"Mit Schwarz-Weiß-Malerei aufhören"

Alfred Leu, Chef von Generali Österreich
Wie der neue Chef Alfred Leu, ein Schweizer, Österreich und die Chancen des Landes sieht.

Seit Jahresbeginn führt Alfred Leu die heimische Tochter des italienischen Versicherungsriesen Generali. Welche Pläne er hat und was er von der Politik fordert, verrät er im KURIER-Interview.

KURIER:Sie sind jetzt knapp fünf Monate in Österreich. Wie gefällt es Ihnen hier?

Alfred Leu: Ich war in der Schweiz teils in der deutschen Schweiz, teils in der West-Schweiz, bin also unterschiedliche Kulturen gewohnt. Die Generali Österreich ist sehr gut aufgestellt und ich fühle mich hier sehr wohl.

Wo ist Österreich besser als die Schweiz?

Österreich hat den großen Vorteil der Offenheit Richtung Osteuropa. Österreichischen Firmen und auch der Generali ist es sehr gut gelungen, dort Fuß zu fassen. Österreich ist Teil des EU-Raumes, das ist ein markanter Unterschied. Österreich ist ein sehr gastfreundliches Land, mir gefällt die Offenheit der Menschen. Persönliche Beziehungen haben eine sehr hohe Bedeutung.

Wo sehen Sie in Österreich Handlungsbedarf? Die Schweiz gilt hierzulande als Vorbild.

Ich erinnere mich noch gut an die 1990er-Jahre, als die Schweiz beschloss, nicht in den EWR einzutreten und es eine riesige Immobilienkrise gab. Zwischen Genf und Lausanne standen an die 3000 Villen zum Verkauf. Da haben wir Richtung Österreich geschaut und das Land bestaunt. Die Schweiz hat sich aus der Krise herausgearbeitet. Österreich ist heute in einer ähnlichen Situation und braucht eine wirtschaftliche Aufbruchstimmung.

Sehen Sie diese Aufbruchstimmung mit dem neuen Kanzler Kern?

Er hat sie angekündigt. Aber wesentlich wird sein, dass das ganze Land und alle politischen Richtungen mitarbeiten.

Wie zuversichtlich sind Sie?

Was in Österreich an Industrie und tollen Unternehmen vorhanden ist, stimmt mich zuversichtlich.

Sie loben die Offenheit Österreichs. Was aber sagen Sie zu den Ängsten in der Bevölkerung über die Flüchtlingssituation?

Ich kenne diese Diskussionen aus der Schweiz. Dort haben wir die Erfahrung gemacht, dass man diese Ängste ernst nehmen und umfassend diskutierten muss. Es wurden Masseneinwanderungen befürchtet und die Bevölkerung hatte das Gefühl, die Politik kümmert sich zu wenig.

Dieses Gefühl haben viele Österreicher auch.

Man muss eine offene Diskussion führen und mit der Schwarz-Weiß-Malerei aufhören. In der Schweiz liegt der Ausländeranteil bei mehr als 25 Prozent der Bevölkerung. Trotzdem ist es recht gut gelungen, die Ausländer zu integrieren. Der politische Prozess war natürlich auch nicht ohne Konflikte.

Welche Chancen sehen Sie für Flüchtlinge am Arbeitsmarkt?

Die Bevölkerung in Europa wird auf Grund der demografischen Entwicklung langfristig abnehmen. Daher müssen wir ein Interesse an Migration haben. Aber das muss in einem geordneten Prozess erfolgen. Und man muss die Frage stellen, welche Bevölkerungsschichten diese Migration tragen. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass Menschen, die von der Ausbildung her wenig bieten können, unter einem größeren Konkurrenzdruck stehen als die Bestausgebildeten. Der Lohndruck, der durch die Migration ausgelöst wird, war in der Schweiz ein wichtiges Thema.

Würden Sie heute für einen EU-Beitritt der Schweiz plädieren?

Meine persönliche Meinung: Ich wäre nicht bereit, die direkte Demokratie zugunsten der EU aufzugeben. Die Abstimmung über den EWR-Beitritt war rund 50 zu 50, heute wäre der Großteil der Schweizer gegen einen EU-Beitritt.

Wegen des Zustandes der EU?

Nein, wegen der direkten Demokratie.

Ist Österreich offener als die Schweiz?

Österreich hat wie gesagt den Bezug zum Osten, aber die Schweiz ist wahrscheinlich internationaler aufgestellt. Wir haben wesentlich mehr globale Headquarters, das ist sicher ein großer Unterschied. Doch Wien ist eine sehr internationale Stadt und Österreich hat die Chance, ein Umfeld zu schaffen, wo sich die Wirtschaft entwickeln kann und sich neue Firmen gründen können.

Aber unsere Regulierungswut?

Das ist die eine Sache, aber die Lebensqualität vor Ort ist ein ganz wichtiger Punkt bei Ansiedlungen. Wichtig ist auch die Rolle der Universitäten. Die technischen Universitäten in Zürich und Lausanne sind unglaubliche Beschleuniger in die Richtung einer internationalen Wirtschaft. Auch Wien hat sehr gute Universitäten. Die Frage eines gut ausgebildeten Mitarbeiter-Potenzials wird entscheidend sein.

Ihr Vorgänger Peter Thirring, der jetzt im VIG-Konzern für die Donau Versicherung zuständig ist, lobt die Vorzüge eines österreichischen Eigentümers.

Ich arbeite seit 1994 bei der Generali und habe die Einbettung in einen internationalen Konzern immer als Bereicherung gesehen. Man hat intensiven Kontakt mit anderen Märkten und Kollegen, kann Know-how und Innovationen austauschen. Aber klar, die Medaille hat auch eine andere Seite. Der Freiheitsgrad ist geringer und man muss die lokalen Eigenheiten erklären.

Die Konzernmutter wollte, dass die Generali Österreich Immobilien verkauft, damit der Konzern Kasse macht.

Das Programm Stardust wurde wieder abgesagt. Wir haben ein Immobilien-Portfolio aufgebaut, das wir in mehr als 120 Jahren entwickelt haben. Es ist wichtig, sich hin und wieder von Liegenschaften zu trennen. Oft sind Objekte zu klein oder der Bestand muss besser durchmischt werden. Das heißt aber nicht, dass wir das Gewicht unseres Immobilien-Portfolios innerhalb der Veranlagung reduzieren. Wir investieren ja wieder neu.

Die Generali ist der größte Hauseigentümer in der Wiener Innenstadt. Werden Sie Objekte in der City verkaufen?

Nein, diese 1-A-Immobilien stehen nicht zur Diskussion.

Was sind die größten Herausforderungen an die Versicherungen in den nächsten zehn Jahren?

Erstens sicher die Veranlagung in der Tiefzinsphase. Der laufende Rückgang der Finanzerträge wird noch länger anhalten. Und zweitens die Digitalisierung.

Wird die Zahl Kunden, die online eine Versicherung abschließen, stark steigen?

Die Gruppe von Kunden, die nur online abschließen wollen, ist nicht sehr groß. Österreich ist dafür ein relativ kleiner Markt. Aber die Hybrid-Kunden werden immer mehr, die sich online informieren, dann aber persönliche Beratung wollen. Dafür ist die Generali mit ihrer Mehrkanal-Strategie im Vertrieb gut aufgestellt. Unglaublich viele unserer Kunden sehen die persönliche Beratung als großes Differenzierungsmerkmal der Generali.

Digitalisierung heißt auch, dass Verwaltungsabläufe voll automatisiert sind. Wie weit sind Sie damit?

Wir brauchen heute zum Beispiel für verschiedenste Schadensprozesse keine menschliche Intervention mehr. Der Kunde meldet seinen Schaden über die App und alles läuft vollautomatisch ab. Digitalisierung ist die Zukunft, weil wir den Kunden ein besseres und schnelleres Service bieten können und näher bei unseren Kunden sein können.

Näher beim Kunden, wie darf man das verstehen?

Stichwort demografische Entwicklung. Wir wollen Menschen in ihrer dritten Lebensphase begleiten. Indem man über technische Hilfsmittel, etwa Schrittzähler, frühzeitig merkt, wenn den Kunden etwas fehlt – sodass noch Zeit zum Intervenieren ist. Sinnvoll ist auch die Zusammenarbeit mit Organisationen, die die Menschen zu Hause betreuen.

Karriere

Alfred Leu (57) wurde 2005 zum Geschäftsführer der Generali Schweiz Holding berufen. Zuvor war er Chef bei der Generali General Insurance in Genf und ab 2002 stellvertretender Vorsitzender der Generali Schweiz. 1987 begann er seine Karriere bei der Fortuna Lebens- Versicherungs-Gesellschaft, wo er über die nächsten Jahre leitende Aufgaben bei verschiedenen Versicherungs- unternehmen hatte. 1987 schloss Leu sein Jus-Studium an der Universität in Bern ab.

Generali Österreich

Die Generali ist in Österreich mit 1,7 Mio. Kunden und einem Marktanteil von 13,4 Prozent die drittgrößte heimische Versicherungsgesellschaft.

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