Schiefergas als Angst-Faktor

Schiefergas als Angst-Faktor
Auch in Polen gibt es große Vorkommen an Schiefergas – und auch große Bedenken gegen die Förderung. Ein Lokalaugenschein

Auf dem verschneiten Feld der nordpolnischen Gemeinde Trzebielino rollen Bagger und Baufahrzeuge, in der Mitte des Platzes steht eine 20 Meter hohe Vorrichtung. Sie pumpt Wasser aus der Erde, unter der Schiefergas vermutet wird. Bald wird eine Probebohrung vorgenommen.

Vier Männer nähern sich dem Reporter, der die „Betreten-Verboten-Schilder“ missachtet hat. „Keine Kamera und kein Mikrofon bitte“, sagen sie. Ansonsten hätten die zwei Amerikaner und zwei Polen, Mitarbeiter der BNK Petroleum Polska, nichts zu verbergen. „Wir achten die Umwelt, wir achten die polnischen Gesetze, wir schaffen Jobs und sind im Kontakt mit der Bevölkerung. Das ist ein sauberes Business“, meint einer der US-Bürger mit Sonnenbrille. Er gibt als Beruf Mineralöl-Ingenieur an. Die Landbevölkerung ist davon nicht überzeugt. Einen Tag zuvor zog eine kleine Protestgruppe vor dem Bauplatz auf.

Goldgräberstimmung

Schiefergas als Angst-Faktor

In Polen, dem Land mit dem vermutlich größten Schiefergas-Vorkommen Europas (5,3 Billionen Kubikmeter), herrscht seit zwei Jahren eine Art Goldgräberstimmung. 110 Konzessionen für Probebohrungen wurden bereits an internationale Konzerne wie Chevron, Exxon Mobil und an den polnischen staatlichen Energiekonzern PGNiG vergeben. Die Regierung verspricht sich durch eine eigene Gasversorgung die lange ersehnte Unabhängigkeit von Gazprom, dem gefürchteten russischen Energieriesen.

Doch Berichte über Umweltschäden in den USA, wo Schiefergas seit 20 Jahren gefördert wird, bringen die Bevölkerung auf, vor allem in Regionen, wo in Agrotourismus investiert wurde.

Der Gemeindevorsteher von Trzebielino, der die Bohrung bejaht, ist nicht zu sprechen. Dafür lädt Halina Drobynska, die Vertreterin der direkt betroffenen Siedlung Miszewo, in ihre über 200 Jahre alte Bauernkate. Sie will in dem Streit eine neutrale Haltung einnehmen. Miszewo, aus dem schon viele Bewohner in größere Städte oder nach England gezogen sind, sei geteilt, erzählt sie. Arbeit gebe es außer in der Landwirtschaft kaum. Ihr hemdsärmliger Mann gehört klar zu den Befürwortern. „Wir müssen nach vorne gehen, nicht zurück! Vielleicht kann ich bald meinen Traktor mit billigem Gas betreiben.“

Ihre Nachbarn, Szczepan und Teresa Jaciubek, sehen das anders. Der 61-jährige Bauer hat zwei Hektar des Grundstücks, das nun BNK gehört, zum normalen Marktpreis verkauft – über einen Mittelsmann eines Energie-Ingenieurs aus Lodz, der anscheinend über die Gassuche informiert war. Jaciubek beklagt die Gefahren – zehn Tonnen chemische Stoffe sollen in den Boden gejagt werden, habe er gehört. Die Familie stört auch die Kommunikationspolitik – man sei Mitte Dezember von der Gemeinde vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Nun sausen Lastwagen durch die einst lauschige Siedlung.

Korruption

Der Umweltschützer Marek Kryda klagt, die Bevölkerung werde allein gelassen. Gemeindevorsteher, die zuerst gegen das Gas waren, seien auf einmal dafür. Dahinter stecke Bestechung und Einschüchterung. Tatsächlich gab es Korruptionsfälle. Zumeist verbunden mit der Konzession von Probebohrungen, die vom Umweltministerium vergeben wird. Einer der Täter war Mitarbeiter des Instituts für Geologie in Warschau. Zu Jahresbeginn hat die Einrichtung jede Expertise-Zusammenarbeit mit Mineralölfirmen eingestellt.

Der Druck im Institut ist spürbar. Schiefergas-Experte Pawel Poprawa knetet während des Interviews die Hände. „Noch kann man nicht sagen, dass sich der Schiefergas-Abbau in Polen lohnt“, so der Geologe. Dies hänge vom internationalen Gaspreis – in Polen sind die Gaspreise noch reglementiert – und von den Produktionskosten ab. Die sind hoch – der Staat will die Konzerne darum mit nur 20 Prozent Steuer belasten.

In Brüssel gründet sich gerade eine Kommission, die die Umweltschädlichkeit des Schiefergas-Abbaus prüfen will. Doch Warschau ist fest entschlossen. Ab 2014 soll das erste Gas fließen.

Weinviertel: Probebohrungen beunruhigen Bevölkerung

Auch in Österreich, genauer gesagt im nördlichen Weinviertel, gibt es heftige Debatten um die Förderung von Schiefergas. In der Gegend rund um Poysdorf und Herrnbaumgarten will die OMV heuer zwei Probebohrungen durchführen. Ihren Angaben zufolge könnten die Gasvorräte im Boden den heimischen Bedarf für bis zu 30 Jahre decken – und Österreich damit unabhängiger von russischem Gas machen, das zuletzt wegen des harten Winters in Russland um 30 Prozent gedrosselt wurde.

Die Bevölkerung in den betroffenen Gemeinden im Weinviertel ist dennoch skeptisch. Wie in Polen fürchten die Menschen Natur- und Gesundheitsprobleme und Imageschäden für den Tourismus. Auch Umweltorganisationen wie Greenpeace und Global 2000 protestieren gegen die Bohrungen, ebenso die Grünen. Diese verweisen darauf, dass die neue Fördertechnik der OMV noch unerprobt sei, und fordern eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Eine solche ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die OMV, die nur auf ökologisch unbedenkliche Weise fördern will, plant aber eine unabhängige Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie.

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