Österreichs Aktienmarkt kommt aus der Steinzeit

Österreichs Aktienmarkt kommt aus der Steinzeit
Neue Börse für kleine Unternehmen: Mahrer will dem Aktienmarkt Leben einhauchen.

Fertig! Börsengänge von Klein- und Mittelunternehmen sind in Wien rasch aufgezählt. 2014 gab es im zuständigen Segment ("mid market") gar keine. 2015 wagte sich die WP AG aus dem KTM/Cross-Imperium vor; sie hat sich 2016 wieder verabschiedet.

Und das in einer Zeit, wo KMU Schlange stehen müssten. Schließlich wird es für sie schwieriger, von Banken Kredite zu erhalten. Österreich und die Börse, nicht gerade eine Liebesbeziehung.

"Was den Kapitalmarkt betrifft, zählen wir zu den Steinzeitländern", sagte Staatssekretär Harald Mahrer am Donnerstag bei einer Diskussion im Wirtschaftsministerium. In nackten Zahlen: Der Wert der Börsenfirmen erreicht in Österreich 38 Prozent der Wirtschaftsleistung. EU-weit sind es 65 Prozent, in Luxemburg, Vereinigtes Königreich, Schweden sogar mehr als 100 Prozent.

Mahrer schwebt die Gründung einer neuen KMU-Börse vor. Die EU-Finanzinstrumente-Richtlinie (im Fachsprech MIFID II), die 2018 in Kraft tritt, würde das begünstigen.

Angebot oder Nachfrage

Eine WIFO-Studie hat verglichen, wie erfolgreich andere Börsen bei Klein- und Mittelunternehmen sind. Fazit: Unerreichbares Vorbild ist die Börse London mit mehr als 1100 Unternehmen und fast 90 Mrd. Euro Börsewert. Aber auch Börsen wie Warschau oder Oslo sind lebendiger (siehe Grafik) als Wien.

Österreichs Aktienmarkt kommt aus der Steinzeit

"Jede Initiative, die zum Vorteil der heimischen Kapitalmarktkultur ist, wird von uns tatkräftig unterstützt", sagte Ludwig Nießen, seit Mai 2016 Vorstand der Wiener Börse. Von länderübergreifenden Kooperationen hält er eher wenig: "Mittelstandsfinanzierung ist ein nationales Thema." Woran krankt es?

Hürden

Skurril, aber wahr: Im "ungeregelten Markt" kann es in Wien aktuell keine Neuzugänge geben. Seit einer Gesetzesänderung zur Geldwäsche-Bekämpfung von 2011 sind anonyme Inhaberaktien nicht mehr erlaubt. Es gibt aber kein elektronisches Aktionärsbuch, in dem Investoren verzeichnet werden könnten. Ein ganzes Marktsegment ist somit versperrt. In Deutschland wurde zum Beispiel das Gesetz geändert. "Das werd’ ma doch zustandebringen, seid’s mir net bös", appellierte Nationalbank-Präsident Claus Raidl an Politik, Finanzmarktaufsicht (FMA) und Börsianer.

Zögerliche Firmen

Viele traditionelle Betriebe wollen nicht an die Börse. Sie haben Angst, die Kontrolle abzugeben, oder wollen ihre Bilanzen nicht veröffentlichen.

Kosten und Regeln

Die Wiener Börse steht im Ruf, besonders teuer zu sein. Stimmt nicht, heißt es dort unter Verweis auf die WIFO-Studie. Die laufenden Gebühren für die Börsenotiz seien in Wien sogar niedriger als in Frankfurt. Die Kosten entstünden, weil so viele Regeln einzuhalten sind. Diese nehmen eher zu statt ab: Ab 3. Juli gelten wegen internationaler Vorgaben für den bisher ungeregelten Dritten Markt in Wien schärfere Bestimmungen.

Risikoscheu

Die Österreicher haben 210 Mrd. Euro auf Sparkonten liegen und wälzen das Risiko auf die Banken ab, sagte FMA-Chef Klaus Kumpfmüller. Enorm viel Geld dränge in Immobilien-Investments. Geld, das für die Finanzierung anderer Unternehmen fehle. WIFO-Experte Werner Hölzl empfiehlt, Unternehmen und Investoren mit Steueranreizen und gelockerten Prospektpflichten zu ködern.

Das kann freilich nach hinten losgehen: 2011 hatte Warschau 172 Börsegänge, so viele wie nie. Etliche Firmen gingen jedoch pleite oder verstrickten sich in verbotenen Insiderhandel. Danach wurden die Regeln wieder verschärft, gab Bartosz Swidzinski von der Börse Warschau zu.

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