Tierversuche: Proteststurm gegen neues Gesetz

Wissenschaftler und Pharmakonzerne drohen wegen verschärfter Regelungen mit der Abwanderung aus Österreich. Tierschützer rufen zu Protestaktionen.

Das geplante, neue Tierversuchsgesetz regt nicht nur Tierschützer auf, sondern sorgt auch für Schmerzen bei heimischen Wissenschaftlern. Während für die Tierschützer der Tierschutz in der Novelle wieder einmal viel zu kurz kommt, fürchten Grundlagenforscher und Pharmakonzerne gar um den Forschungs- und Entwicklungsstandort Österreich. "Durch das neue Gesetz kommt es zu einer Verlagerung hochwertiger Arbeitsplätze ins Ausland", heißt es bedrohlich in einer gemeinsamen Stellungnahme von universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen; darunter auch das Institut für molekulare Biotechnologie (IMBA) von Spitzenforscher Josef Penninger in Wien.

Besonders kritisiert wird die Ausweitung der Genehmigungsverfahren durch die neue Einteilung von Tierversuchen in Schweregrade sowie die geforderte, erhöhte Transparenz bei Tierversuchen. So müssen Anträge künftig nicht-technische Projektzusammenfassungen enthalten, die via Internet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Forscher sollen also quasi einen Blick ins Labor erlauben. Den unter starken Wettbewerbsdruck stehenden Pharmakonzernen geht dies entschieden zu weit.

Vertraulichkeit

Tierversuche: Proteststurm gegen neues Gesetz

Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim etwa sieht in der Novelle eine "Gefährdung der Vertraulichkeit und eine Gefährdung des Schutzes geistigen Eigentums." Jan Oliver Huber, Generalsekretär des Verbandes der pharmazeutischen Industrie (Pharmig), fordert, dass zumindest der Personenschutz gewahrt werden muss, da Forscher sonst von militanten Tierschützern bedroht werden könnten. "Es kann nicht alles am Computer getestet werden, ohne Tierversuche ist die Erforschung neuer Arzneimittel nicht möglich", sagt Huber zum KURIER. Für die Arzneimittelentwicklung seien Tierversuche in der Präklinik sogar gesetzlich vorgeschrieben.

Kritisiert wird auch der bürokratische Mehraufwand durch die komplizierteren Genehmigungsverfahren. Die Einteilung der Tierversuche in diverse Schweregrade, was die Leiden und Schmerzen der Tiere betrifft, erfordert mehr Zeit und verursacht höhere Kosten.

Könnten die Versuche wegen hoher Kosten und überbordender Auflagen nicht mehr in Österreich stattfinden, würden sie in andere Länder mit liberaleren Gesetzen verlagert, glaubt Huber. Damit gehe aber auch ein Teil wissenschaftlicher Forschung verloren. Die Novelle trage für ihn eindeutig die Handschrift der Tierversuchs-Gegner.

Diese sind aber mit der Neuregelung ebenfalls unglücklich. Wenn auch aus ganz anderen Gründen.

Tier-Anwalt

Dem Verein gegen Tierfabriken (VGT) ist das erweiterte Genehmigungsverfahren viel zu zahnlos. Die Aktivisten fordern unter anderem eine Schaden-Nutzen-Abwägung bei jedem Antrag, noch mehr Transparenz, eine rückblickende Bewertung aller Versuche sowie einen eigenen "Versuchstier-Anwalt", der den Versuchstieren im Genehmigungsverfahren eine Stimme gibt. VGT-Sprecherin Yvonne Zinkl pocht aber auch auf eine rasche Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung: "Damit das neue Tierversuchsgesetz in Kraft treten kann, muss Tierschutz in der Verfassung verankert werden. Alles andere entspricht nicht der vorgegebenen EU-Richtlinie und wäre somit verfassungswidrig." Da die ÖVP aus Sicht des VGT diesen Schritt aber blockiert, wollen die Tierschützer kommenden Montag vor den ÖVP-Zentralen in Wien, Linz, Innsbruck und Klagenfurt protestieren.

Jede Menge Änderungen im Gesetzesentwurf begehrt auch die Tierschutzorganisation Vier Pfoten. So gäbe es bei der Kontrolle von Betrieben sogar eine Verschlechterung. Bisher wurde ein Mal jährlich kontrolliert, künftig soll nur noch ein Drittel der Betriebe jährlich überprüft werden. Als "geradezu lächerlich" wertet Vier-Pfoten-Chef Helmut Dungler die vorgesehene Verwaltungsstrafe von 7250 Euro bei Vergehen gegen das Tierversuchsgesetz: "Damit ist für einen großen Konzern die abschreckende Wirkung gleich null."

Im Wissenschaftsministerium verspricht man, sich alle Bedenken gegen das neue Gesetz genau anzusehen und mit den anderen drei betroffenen Ressorts (Wirtschafts-, Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium) abzustimmen. Die Abstimmung im Parlament ist für 10. November geplant.

Versuchstiere: 84 Prozent Mäuse und Ratten

Tierversuche: Proteststurm gegen neues Gesetz

Trotz zunehmender Protestaktionen nahm im Vorjahr die Zahl der Tierversuche in Österreich zu. Laut Aufzeichnung des Wissenschaftsministeriums wurden exakt 191.288 Versuchstiere verwendet, das sind um 2,2 Prozent mehr als ein Jahr davor. Zum Vergleich: Im Jahr 1999 waren es knapp 130.000. Der Großteil der verwendeten Tiere sind Mäuse oder Ratten mit einem Anteil von 84 Prozent, gefolgt von Kaninchen und Meerschweinchen (siehe Grafik links).

Begründet wird die Zunahme mit verstärkter biomedizinischer Forschung in Österreich. Die meisten Tiere, insbesondere Mäuse, nutzen der Grundlagenforschung, etwa bei der Entwicklung von Medikamenten zur Bekämpfung von Krebserkrankungen.

Bei der Herstellung und Qualitätskontrolle von medizinischen Produkten kamen 68.000 Tiere zum Einsatz. Ein weiteres Einsatzgebiet sind toxikologische oder sonstige Unbedenklichkeitsprüfungen.

Das Ministerium verweist darauf, dass dank immer besserer Ersatzmethoden die Anzahl der Tierversuche seit 1990 um 61 Prozent zurückging. Allein in Berlin gäbe es doppelt so viele Versuchstiere wie in ganz Österreich. Tierschützer sehen das anders. "Die steigende Zahl an Tierversuchen ist ein beschämendes Faktum und ein massiver Rückschlag für den Tierschutz", kritisiert Gerda Matias vom Internationalen Bund der Tierversuchsgegner. Was sie besonders aufregt: Die Novelle enthalte keine einzige konkrete Maßnahme zur Reduktion.

Tierversuchsgesetz: Mehr Transparenz

EU-Richtlinien Das neue Tierversuchsgesetz ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Harmonisierung aller europäischen Tierversuchsgesetze. Ziel ist es, Tierversuche grundsätzlich "zu vermeiden, zu vermindern oder zu verbessern" sowie Doppelversuche in der EU einzudämmen. Österreich hat im EU-Vergleich ein sehr strenges Gesetz. Tierschützer decken jedoch immer wieder Vergehen auf.

Neuregelung Tierversuche müssen künftig in die Schweregrade "gering", "mittel" und "schwer" eingeteilt werden. Versuche, die lang anhaltende, starke Schmerzen, schwere Leiden oder schwere Ängste verursachen, werden grundsätzlich untersagt. Die Veröffentlichung von Versuchs-Infos soll für mehr Transparenz sorgen. Teilweise müssen verpflichtend Tierschutzgremien eingerichtet werden.

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