Wirtschaftsstandort Wien verliert

Erstaunlich: Obwohl am europäischen Automarkt im ersten Halbjahr 2013 um fast sieben Prozent weniger Neuwagen verkauft wurden, als im Vorjahreszeitraum, konnten die Verlustmarken mit Ausnahme von Renault ihren Verlust eindämmen.
Wien muss als Standort neue Schwerpunkte setzen und sich globaler ausrichten. Als Wirtschaftsstandort sinkt die Attraktivität.

Drei Konzerne, drei Abgänge: Der niederländische Heineken-Konzern, die finnische Handy-Hersteller Nokia und der Schweizer Kaffeeröster Nespresso zogen im Vorjahr ihre Osteuropa-Zentralen aus Wien ab. Keine Einzelfälle, sondern eine Entwicklung, die seit Jahren anhält – und noch nicht zu Ende ist.

Viele Konzerne, die einst wegen der günstigen geografischen Lage von Wien aus ihr Osteuropa-Geschäft aufbauten, haben längst eigene Niederlassungen vor Ort errichtet oder steuern, wie etwa IBM, ihre Geschäfte mittels modernster Kommunikationstechnologien „virtuell“ von irgendwo auf der Welt. Sind die Zentral- und Osteuropa-(CEE)-Zentralen noch in Wien, müssen die Verantwortlichen immer öfter die Vorteile des Standortes Wien gegenüber ihren Konzernzentralen verteidigen.

Zentralisierung

Die Gründe für die Unternehmen, Wien den Rücken zu kehren, sind vielfältig. „Die Märkte in Osteuropa sind längst etabliert“, weiß Wilhelm Simon, Osteuropa-Experte beim Berater PriceWaterhouseCoopers (PwC). Eine zentrale Steuerung macht für viele Unternehmen vielfach keinen Sinn mehr. Von den rund 200 regionalen Headquarter internationaler Konzerne sind nur noch zwei Drittel für Zentral- und Osteuropa (CEE) zuständig. Die Zahl der Neuansiedelungen ist überschaubar. Die flaue Wirtschaftslage verstärkt die Zurückhaltung. Im Vorjahr bauten nur zwei Unternehmen ihre Firmenzentralen in Wien auf – beide aus Deutschland.

„Es geht nicht nur um Neuansiedelungen, sondern auch darum, durch eine attraktive Standortpolitik, Firmen in Wien zu halten“, sagt Simon. „Wien bietet Lebensqualität und Sicherheit – aber es ist alles ein bisschen provinziell“, betont Wolfgang Richter, Geschäftsführer des Standortberaters RegioPlan und rät: „Wien braucht einen neuen Schwerpunkt, zum Beispiel Forschung.“ Als Forschungsstandort geriet Wien zuletzt gegenüber osteuropäischen Städten wie Warschau ins Hintertreffen.

Europa-Zentrale

Wenn Wien auch in Zukunft noch eine Brückenkopffunktion haben wird, dann nach Südosteuropa, ist Richter überzeugt. Unternehmen, die Interesse an Ex-Jugoslawien, Bulgarien und der Türkei haben, könnten ihre Geschäfte von Österreich aus steuern. Auch PwC-Experte Simon empfiehlt eine globalere Ausrichtung als „Europa-Zentrale“, etwa für chinesische, brasilianische oder russische Unternehmen. Vor allem die stark nach Europa drängenden chinesischen Konzerne müssten ins Visier genommen werden.

Erste Ansiedelungserfolge gibt es: So haben die beiden Telekom-Riesen Huawei und ZTE Wien zur Osteuropa-Drehscheibe ausgebaut. Der US-IT-Dienstleister Computer Science Corporation (CSC) verlegte seine Zentrale für Osteuropa und Forschung von Prag nach Wien. Dass Wien auch eine „West-Drehscheibe“ sein kann, zeigt der rumänische Software-Anbieter Totalsoft, der im Vorjahr eine Österreich-Tochter gründete.

Wien müsse aber auch etwas dazu beitragen, seine bestehenden Standortvorteile nicht zu verspielen, betont Leo Hauska von Headquarters Austria. Vor allem in punkto Erreichbarkeit, Besteuerung, Arbeitsbewilligung und Erleichterungen für Expatriates seien noch viele Verbesserungen möglich. „Es kann nicht sein, dass mein Kind in Wien gar keine Schule besuchen kann, weil die Bewerbungsfristen schon irgendwann abgelaufen sind“, nennt Simon ein Beispiel für die typische Wiener Bürokratie.

Fünfzig einflussreiche Wirtschaftstreibende haben sich zusammengetan. Sie wollen Wien zu einer Stadt mit einer besseren Zukunft machen. Die Vision: hohe Lebensqualität, gute Konzepte für Integration, Fortschritte bei Bildung, Forschung und Entwicklung. Nicht zuletzt ist die Förderung des Wirtschaftsstandortes ein zentrales Anliegen der Bright-Minds-Mitglieder.

Die Initiative geht von Gabi und Georg Spiegelfeld aus (renommierter Immobilienmakler), der KURIER und Format unterstützen das Projekt. Ideen folgen Taten.

Erste Ergebnisse

So hat sich die Gruppe etwa zum Ziel gemacht, die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund zu fördern. Die Stadt Wien und der Verein Wirtschaft für Integration wollen mehr ehrenamtliche Betreuer für Kindergartengruppen gewinnen.
Wirtschaftsminister Mitterlehner hat indes Unterstützung bei der Gründung eines Musik- und Medien-Clusters zugesagt. Wien ist die Hauptstadt der Musik: Tonstudios und produzierendes Gewerbe sollen sich in diesem Bereich wieder verstärkt in Wien ansiedeln.

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