne diagnostiziert werden sollen. Aber in diesem Wahlkampf sind Psychiater und Therapeuten gespalten; einerseits wurde dazu aufgerufen, ihn nicht aus der Ferne zu diagnostizieren, andererseits haben Therapeuten in den USA in einem Offenen Brief vor Trump gewarnt.

Die erste Frage ist: Ist es zulässig, überhaupt Fernanalysen zu machen? Dazu muss man sagen, dass – beispielsweise auch in der Kriminalpsychologie – oft mit deutenden Verfahren gearbeitet wird. Wir gehen immer mit Indizien um und müssen die einschätzen. Aber es ist ein Unterschied, ob man das in der WG am Küchentisch macht oder ob die Interpretation einen professionellen Hintergrund hat. In der Öffentlichkeit seine Bedenken zu äußern finde ich zulässig. Eine valide Diagnose kann man aber nur dann stellen, wenn man mehrfach mit einem Patienten gesprochen hat.

Kann uns eine Analyse Trumps etwas darüber sagen, wie er Politik machen würde?

Es gibt schon Vorstellungen, wie ein idealer Politiker zu sein hat – eine ausgewogene Einstellung etwa, die Fähigkeit, sich für etwas einzusetzen, zu begeistern, Entscheidungen durchzuhalten und – ganz anders als bei Trump – Kritik aushalten zu können. Und auch seine Emotionen so weit im Griff zu haben. Keine Wutanfälle zu haben, die man vielleicht bei einem kleinen Kind aushält, die aber bei einem Mann in einer Machtposition gefährlich sind. Davon ist Trump, so wie er sich jetzt zeigt, weit entfert.

Eine der häufigsten Fragen zu Trump ist: Ist der wirklich so oder spielt der das nur?

Ich glaube, er muss es zumindest für sich selbst auch sehr überzeugend spielen, sonst würde das nicht funktionieren. Trump ist gerade 70 geworden, ein Alter, wo man oft merkt, dass man körperliche Grenzen hat, dass das Leben irgendwann ein Ende hat, wo man Bilanz zieht: Was hat man erreicht, was nicht. Vielleicht hat er vor all dem selbst so Angst, dass er deshalb so lustvoll den bösen Trump spielt.

Psychotherapeutin: "Trump ist wie ein verrücktes Kind“
Republican presidential nominee Donald Trump speaks during a round table with the Republican Leadership Initiative at Trump Tower in the Manhattan borough of New York, U.S., August 25, 2016. REUTERS/Carlo Allegri

Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass jemand wie Trump zum Kandidaten gekürt wird?

Zuerst haben ja alle gesagt, er hat keine Chance und ist total lächerlich, und dann hat er doch den Durchmarsch gemacht. Was sind also die Bedingungen, unter denen so jemand nominiert wird? Dass jemand keine politischen Erfahrungen hat – das kann einen Reiz haben, wenn man damit wirbt, nicht vom System kontaminiert zu sein. Was ich aber bemerkenswert finde: Wenn er sagt, wir bauen Mauern, wenn er sich mit Rassisten umgibt, dann bietet er eine Schutzfantasie vor diffusen Bedrohungen. Mit seiner Art kommuniziert er außerdem: „Ich scheiß mir nix“. Ich bin unabhängig, wir machen Amerika wieder groß, wir haben vor niemandem Angst. Diese Grössenphantasie ist unrealistisch, aber sie verspricht viel.

Und solche Menschen imponieren den Wählern?

Ich glaube, sie bewundern jemanden, der so ungehemmt und schamlos über Grenzen geht. Man traut es sich selbst nicht zu sagen, selbst muss man Verantwortung übernehmen und Grenzen respektieren. Tatsächlich kann man nicht so vieles ändern auf der Welt, sondern die Welt ändert sich, und sehr rasch noch dazu. Wenn man damit nicht zurechtkommt und sich hilflos fühlt, sind Trump oder ähnlichen rechtspopulistische autoritäre Figuren attraktiv.

Kompromisse finden, Verantwortung übernehmen, Grenzen respektieren – all das ist Demokratie. Attestieren Sie damit eine Demokratiemüdigkeit?

Das ist eine große Diagnose. Aber: Demokratie ist anstrengend. Verantwortung zu übernehmen ist anstrengend, Aufklärung ist ernüchternd...

…während Trump sagt: Ich löse das. Ich weiß, wie wir den Islamischen Staat besiegen, auch wenn ich den Plan nicht verrate. Ich baue die Mauer, und es wird eine tolle Mauer werden. Macht euch keine Sorgen, ich mache das schon.

Genau. Er sagt, er hat für sehr schwierige und komplexe Probleme Lösungen – auch wenn er oft nicht sagt, welche. Trump lädt ein, Verantwortung nicht zu übernehmen, sondern abzugeben. Wir tendieren dazu uns Politiker zu wünschen, die alles können, genauso wie Kinder gerne allwissende Eltern hätten.

Es ist schon erstaunlich, dass Trump gerade jetzt reüssiert – die Arbeitsmarktzahlen in den USA verbessern sich, die Wirtschaftskrise scheint im Großen und Ganzen überstanden.

Die positive Entwicklung betrifft nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich. Es ist wichtig, sich anzuschauen, welche Verhältnisse welche Psychodynamiken triggern. Vielleicht hängt das auch mit dem Verlust der Weltmachtstellung zusammen. Damit sind die Amerikaner aufgewachsen: Wir können sagen, wo es in der Welt langgeht. Das ist ein bisschen verloren gegangen. Aber Trump sagt, wir werden wieder wer. Es gibt da ein Gefühl einer Bedrohung, eines Verlustes. Gegen diese paranoiden Ängste hilft jemand wie Trump, der sagt, wir bauen Mauern gegen alles, was ansteckend und schwierig ist.

Trump ist für die Medien ein Glücksfall, und umgekehrt sind die Medien für Trump ein Glücksfall – er bringt Quote und sie stillen sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.

Normalerweise entzieht man so jemandem die Bühne. Wenn jemand sich so geriert, wenn man merkt, es ist pathologisch, heißt es in der Psychiatrie normalerweise: Zuschauer entziehen und der hysterische Anfall geht vorbei. Aber so verstehen sich die Medien ja nicht, die leben genauso von Aufmerksamkeit. Dadurch schaukeln sich beide Seiten gegenseitig hoch.

Das unkonventionelle Auftreten Trumps, dass er sich nicht an Regeln hält, dass er sich nicht wie ein Politiker benimmt, das hat es auch für seine republikanischen Konkurrenten schwergemacht, und ist jetzt für Clinton ein Problem. Wie geht man mit so jemandem um?

Das ist sehr schwierig. Mich erinnert Trump ein bisschen an ein verrücktes Kind. Da wird man nachsichtig, allzu nachsichtig. Man macht keine große Sache aus Dingen, weil er sich sowieso nie an Regeln hält. Man nimmt ihn gar nicht so ernst. Das kann aber auch wiederum gefährlich werden. Daher muss man eine Balance suchen zwischen ausreichender Ernstnehmen und reflektierter Distanz, die allerdings schwer zu finden ist und einen öffentlichen Konsens braucht.

Nimmt man ihn vielleicht deshalb auch nicht so als bedrohlich wahr?

Auch die Frisur und die ganze Körperlichkeit – es ist alles ein bisschen an der Grenze zum Lächerlichen. Wenn man etwas Bedrohliches in etwas Lächerliches verwandelt und umgekehrt, dann ist es auch nicht so bedrohlich. Damit spielt er sicher auch.

Und das ist doch irgendwie absurd – dass Menschen, die rational gesehen die Welt unsicherer machen, von Menschen gewählt werden, die Angst haben.

Aber andererseits auch gut verständlich: Trump nutzt reale Bedrohungen aus und schafft künstliche Bedrohungen. Damit erschient die Welt außerhalb der USA gefährlicher. Er bietet an, dass alles Gefährliche außer Landes hinter die Mauer geschafft wird. Die Mexikaner müssen sich fürchten, aber in den USA wird alles supersauber und superschön. Die Leute, die reale Erfahrungen mit Menschen in Mexiko haben, die an der Grenze wohnen, die wollen diese Mauer gar nicht. Je weiter weg man ist, desto mehr das eine Fantasie ist, desto besser funktioniert das. Trump benutzt das natürlich: Je stärker diese Fantasie ist, desto stärker kann er gegen die fantasierte Bedrohung eintreten.

Psychotherapeutin: "Trump ist wie ein verrücktes Kind“
Republican presidential nominee Donald Trump speaks during a campaign rally in Jackson, Mississippi, U.S., August 24, 2016. REUTERS/Carlo Allegri

Dazu kommt dann, dass bei ihm nie ganz klar ist, ob er das jetzt ernst meint, was er sagt – und er selbst spielt auch damit, dass er Dinge sagt, sie im Nachhinein als sarkastisch bezeichnet und am nächsten Tag doch wieder ernst meint.

Es geht ständig um Aufmerksamkeit. Es ist ein bisschen, wie mit einem Kind zu streiten, oder mit einem aufmüpfigen Jugendlichen. Menschen wie Trump leben ja auch davon, in anderen Menschen Ärger auszulösen.

Das macht es für das Gegenüber natürlich schwierig: Man ist entweder der Spaßverderber oder man lässt sich auf das Niveau herab und macht sich selbst lächerlich.

Wahrscheinlich muss man genau das thematisieren: Was es heißen würde, wenn so jemand tatsächlich an die Macht käme, der etwas an einem Tag so meint und am nächsten dann nicht mehr.

Das ist ja auch bei Trump ein spannender Punkt: Wahlkampf macht ihm offenbar Spaß, aber Präsident zu sein, das ist mühsam, das ist Arbeit – will Trump überhaupt gewinnen, sich mit den Mühen der Ebene herumschlagen?

Der Wahlkampf in den USA ist die größte Bühne, die man bekommen kann. Trump ist auch ständig online, twittert dauernd. Auch wenn man sich Trump auf Twitter anschaut: Das kennt man unter Buben, dass man sich untereinander beleidigt. Es geht da nicht um Erwachsensein, Konzepte und Verantwortung für das Land. Es geht ums Spielen, ums Gewinnen. Es geht um Haben, nicht um Sein. Wirklich zu verstehen, was beispielsweise im Nahen Osten passiert, Verantwortung im Land zu übernehmen – da kann ich mir Trump auch nicht wirklich vorstellen. Dafür ist Trump, so wie er sich bis jetzt präsentiert hat, nicht geeignet.

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