Wie es zum Grabungs-Aus in Ephesos kam

Wie es zum Grabungs-Aus in Ephesos kam
Innerhalb weniger Tage mussten die Forscher ihre Arbeit abbrechen – wie es weitergeht, ist offen.

Sabine Ladstätter hat emotional schwierige Tage hinter sich. Binnen drei Tage musste sie den Abzug des internationalen Wissenschaftler-Teams aus der antiken Stadt Ephesos organisieren. "Früher hätte ich gesagt, das ist unmöglich. In dem Moment waren wir aber gezwungen", erzählt die Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts im KURIER-Gespräch.

Grund für das Krisenmanagement: Vergangenen Dienstag erhielt die Archäologin und Grabungsleiterin in ihrem Büro in Wien ein eMail des türkischen Kulturministeriums: Die Grabungen in Ephesos müssen eingestellt werden – eine Anordnung des türkischen Außenministeriums. Und zwar eine niederschmetternde. Denn Protest ist zwecklos, erklärt Ladstätter: "Ich kenne das Land zu gut, um zu wissen, wenn es besser ist, nicht mehr zu diskutieren und Dinge zu akzeptieren."

Keine Vorzeichen

Vorzeichen, dass sich die politischen Spannungen auf die Forschung auswirken würden, gab es keine. "Es kam absolut überraschend, wobei ich schon Befürchtungen hatte ..." Die Reaktionen ihres Teams und vieler Fachkollegen beschreibt sie mit einem Wort: "Fassungslosigkeit."

Seit mehr als 120 Jahren graben und forschen österreichische Forscher in der antiken Kultstätte. Auf der Suche nach einem Vorzeige-Projekt riet ihnen einst Troja-Entdecker Heinrich Schliemann, bei Ephesos zu forschen. Seither brachten sie zahlreiche sensationelle Funde zu Tage (siehe Grafik). Und dem Land jährlich mehrere Millionen Besucher. Vergangenen Juli wurde die antike Stadt in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. In der diesjährigen Grabungssaison gelang es, österreichischen Forschern mit internationalen Kollegen eine spätantike Wohnanlage freizulegen sowie gefährdete Mosaike zu restaurieren.

Doch nicht alles davon konnte fertiggestellt werden. Als Sabine Ladstätter vom Forschungs-Aus erfuhr, flog sie sofort nach Ephesos. Die Grabungsarbeiten waren zwar zu Ende, aber die Restaurierungsprojekte noch im Laufen. Sie mussten abgebrochen werden. Halbfertige Gegenstände wurden so verwahrt, dass sie nächstes Jahr weiterbehandelt werden können. Der Rest kam in Kisten und Depots, die vorerst geschlossen wurden.

Die Stimmung im Team: "Es gab Momente der Verzweiflung, aber durch den extrem guten Zusammenhalt auch positive Schübe, wo wir gesagt haben, nein, wir schaffen das." Für Ladstätter war der Zusammenhalt zwischen österreichischen und türkischen Kollegen Beweis dafür, wie stark das Grabungsteam hier integriert ist. Letztlich gelang es den Forschern, am Freitag um 18 Uhr alle Arbeiten zu beenden und Flüge für Mitarbeiter umzubuchen. Auch Dissertanten konnten noch Zeit gewinnen – "damit sie mit vollen Taschen zurück an ihre Unis in Österreich, der Türkei, Griechenland oder England gehen können".

Ruinen schützen

Mit den türkischen Behörden erstellten die Forscher eine Liste, was über den Winter notwendig wäre, um die Ruine zu schützen. "Da sind wir in Gesprächen, wie man das abwickeln kann. Ich hoffe sehr, dass es Möglichkeit geben wird." Was zukünftige Grabungen betrifft, will Ladstätter abwarten, die Situation abkühlen lassen. "Das Problem muss auf politischer Ebene gelöst werden. Ich werde sicher auf wissenschaftlicher Seite alles tun, damit diese Kooperation weitergeht."

Derzeit ist die 47-Jährige noch in Ephesos. Sie will so lange bleiben, bis auch der letzte Mitarbeiter und letzte Student abgereist sind. "Ich werde noch schauen, dass alle Fenster ordnungsgemäß geschlossen sind, dann werde ich auch fahren. Der Kapitän verlässt als Letzter das Schiff."

Es ist nicht das erste Mal, dass österreichischen Archäologen in Ephesos das Graben untersagt wird: 1908 verweigerte das Osmanische Reich vorübergehend die Lizenzen für die 1895 gestarteten Arbeiten – aus Protest gegen die Annexion Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn.

Diesmal wurde das Grabungs-Aus verfügt, weil der Haussegen zwischen Wien und Ankara seit dem gescheiterten Putschversuch schief hängt. Österreich protestierte vor allem gegen die Pro-Erdoğan-Demonstrationen in Wien. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) empfahl Erdoğan-Anhängern, die politisch aktiv sein wollten, das Land zu verlassen. Und Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) legte ein Vielfaches nach, als er jüngst den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ventilierte.

"Verpiss dich, Ungläubiger", war die Reaktion eines der engsten Erdoğan-Beraters an Kern. Sebastian Kurz wiederum machte kürzlich beim informellen Außenministerrat in Bratislava neuerlich deutlich, dass der Platz der Türkei nicht in der EU sei, dass sich Kanzler Kern beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am 16. September für ein Ende der Beitrittsverhandlungen starkmachen wird und dass er, Kurz, ein Vetorecht bei der Eröffnung neuer Verhandlungskapitel habe.

In der EU steht Österreich mit diesem Kurs ziemlich alleine da. Das weiß auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan – und dreht den Österreichern kurzerhand die Ausgrabung in Ephesos ab.

"Ich bedaure diese Entscheidung sehr, weil sie Politik und Wissenschaft vermischt und im Widerspruch zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit steht, die wir über viele Jahre in Ephesos gepflegt haben. Mit diesem Schritt wird die Freiheit der Wissenschaft weiter eingeschränkt", beklagte Wissenschaftsminister und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nach Bekanntwerden der türkischen Entscheidung.

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