Rechtliche Achillesferse bringt Lebensversicherer unter Druck

Rechtliche Achillesferse bringt Lebensversicherer unter Druck
Versicherungsnehmer haben vor Gericht gute Karten. OGH muss aber noch mehr Klarheit schaffen.

Die österreichische und deutsche Versicherungswirtschaft kommt ordentlich ins Schwitzen. Ursache ist nicht nur die Niedrigzinsen-Politik, welche die Renditen schmälert, sondern eine jahrelange Schlamperei beim Verkauf von Lebensversicherungspolizzen. Laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) und Oberstem Gerichtshof (OGH) sollen Versicherungsnehmer von den Assekuranzen zum Teil über das Rücktrittsrecht "nicht oder fehlerhaft aufgeklärt" worden sein. Diese Mängel haben dramatische Konsequenzen.

Acht Millionen Polizzen

Allein in Österreich sollen acht Millionen Polizzen betroffen sein. "Wenn die Rücktrittsbelehrung nicht in Ordnung ist, folgern die Gerichtshöfe rechtlich daraus, dass es gar keine Rücktrittsbelehrung gegeben hat", sagt Anwalt Michael Poduschka, der 300 Betroffene vertritt. "Der Versicherungsnehmer hat somit faktisch ein ewiges Rücktrittsrecht und kann vom Vertrag zurücktreten."

Dieser Schritt ist dann interessant, wenn sich herausstellt, dass man am Ende der Laufzeit der Versicherung gerade einmal die eingezahlten Prämien zurückbekommt. Denn: Bei einem berechtigten Vertragsrücktritt winkt im Einzelfall viel mehr Geld.

"Das wäre absurd"

Indes sind die Versicherungen nach wie vor der Ansicht, dass dem Kunden nur der Rückkaufswert zusteht.

"Warum sollte ich mich bei einem berechtigten Vertragsrücktritt mit dem Rückkaufswert abspeisen lassen", sagt Anwalt Robert Haupt zum KURIER. "Da in den ersten fünf Jahren der Laufzeit aus den Prämien auch die Abschlussprovisionen an die Vermittler und Makler gezahlt werden, wäre das ja absurd."

Laut einem rechtskräftigen Urteil des Handelsgerichts Wien, das der Verein für Konsumenteninformation (VKI) erstritten hat, muss eine Versicherung in Fall einer fehlerhaften Rücktrittsbelehrung (falsche Widerrufsfrist) einer Kundin die eingezahlten Prämien plus vier Prozent Zinsen auszahlen.

20.000 Euro erstritten

Ein weiteres Beispiel: Eine Mandantin von Anwalt Poduschka hatte 50.000 Euro in eine britische Lebensversicherung eingezahlt und nach 15 Jahren 55.000 Euro erhalten. Sie berief sich auf die fehlerhafte Rücktrittsbelehrung und forderte vor Gericht weitere 26.000 Euro zurück. Um das Gerichtsverfahren zu beenden, hat die Versicherung dann 20.000 Euro hingeblättert.

Böse Überraschung

"Das Wichtigste dabei ist, dass man schaut, was würde ich am Ende der Laufzeit oder bei einer vorzeitigen Kündigung als Rückkaufswert überhaupt herausbekommen", sagt Poduschka. "Das sorgt nämlich bei vielen Versicherungsnehmern für böse Überraschungen."

Dass es sich bei den Beanstandungen nur um Einzelfälle handelt, wie kolportiert wird, kann Anwalt Andreas Hörmann nicht nachvollziehen. Er prüft für den Prozessfinanzierer AdvoFin in einem ersten Schritt rund 15.000 Polizzen. "Die fehlerhafte Rücktrittsbelehrung betrifft laut unserer Erfahrung 70 bis 80 Prozent der Lebensversicherungen", sagt Hörmann.

Weitere Musterklagen

Daher geht der oberösterreichische Anwalt Poduschka davon aus, dass das Thema Lebensversicherungen die Gerichte in den nächsten zwei Jahren über die Maße auslasten wird. So kündigt VKI-Juristin Ulrike Wolf an: "Wir werden weitere Musterverfahren auf den Weg bringen." Und der OGH muss erst klären, welche Verzinsung einem Versicherungsnehmer bei einem Vertragsrücktritt tatsächlich zusteht.

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