Wie unser einzelliger Urahn lebte

Forscher berichten über die Lebensbedingungen von LUCA, dem ältesten Lebewesen der Erde.

Unser aller gemeinsamer Vorfahre ernährte sich von Gas und liebte es heiß: LUCA, der "Last Universal Common Ancestor", ist ein Einzeller, der vor zirka 3,8 Milliarden Jahren entstanden ist. Er ist das älteste bekannte Lebewesen auf der Erde. Und aus ihm entwickelten sich alle heute existierenden Bakterien, Pilze, Pflanzen, Tiere sowie der Mensch.

Bislang war wenig über das frühe Leben auf der Erde bekannt. Jetzt lieferten Wissenschaftler um William F. Martin vom Institut für Molekulare Evolution der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf eine genaue Beschreibung unseres Vorfahren. Über Jahre machten sie genetische Studien: Sie untersuchten die Erbsubstanz von heutigen Bakterien und Archaeen, Einzellern, die in ähnlich extremen Bedingungen leben wie unser Urahn.

Energiebedarf aus Schwefel und Selen gedeckt

Die erstaunliche Erkenntnis: Trotz der genetischen Veränderungen durch die Evolution, liefern sie nach wie vor Hinweise über die damaligen Lebensbedingungen, sagt Martin dem KURIER. Im Journal Nature Microbiology erklären die Forscher, dass LUCA bei Temperaturen um die 100 Grad entstanden ist und keinen Sauerstoff benötigte. Für seinen Stoffwechsel nutzte der kernlose Einzeller Kohlendioxid, Wasserstoff und Stickstoff. Den Energiebedarf deckte er aus einfachen chemischen Reaktionen, ohne Hilfe von Sonnenlicht. Dazu brauchte er Elemente wie Schwefel und Selen.

Was andere Forscher aber stutzig macht: Die sehr hohen Temperaturen, unter denen sich unser Urahn entwickelt haben soll. Auch Christine Moissl-Eichinger, Professorin für Interaktive Mikrobiomforschung an der MedUni Graz, kommen die 100 Grad sehr hoch vor: "Das Entstehen des Lebens bei höheren Temperaturen ist umstritten." 2009 berichteten Evolutionsgenetiker der Universität von Montreal, dass LUCA hitzesensibel gewesen sein soll. Und in einem Klima von weniger als 50 Grad Celsius lebte. Was sagt der Mikrobiologe dazu? " Bisher drehte sich die Diskussion um hypothetische Organismen. Wir fanden heraus, dass in den Genomen konkrete Hinweise stecken, wie und wo Organismen wie LUCA entstanden sind. Das verändert die Debatte. Heute weiß man, dass sich moderne Organismen bei hohen Temperaturen gut entwickeln."

Wo LUCA entstand?

Abseits dieses Disputs kursieren auch verschiedene Meinungen darüber, wo sich der Funke des Lebens entzündete. Es gibt mehrere Theorien. Für William F. Martin von der Düsseldorfer Forschergruppe steht fest: Die Wiege des Lebens stand auf dem Meeresgrund – in den Hydrothermalquellen der Tiefsee. "Lost City", verlorene Stadt, heißt jener Ort im Atlantik, an dem vermutlich eine chemische Reaktion zu den ersten Einzellern führte.

Dort gibt es Untersee-Geysire, aus deren Schloten damals alkalisches, warmes Wasser austrat. Der umgebende Ur-Ozean war aber sauer, enthielt große Mengen an gelöstem Kohlendioxid. Diese ungleiche Mischung setzte vermutlich eine biochemische Reaktion in Gange.Noch heute wachsen dort moderne Einzeller, die dem gemeinsamen Vorfahren am ähnlichsten sind. Sogenannte Methanogene (Methanbildner) und Acetogene (Essigsäurebildner). Einen Tatsache, die Mikrobiologen Martin besonders fasziniert.Auch für die Zukunft könnten die Erkenntnisse über das Leben von LUCA wichtig sein, etwa in der Weltraumforschung. Christine Moissl-Eichinger leitet das "Center for Life Detection" an der MedUni Graz – dabei untersucht sie unter anderem, wie Mikroben unter Mars-Bedingungen überleben können. Und hilft anderen Wissenschaftlern beim Auffinden von Mikroben in Proben aus den unwirtlichsten Gegenden der Erde. Sie vermutet, "dass auch für Leben im Weltraum einfache Nährstoffe die Basis für den Stoffwechsel bilden und die möglicherweise vorhandenen Organismen bis auf die Hitze ähnliche Bedingungen wie LUCA vorfinden.Ob es vor unserem Urahn schon Leben gegeben hat? Mikrobiologe Martin: "Wir schließen es nicht aus, aber es gibt keine Hinweise. Wir wüssten auch nicht einmal, wo wir anfangen sollten..."

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