Die große Sehnsucht nach Sonne

an illustration of a snowy winter scene unzipping into a summer landscape with bees and flowers under a blue sky
Der trübste Winter seit Menschengedenken drosselt die Glückshormon-Produktion

Mit 40 Kilometern pro Tag schiebt er sich heran, hat Ende Februar Faro in Portugal überrollt und wird – weil er für eine Strecke von 3600 km etwa 90 Tage braucht – erst Ende Mai in Finnland auftauchen. Zu uns kommt er übernächste Woche so richtig, wenn dann vielleicht schon die ersten Buschwindröschen und Leberblümchen blühen – der Frühling.

Aber dann geht es los: Säfte steigen, Gefühle erwachen, Hüllen fallen. Schneeglöckchen und Winterlinge stoßen mit ihren Trieben durch die gut durchfeuchtete Erde. Neurobiologen wissen: Der Mensch reagiert auf die Jahreszeiten. Heißt: Nicht nur die wärmeren Temperaturen und der Duft, der in der Luft liegt, wirken wie Doping aufs Gemüt. Tatsächlich befindet sich unser Körper im Rausch der Hormone.

Spring-Fever nennen das die Mediziner. Und genau so fühlen sich viele: Fiebrig gespannt auf das Neue, das da kommen könnte. Ein Teil der Menschen ist bipolar, das sind jene Leute, die von der saisonal bedingten Depression unmittelbar in die Euphorie kippen.

Es ist höchste Eisenbahn

Aber freuen wir uns nicht zu früh. Die ersten Märztage werden höchstens vorfrühlingshaft. Nächste Woche wird sich im östlichen Österreich zwar endlich die Sonne zeigen, die Nächte werden aber eiskalt und in den Morgenstunden wird es frostig sein. Entlang der Donau, in den Alpentälern und im Süden des Landes erwarten die Meteorologen Nebel und Hochnebelfelder.

Die Sehnsucht nach ausgedehnten Sonnenstunden ist groß, unser innerer Alarm schrillt schon heftig. Seit Anfang Dezember gab es in Österreich im Schnitt um die 150 Sonnenstunden. Normal sind etwa 240. Auf den Bergen wurde nur selten ein so sonnenarmer Februar registriert wie heuer. In Salzburg, Osttirol, Oberkärnten und in der Obersteiermark lagen die Sonnenstunden um 60 Prozent unter dem Mittelwert – das gab es seit Beginn der Messungen 1884 nur im Jahr 1947. Die letzten Tage in diesem Februar entscheiden, ob es überhaupt der trübste Februar seit Beginn der Aufzeichnungen wird. Von Unterkärnten bis ins Mittelburgenland war es zuletzt 1972 trüber als heuer. In den Regionen von Oberösterreich bis ins Nordburgenland ist das Defizit mit 62 Prozent am größten.

In Wirklichkeit ist es für die Menschen aber egal, ob die Experten an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) den Winter 2012/’13 am Ende auf Platz eins oder zwei der dunkelsten und feuchtesten Jahreszeiten (siehe Geschichte rechts) reihen. Für viele ist es gefühlsmäßig längst der sonnenärmste Winter seit Menschengedenken.

Licht ist laut Holger Westermann, einem Münchener Biowetter-Experten, der mit der ZAMG zusammenarbeitet, entscheidend für unser Wohlbefinden. Die Lichtaufnahme übers Auge reguliert das Zusammenspiel der körpereigenen Hormone Serotonin (Wachhormon) und Melatonin (Schlafhormon). Es wird zu wenig Serotonin auf- und zu wenig Melatonin abgebaut. Westermann: „Wir schlafen bei Lichtmangel schlechter ein. Unser Tag-Nacht-Rhythmus gerät durcheinander, vor allem bei Menschen, die nicht berufstätig sind, und selten das Haus verlassen.“ Lange Sonnenarmut löst depressive Stimmungen aus.

Es ist Zeit für Liebe

Es hat übrigens einen evolutionären Grund, warum wir uns nach dem Frühling sehnen. Dass die Botenstoffe im Lenz verrückt spielen, ist ein Überbleibsel unserer Vorfahren: Der Nachwuchs soll dann zur Welt kommen, wenn es Nahrung im Überfluss gibt. Aus diversen Statistiken weiß man, dass die meisten Babys im Frühling gezeugt werden.

Seasonal Affective Disorder – darunter leiden mittlerweile viele, sogar die, die immun gegen schlechtes Wetter scheinen. Der Grund für das saisonale Tief liegt im fehlenden Tageslicht, der Körper produziert zu wenig Serotonin. Der menschliche Organismus kann Serotonin aus Tryptophan selbst herstellen. Diese essenzielle Aminosäure muss dem Körper aber über die Nahrung zugeführt werden:

Milch und Milchprodukte, Geflügel, Rindfleisch, Eier, Erbsen, Nüsse, Erdäpfel und Käse helfen. Aber auch in Kakaobohnen ist Trypthophan enthalten. Für Winterblues-Geplagte empfiehlt es sich, diese Lebensmittel als letzte Mahlzeit am Tage zu essen oder vor dem zu Bett gehen Milch zu trinken.

Doch dadurch allein ist die Trübheit nicht behoben. Damit sich aus dem Tryptophan das stimmungsaufhellende Serotonin bildet, braucht der Körper Tageslicht. Das ist am besten mit langen Spaziergängen einzufangen. Aber auch eine kleine Runde um den Häuserblock in der Mittagspause kann die Stimmung positiv beeinflussen. „Selbst bedeckter Himmel liefert erheblich mehr Sonnenlicht als ein noch so heftig illuminiertes Wohnzimmer“, erläutert Holger Westermann (www.menschenswetter.at)

Wer nur selten ins Freie kommt, dem kann eine Lichttherapie helfen. Sie wird mit speziellen Lampen, die eine Helligkeit von 10.000 Lux erreichen, durchgeführt.

Gut auf das Gemüt kann sich eine Farb-Licht-Therapie auswirken. Dabei werden Farben gezielt eingesetzt, um seelische und körperliche Störungen positiv zu beeinflussen. Meist liegt die Farblehre der traditionellen chinesischen Medizin zugrunde. Demnach wirken Rottöne stimulierend, ein zartes Grün soll die Kreativität beflügeln, während gelb entspannend wirkt. Blau soll die Wundheilung beschleunigen und Schmerzen lindern. Und nutzt es nicht, so schadet es nicht und macht das Leben zumindest kurzzeitig bunt.

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