Ukraine: Wettkampf um die Kornkammer

Ukraine: Wettkampf um die Kornkammer
Internationale Investoren greifen nach Europasfruchtbarsten Böden. Kleine Bauern kämpfen ums Überleben.

Fünf Traktoren, das ist schon was, wovon man träumen kann - vor allem, wenn der Bauer nebenan so viele hat. Wenn Alexander hinten bei seinem Gewächshaus herausschaut, kann er dessen Felder sehen. 300 Hektar hat der gemietet, von allen Bauern rundherum, auch von Alexander. "Was hätte ich damit auch anfangen sollen", meint der Gemüsezüchter heute: "Was nützt dir der Boden, wenn du kein Geld hast, um darauf etwas anzubauen?"

Fünf Hektar hat hier in Cherson, einem kleinen Bauerndorf unweit von Odessa, jeder Bauer bekommen: Damals, als die Sowjetunion zerfiel und die sozialistische Planwirtschaft gleich mit ihr. Die staatlichen Landwirtschaftsbetriebe wurden aufgelöst und das Land verteilt. Ganz gleichmäßig hat die Behörde in Kiew die Striche auf der Landkarte gezogen, das Land nach Plan zerstückelt. Anfangen konnten nur die wenigsten etwas damit. In der ehemaligen Kornkammer der Sowjetunion wuchsen die Brachflächen, verödeten Tausende Quadratkilometer fruchtbare Schwarzerdeböden.

Agrarkonzerne

Wer Geld hatte, hatte hier leichtes Spiel. Zwar dürfen die Böden bis heute nicht verkauft werden, aber langjährige Pachtverträge erfüllen den selben Zweck. Großbauern, so wie Alexanders Nachbar, wurden aktiv, doch auch die sind längst kleine Fische im Spiel um die ukrainische Landwirtschaft. Investoren übernahmen die Anlagen der Staatsbetriebe und krallten sich das Land dazu von den Bauern. Mit dem Geld ukrainischer Oligarchen im Hintergrund wurden diese Betriebe rasend schnell größer.

Mittlerweile treten immer mehr internationale Investoren auf den Plan, aus Deutschland, den USA, arabischen Ländern. Sie verwalten Gründe mit Zehntausenden Hektar, und sie haben vor allem ein Ziel: Getreideproduktion für einen Weltmarkt, auf dem die Preise ständig steigen. "Die Entwicklung dieser Agrarholdings ist für die ukrainische Landwirtschaft fatal", urteilt der Agrarexperte Volodomyr Pospolitak: "Die Viehwirtschaft, die ganze Agrartradition geht verloren."
Mit neuen Kreditmodellen versucht man den Kleinbauern des Landes auf die Beine zu helfen, ihnen Startgeld zu verschaffen. Mikrokredite im Umfang von gerade einmal ein paar Hundert Euro sollen es einigen möglich machen, zumindest für den lokalen Markt zu produzieren. Das Geld dafür kommt von sozial engagierten Banken wie der holländischen Oikocredit.

Etwas größere Bauern versucht man mit Unterstützung deutscher Experten zu Agrargenossenschaften zusammenzuschließen, ganz nach dem Vorbild der Raiffeisen. Erschwert werden all diese Ansätze durch die unübersichtliche politische Lage. Gesetzliche Reformen, die Verkauf und Pacht von Grund und Boden sinnvoll regeln, kommen seit Jahren nicht voran. Zu widersprüchlich sind die Interessen der großen Oligarchen, die alle Fäden in der ukrainischen Politik ziehen.

Gewächshäuser

Für kleine Bauern wie Alexander ist das ohnehin eine Lichtjahre entfernte Welt. Er hat sich erfolgreich von Kredit zu Kredit gehantelt und inzwischen eine ganze Reihe von Gewächshäusern, in denen Gurken, Tomaten oder Karfiol wachsen.

Während andere Kleinbauern es mit ihrem Gemüse gerade bis zu einem Stand an der Straße schaffen, wo sie auf die seltenen Kunden warten, bringt Alexander sein Gemüse in die Stadt, auf den Markt, oder sogar in die Restaurants. Und weil der erste Traktor noch Zukunftsmusik ist, macht sein zwanzig Jahre alter Lada alle Wege mit ihm - und hat sich so seinen Spitznamen mehr als verdient: "Mein Haustraktor", lacht der junge Bauer: "der schafft's aufs Feld und ins Restaurant".

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