"TTIP muss in dieser Form gestoppt werden"

Europas Standards würden nicht gesenkt: "Das ist kein Versprechen, sondern eine Drohung", sagt Foodwatch-Chef Thilo Bode.
Das Abkommen wäre völlig harmlos, sagt Verbraucherschützer Thilo Bode - ohne Regulierung und Investorenschutz.

Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) erhitzt die Gemüter. Der deutsche Bestsellerautor und Verbraucherschützer Thilo Bode (Foodwatch) bezeichnet sich prinzipiell als Befürworter des freien Handels, ist aber ein strikter TTIP-Gegner. Im Interview erklärt er, warum.

KURIER: Sie schreiben, die TTIP-Befürworter würden diffuse Ängste schüren. Welche meinen Sie da konkret?
Thilo Bode: In Deutschland wird das Argument gebracht, wenn wir uns nicht mit den Amerikanern zusammentun, setzen künftig asiatische Länder die Standards. Das wird nicht näher begründet, aber es insinuiert, dass Europa wirtschaftlich abgehängt wird. Dafür gibt es aber überhaupt keine Evidenz.

"TTIP muss in dieser Form gestoppt werden"
Europaweit fanden in den vergangenen Monaten mehrmals Proteste gegen TTIP statt. (Proteste in München im April)
Chlorhuhn, Genmais, Wasserausverkauf: Sind es nicht vielmehr die TTIP-Gegner, die mit Ängsten operieren?
Das wird Sie jetzt nicht überraschen: Ich sehe das genau andersrum. Die Versprechungen der Industrie und Politiker in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung sind maßlos übertrieben. Das geben die Studien gar nicht her. Wir haben nichts gegen Freihandel. Was wir nicht akzeptieren sind die zusätzlichen Instrumente, die Einfluss auf die Regulierungstätigkeit des Staates nehmen wollen. Dabei braucht es diese gar nicht. Darauf erhält man aber keine Antworten.

Darüber werden wir noch im Detail sprechen. Aber werden denn nicht Ängste beschworen ...
Welche Ängste denn, bitte? Ich kann nicht für alle Organisationen sprechen, aber ich würde gerne wissen, welche Ängste ich beschwöre.

Es stimmt: Sie spielen nicht die Chlorhuhn-Klaviatur. Den Vorwurf, die Propaganda der TTIP-Befürworter mit Gegenpropaganda zu beantworten, kann man Ihnen aber nicht ersparen.
Nein, das weise ich strikt zurück. Wir haben einen politischen Standpunkt und kämpfen für unsere Sache. Wenn Sie mir aber Propaganda und das Schüren von Ängsten vorwerfen, müssen Sie das konkret machen.

Als Beispiel ein Zitat aus dem Buch, Seite 74: „So geht es zu in der irren Welt der Dealmaker.“ Sie zitieren auch recht selektiv das, was Ihre Argumentation stützt.
Ich spitze zu, aber lasse auch Gegenstimmen zu Wort kommen. Gegen das Wort Panikmache oder Propaganda wehre ich mich. Ich will hier kein Streitgespräch führen, das ist mir zu flach.

"TTIP muss in dieser Form gestoppt werden"
Der Spanier Ignacio Garcia Bercero (rechts) verhandelt für die EU mit den Amerikanern, deren Delegation von Dan Mullaney angeführt wird.
Das Problem für die interessierte Öffentlichkeit ist doch, dass sie gar keine Chance auf objektive Information über TTIP hat.
Da stimme ich Ihnen zu.

Ihr großes Anliegen ist der Verbraucherschutz. In Österreich gab es sieben Tote durch Listerien-Quargel. In Kärnten wurde ein ganzes Tal mit Hexachlorbenzol (HCB) verseucht. Müssen wir nicht erst vor der eigenen Tür kehren?
Wir sagen gar nicht, dass alles, was aus Amerika kommt, schlecht ist. Tatsache ist aber: Bei der Lebensmittelsicherheit gibt es auf beiden Seiten des Atlantiks große Probleme – deshalb unsere Befürchtung, dass der gegenwärtige Zustand eingefroren wird. Die Agrar- und Lebensmittelindustrie haben kein Interesse, das System zu verbessern.

Nun wiederholt die EU-Kommission wie ein Mantra, die europäischen Standards würden durch TTIP nicht gesenkt.
Das ist für mich kein Versprechen, sondern eine Drohung. Es ist ohnehin schwierig genug, den Verbraucherschutz gegen die Interessen der Lebensmittelindustrie zu verbessern. Mit TTIP würde es noch schwieriger. Die dringend gebotene Regulierung von Chemikalien, die den menschlichen Hormonhaushalt beeinträchtigen (endokrine Substanzen, Anm.), wird auf die lange Bank geschoben. Auch das ist eine Art von Verwässerung.

Sie werfen der EU-Kommission also vor, aus Rücksicht auf die Verhandlungen gewisse Dinge gar nicht mehr anzupacken?
Das müssen die sogar. Es gibt die Regel, dass man nicht durch Regulierungen die Ergebnisse völkerrechtlicher Verhandlungen vorwegnimmt. Da ist die EU in einer Zwangslage, über die nicht offen geredet wird. Bei den hormonell aktiven Substanzen haben wir es Schwarz auf Weiß, dass das hinausgeschoben wird.

In Europa lehnen die meisten Bürger genmanipulierte Lebensmittel ab. Ist nicht der Verbraucher in Wahrheit recht mächtig?
Deshalb sind wir bei Gentechnologie für die Wahlfreiheit des Verbrauchers. Dafür reicht aber die gegenwärtige Kennzeichnung nicht aus, wir brauchen sie auch bei tierischen Produkten.

Sie meinen, es müssten Gen-Soja oder Gen-Mais als Futtermittel gekennzeichnet werden?
Da muss man kein Prophet sein: Das wird leider nicht kommen. Es würde die Handelsinteressen der USA beeinträchtigen, die diese Futtermittel nach Europa exportieren wollen. Und das Zeug ist mittlerweile auch billiger, weil es in größeren Mengen hergestellt wird.

Gibt es nicht Bereiche, wo die USA Europa etwas voraushaben? Etwa im Einsatz von Antibiotika bei Puten und Hühnern?
Nein, das stimmt nicht. Die einzige Ausnahme: Ein Bio-Huhn darf in Europa ein einziges Mal mit einem Antibiotikum behandelt werden, in den USA gar nicht. Dafür sind dort Antibiotika in der konventionellen Tiermast sogar noch als Wachstumsmittel erlaubt. Da geben sich beide Seiten nicht viel. Schärfer ist der US-Verbraucherschutz wegen der hohen Klagsdrohungen bei Dingen wie Brustimplantaten. TTIP zielt aber nicht darauf ab, die höchste Regulierung zu verwirklichen, sondern Kosten zu sparen. Und das geschieht durch Beseitigung von Standards.

Bei den Chemikalien sind die Unterschiede so groß, dass gar keine Harmonisierung geplant ist, sondern etwa nur die Anerkennung von Prüfverfahren. Wo sehen Sie da die Gefahren?
Die Systeme klaffen in der Tat weit auseinander. Wir müssen aber höllisch aufpassen. Die Industrie will nämlich erreichen, dass Kosten-Nutzen-Analysen in der Zulassung berücksichtigt werden. Und Regulierung verursacht nun einmal Kosten.

Stichwort Arbeitnehmerrechte: Haben Sie Sorge, dass die Gewerkschaften oder Streikrechte auch bei uns unter Druck geraten? Oder geht es um den ungleichen Wettbewerb?
Klar ist: Die USA werden nie alle Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO, Anm.) unterschreiben. Sie wollen sich nicht binden lassen, das ist US-Politik. Der Zwang ist auch ein indirekter: So könnte BMW bei Lohnverhandlungen sagen, wenn ihr es zu weit treibt, produzieren wir die neue Linie im Süden der USA. Wenn die Verlagerung von Investitionen einfacher wird, kommt das sicher im Arbeitskampf zum Einsatz.

Laut einer Studie (von CEPR, hier, Zusammenfassung hier) hätte ein Vier-Personen-Haushalt im Jahr 2027 mit TTIP im ambitioniertesten Fall 545 Euro mehr zur Verfügung. Sie schreiben, das seien 11 Euro pro Person und Monat. Das ist doch dasselbe, nur kleingerechnet, oder?
Es macht deutlich, um welche geringen Summen es geht. Mittlerweile gibt die Industrie zu, dass all diese Studien über so lange Zeiträume nichts aussagen.

Sie berufen sich aber auch auf eine Studie – jene der Tufts-Universität, wonach Arbeitsplatzverluste durch TTIP drohen.
Wir hinterfragen auch die Annahmen dieser Studie kritisch. Es zeigt aber, dass man zu ganz anderen Ergebnissen kommen kann. Das ist kein Widerspruch. Wachstumseffekte gibt es praktisch nicht.

44 Euro im Monat könnten für einen Haushalt mit wenig Einkommen etwas ausmachen.
Dann muss man aber diese angeblichen Vorteile für Wachstum und Beschäftigung mit den Risiken abwägen. Und da ist TTIP alles zusammen genommen ein schlechtes Projekt. Wir haben nichts dagegen, Handelshemmnisse zu beseitigen. Aber wir wehren uns gegen noch stärkere Zugriffe der Wirtschaftsinteressen auf die Gesetzgebung und Rechtssetzung. Das ist der rote Faden des Buches.

Sie bezeichnen sich als Befürworter des freien Handels. Warum dann nicht TTIP verbessern, sondern „TTIP stoppen“?
TTIP muss in dieser Form gestoppt werden. Anders kann das Verhandlungsmandat nicht geändert werden.

Was wäre denn legitim?
Das Beste wären Branchenvereinbarungen – so, wie wir es im Bio-Sektor haben: Dort gibt es ein Äquivalenzabkommen mit den USA, das die Standards wechselseitig anerkennt. Die EU kann diese aber jederzeit verbessern, ohne Vertragsstrafen befürchten zu müssen. TTIP ohne die regulatorische Kooperation und ohne Schiedsgerichte wäre völlig harmlos.

"TTIP muss in dieser Form gestoppt werden"
Warum, glauben Sie, beharrt die EU so sehr auf den umstrittenen Investorenschutz ?
Unter der Hand wird zugegeben, dass das wegen der künftigen Abkommen mit China ist. Ich glaube aber, das wird keinen Bestand haben, weil es in die Hoheit der Demokratien und die parlamentarischen Rechte eingreift.

Glauben Sie wirklich, dass Gerichte immer unbeeinflusst von Nationalinteressen urteilen?
Das können Sie nie ausschließen. Ich kenne keine Beschwerden, dass deutsche Unternehmen in den USA unfair behandelt würden.

Man könnte zumindest Zweifel haben, ob das Landgericht München in einer Causa wie der Hypo Kärnten ganz gleich urteilt wie ein Gericht in Klagenfurt.
Dann sollten wir drauf schauen, dass unsere Justiz ordentlich entscheidet, aber keine Paralleljustiz für Investoren schaffen. Dann hätte ich nämlich auch ganz gerne eine Paralleljustiz für Verbraucherrechte.

Sie schreiben, dass Investitionsabkommen auch gekündigt werden können – anhand der Beispiele Venezuela, Kolumbien und Ecuador. Nicht gerade mustergültige Staaten, was den Investorenschutz betrifft.
Nein, natürlich nicht.

Heißt das, ein ausländisches Unternehmen muss es einfach hinnehmen, enteignet zu werden?
In diesen Ländern sollte man einen einseitigen Investorenschutz verlangen oder gar nicht erst investieren, fertig. Sicher ist: Wenn der Investorenschutz zwischen der EU und den USA kommt, wird die Anzahl der Fälle sprunghaft ansteigen.

Tatsächlich ist da eine Art Klagsindustrie entstanden. Die Fälle, die in der Öffentlichkeit für großes Aufsehen sorgen, sind aber allesamt noch in der Schwebe.
Darauf kommt es gar nicht an, wie entschieden wird. Es geht ums Prinzip. Dass (der schwedische Energiekonzern) Vattenfall zwei Mal klagen kann, vor einem Schiedsgericht und vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht,ist ein Unding.

Zumindest diese Doppelklagen will EU-Kommissarin Cecilia Malmström abstellen. Prinzipiell gefragt: Sollten nicht auch für chinesische Investoren bei uns dieselben Rechte gelten?
Es gibt Grenzen, die liegen in der Rechtsstaatlichkeit. Bei Menschen- und Bürgerrechten und der Demokratie gibt es keine Kompromisse. Da hört sich’s bei mir auf. Entweder die Chinesen sehen ein, dass sie eine unabhängige Justiz brauchen, oder eben nicht. Dann darf es aber auch kein EU-Abkommen mit China geben.

Abschließend eine Prognose: Wann erwarten Sie ein Verhandlungsergebnis für TTIP?
Das wird sicher dauern, die Verhandlungen haken ja. Entscheidend ist: Wenn wir den Widerstand in Frankreich so mobilisieren können wie in Deutschland, dann gebe ich TTIP in dieser Form keine guten Chancen mehr.

"TTIP muss in dieser Form gestoppt werden"
Thilo Bode, Geschäftsführer Foodwatch
Er ist Deutschlands bekanntester Verbraucherschützer: Thilo Bode (Jahrgang 1947) studierte Soziologie und Volkswirtschaft. Ab 1989 war er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland und ab 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete er die Verbraucherschutz-OrganisationFoodwatch ("Die Essensretter"). Sein TTIP-Buch hält sich seit 13 Wochen in den Top10 der „Spiegel“-Sachbuch-Bestsellerliste.
"TTIP muss in dieser Form gestoppt werden"
Die Freihandelsluege von Thilo Bode
Das Buch "Thilo Bode: Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt - und uns allen schadet" ist im März 2015 bei der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen (270 Seiten, 15,50 Euro).

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