Sarrazin - die unwillkommene Euro-Provokation

Sarrazin - die unwillkommene Euro-Provokation
Der umstrittene Erfolgsautor Thilo Sarrazin sieht nur politisches Wunschdenken: Europa brauche den Euro nicht.

Rummel im Berliner Hotel Adlon: Dessen größter Saal war voll mit Presse und Kameras, der unscheinbare Mann am Podium wurde behandelt wie ein Star. Dabei ging es nur um die Vorstellung seines neuen Buches, über das er auch schon in wichtigen Medien des Landes gesprochen hatte. Wenn einer aus der deutschen Elite diese kritisiert, dann ist die Resonanz groß und ganz sicher ist sie, wenn das Wort "Holocaust" in dem Zusammenhang fällt.

Sarrazin kennt diese Mechanismen und nutzt sie. In seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" hatte er übertriebene Sozialstaats-Leistungen und eine unkontrollierte Zuwanderung aufgezeigt und mit polemischen Thesen garniert. Weil die von einem SPD-Mitglied in führender Stellung kamen, wurde das Buch zum Sachbuchbestseller 2010.

Nach so etwas sieht es auch jetzt wieder aus, sehr zum Amüsement des Autors. Dabei müssten sein Buch und die ihm folgenden öffentlichen Auftritte diesmal viel weniger umstritten sein als beim ersten. Sarrazin spitzt nur zu, was viele andere namhafte Fachleute und Autoren ebenfalls sagen. Allerdings nicht immer so offen.

Krise

Sarrazin - die unwillkommene Euro-Provokation

"Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise gebracht hat", ist der Untertitel und Leitmotiv seines 450-Seiten-Werks, in dem er diesmal zusammen getragene Fakten und eigene Thesen klar trennt. Die meisten Fakten sind nicht neu. Sarrazin zeigt auf, dass der Export Deutschlands keineswegs vom Euro und dessen Bindungskraft abhängt: Er wuchs in den letzten zehn Jahren in die Nicht-Euro-Länder mehr als in die Euro-Zone, deren Anteil nun unter 40 Prozent liegt. Auch ist das Wirtschaftswachstum von Nicht-Euro-Ländern wie jenes von Schweden und der Schweiz höher als das Deutschlands.

Sarrazins zentrale These ist, dass der Euro ein rein politisches Projekt war und dass er auch damit gescheitert sei. In der Pressekonferenz tönte das so: "Deutschland hat wegen seines schlechten Gewissens die gut funktionierende D-Mark hingegeben, es wollte es sich der historischen Schuld entledigen." Das Reizwort, das im Buch vorkommt, gebrauchte Sarrazin vor der Presse nicht. "Der Euro hat keine dieser politischen Hoffnungen erfüllt: Weder beim Wachstum in der Eurozone, noch bei ihrer Stabilität oder für mehr Einigung. Dagegen sind die Risiken enorm und vertragswidrig gestiegen", nicht nur für Deutschland. Der Euro drohe eher Europa zu zerreißen als zusammenzuhalten.

Kritik

Deutlicher als bisher kritisierte Sarrazin das Krisenmanagement von Kanzlerin Merkel: "Auch ihr geht es mehr um das eigene Wohl als das des Landes." Weil sie und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht den Mut zu klaren Aussagen hätten, stellten sie die Situation als alternativlos dar. Die deutsche Politik erhöhe mit ihren Dauergarantien nur das Erpressungspotenzial der Krisenländer.

Sarrazin, seit 40 Jahren SPD-Mitglied und als solches erfolgreicher Finanzsenator von Berlin von 2001 bis 2007, hatte selbst als langjähriger Beamter im Finanzministerium die Einführung des Euro mit vorbereitet. Zuletzt war er Vorstand in der Bundesbank gewesen.

Die Reaktionen auf das Buch sind gespalten. Während die linksliberale Presse sein Buch überwiegend als sensationsgieriges Machwerk abtut, beschäftigt sich die bürgerliche Presse damit seriöser oder verteidigt es. Die deutsche Politik hat sich bisher weitgehend davon distanziert oder bekämpft es. Am entschiedensten tat das bisher Ex-SPD-Finanzminister Peer Steinbrück in der ARD-Konfrontation bei Jauch mit "Bullshit" – allerdings ohne Sarrazins Analysen konkret zu widerlegen.

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