Coronavirus: Warum Experten die Zahlen aus China in Zweifel ziehen

Eine Krankenschwester gibt einem schwer Erkrankten Essen an der Uni-Klinik von Wuhan: 80 Prozent der Infektionen verlaufen aber mild.
Der sprunghafte Anstieg der Fälle durch eine neue Nachweismethode sorgt international für Skepsis.

Ein Plus von 15.000 bestätigten Infektionen mit dem neuen Coronavirus von einem Tag auf den anderen (konkret von Mittwoch auf Donnerstag) – statt sonst im Schnitt „nur“ rund 2000: Diese Entwicklung in China sorgt für Skepsis unter Experten. Begründet wird der starke Anstieg mit einer neuen Methode, wie die Fälle gezählt werden. Wobei sich von Donnerstag auf Freitag nach dieser enormen Spitze wieder ein gewisser Rückgang des Anstiegs zeigte - mit einem Plus von 4823 bestätigten Fällen, darunter 116 Todesfällen.

Die am stärksten betroffene Provinz Hubei mit der Stadt Wuhan gestand aber am Donnerstag ein: Es gebe doch mehr Infizierte als bisher verlautet. Durch den gewaltigen Sprung von Donnerstag auf Freitag und dem neuerlichen, zwar schwächeren, aber  immer noch beachtlichen Anstieg von Donnerstag auf Freitag sind es bereits knapp 66.000 bestätigte Fälle, darunter fast 1500 Todesfälle. „Transparenz sieht anders aus“, zitieren Agenturen Diplomaten.

Bisher wurden in China – so wie auch in Österreich – Rachenabstriche entnommen. Dann wurde versucht, Genabschnitte, die typisch für das neue Coronavirus sind, nachzuweisen. Das war Voraussetzung für eine offizielle Bestätigung. Jetzt genügt eine spezielle Röntgenuntersuchung (Lungen-CT) plus Befragung des Patienten.

Keine Diagnose

„In einem Lungen-CT erkennt man lediglich, dass es an bestimmten Stellen ein verdichtetes Gewebe gibt“, sagt Michael Studnicka, Vorstand des Uni-Klinik für Lungenheilkunde des Uniklinikums Salzburg. „Das kann, aber muss keine Lungenentzündung sein. Und wenn es eine ist, kann in China das neue Coronavirus genauso die Ursache sein wie ein anderer Erreger, etwa die Influenza.“ Es sei also nicht möglich, eine sichere Diagnose zu stellen: „Ich kann nur sagen, dass bei einem Patienten in Wuhan mit Fieber, Husten und helleren Stellen im Lungen-CT eine Infektion mit dem Coronavirus eine wahrscheinliche Ursache sein kann.“

Die chinesische Statistik ist aber schon länger umstritten: Denn bereits vor einer Woche gab es eine erste – weniger beachtete – Umstellung: Da wurde bekannt, dass China Personen mit nachgewiesener Infektion dann nicht zur Gesamtzahl der Infizierten zählt, wenn diese keine Symptome zeigen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sind aber bis zu 80 Prozent der Fälle mild – und vielfach ohne Symptome.

„Solange wir nicht mehr über die neue Methode und ihre Vergleichbarkeit mit der vorhergehenden wissen, können wir nicht erkennen, wie die Epidemie tatsächlich voranschreitet“, erklärte der britische Epidemiologie Paul Hunter im The Guardian.

„Alle Zahlen aus China haben derzeit den Charakter von Hausnummern“, sagt der Infektionsspezialist Herwig Kollaritsch. „Und es gibt eine große Dunkelziffer. Das heißt, alle Daten, die wir haben, zeigen höchstwahrscheinlich nicht das tatsächliche Bild.“ Wichtiger als die täglichen Zahlen sei aber der Verlauf: „Auch wenn die Zahlen fehlerhaft sind: Da die Fehler und Ungenauigkeiten jeden Tag ähnlich sein werden, kann man – wenn man bei einer Erhebungsmethode bleibt – zumindest eine Entwicklung erkennen. Das ist wichtiger als konkrete Zahlenangaben.“

Trotz des starken Anstiegs müsse man einen realistischen Blick bewahren: „Derzeit gibt es in China rund 4,5 Infektionen mit dem Coronavirus auf 100.000 Einwohner. In Österreich kommt derzeit auf 40 Menschen ein Grippe-Patient. Und der Anteil der tödlichen Fälle ist beim Coronavirus nicht viel höher als bei der Grippe.“

Einen Coronavirus-Todesfall außerhalb von China gibt es jetzt neben den Philippinen auch in Japan: Eine zirka 80 Jahre alte Frau ist an den Folgen der Infektion gestorben.

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